Corona-Erkrankung: Veränderte Blutgefäße in der Lunge nachgewiesen
Zwar ist lange bekannt, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 auch andere Organe befallen kann, doch vor allem die Lunge steht im Vordergrund. Forschende haben nun untersucht, wie der Erreger die Lunge angreift. Sie haben dabei eine Veränderung der Blutgefäße in dem Organ nachgewiesen.
Längst nicht alle Menschen, die sich mit der Coronavirus SARS-COV-2 infizieren, erkranken schwer an COVID-19. Doch viele der schwer Erkrankten haben oft enorme Lungenprobleme. Ein internationales Forschungsteam hat nun eine neue Röntgentechnik erstmals erfolgreich eingesetzt und veränderte Blutgefäße in der Lunge nachgewiesen.
Getrennte Blutsysteme verbinden sich miteinander
Wenn das Coronavirus SARS-Cov-2 in die Lunge eindringt, richtet es massive Gewebeschäden an. Eine charakteristische Folge der Infektion ist unter anderem die Verstopfung der Lungengefäße wegen einer lokal überschießenden Blutgerinnung, wird in einer aktuellen Mitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) erklärt.
Nun konnte ein internationales Forschungsteam um Professor Dr. Danny Jonigk und Christopher Werlein vom Institut für Pathologie der MHH sowie PD Dr. Max Ackermann der Universitätsmedizin Mainz erstmals mittels einer hochinnovativen Röntgentechnik zerstörungsfrei nachweisen, dass es bei schwerem COVID-19-Verlauf zu einem massiven Umbau der feinsten Blutgefäße kommt, indem sich normalerweise getrennte Blutsysteme ungewöhnlich häufig miteinander verbinden.
Dafür untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Lunge eines COVID-19-Opfers in Kooperation mit dem Europäischen Synchrotron ESRF (European Synchrotron Research Facility), dem weltweit drittgrößten Teilchenbeschleuniger im französischen Grenoble.
Den Angaben zufolge konnte dank neuester Technologie mit hochauflösenden Röntgenstrahlen erstmals ein dreidimensionales Bild des kompletten Organs erzeugt werden.
Die Arbeit zum technischen Verfahren wurde in der Fachzeitschrift „Nature Methods“ publiziert und die zur klinischen Anwendung im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine“.
Neue Technologie
Wie in der Mitteilung erklärt wird, funktioniert die neue Röntgentechnik ähnlich wie eine Computertomographie (CT) im Krankenhaus. Die Auflösung ist allerdings um das Hundertfache höher. „Im CT-Scan können wir Blutgefäße im Millimeterbereich darstellen“, sagt Professor Jonigk.
Die neue Technologie namens Hierarchische Phasen-Kontrast-Tomographie (HiP-CT) ist in der Lage, feinste Gefäße mit einem Durchmesser von fünf Mikrometern abzubilden – dies entspricht etwa einem Zehntel der Dicke eines Haares. Die Technologie macht es möglich, in die Tiefe der Lunge vorzustoßen und selbst kleinste Strukturen bis hin zu einzelnen Zellen darzustellen.
„Diese Auflösung war bislang nur mit einem Mikroskop möglich, allerdings nur zweidimensional und für kleine Gewebeproben“, so der Lungenspezialist. HiP-CT kann wesentlich mehr. Mit dieser Technik ist es erstmals möglich ein ganzes Organ dreidimensional und stark vergrößert abzubilden ohne es zu beschädigen.
„Dadurch konnten Strukturen untersuchen, die im Grenzbereich der Auflösung liegen und einen Überblick über die Veränderungen im gesamten Lungengewebe gewinnen“, erklärt der Pathologe.
Fehlregulierung der Lunge
Die Forschenden entdecken auf diese Weise, was bei COVID-19 offenbar schiefläuft. In der Lunge existieren laut den Fachleuten zwei getrennte Blutsysteme – eines gehört zum Lungenkreislauf und ist für die Sauerstoffversorgung des gesamten Körpers zuständig, das andere versorgt das Lungengewebe selbst mit dem lebensnotwendigen Gas. In einem gesunden Organ gibt es mitunter einige wenige Verbindungen zwischen kleinen Gefäßen der beiden Systeme.
In der geschädigten COVID-19-Lunge bildeten die beiden Blutsysteme hingegen in vielen Bereichen zahlreiche solcher Vernetzungen. „Diese große Anzahl irreversibler Shunts wirken wie ein weitgeöffnetes Schleusentor und sorgen dafür, dass die Sauerstoffversorgung im gesamten Körper nicht mehr funktioniert“, sagt Professor Jonigk.
Als Ursache vermutet er eine Fehlregulierung der Lunge selbst, die so versucht, in einer Art Kurzschlussreaktion den Sauerstoffmangel durch die Corona-Infektion kurzfristig auszugleichen.
Professor Jonigk meint, dass die hochauflösende Technologie die medizinische Bildgebung und das Verständnis über den Aufbau unseres Körpers revolutionieren werde. „Jetzt haben wir die Möglichkeit, winzige Strukturen dreidimensional in ihrem richtigen räumlichen Zusammenhang in großem Maßstab darzustellen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Hochschule Hannover: COVID-19: Veränderung der Blutgefäße in der Lunge nachgewiesen, (Abruf: 09.11.2021), Medizinische Hochschule Hannover
- C. L. Walsh, P. Tafforeau, W. L. Wagner, D. J. Jafree, A. Bellier, C. Werlein, M. P. Kühnel, E. Boller, S. Walker-Samuel, J. L. Robertus, D. A. Long, J. Jacob, S. Marussi, E. Brown, N. Holroyd, D. D. Jonigk, M. Ackermann & P. D. Lee: Imaging intact human organs with local resolution of cellular structures using hierarchical phase-contrast tomography; in: Nature Methods, (veröffentlicht: 04.11.2021), Nature Methods
- Maximilian Ackermann, Paul Tafforeau, Willi L. Wagner, Claire Walsh, Christopher Werlein, Mark P Kühnel, Florian P. Länger, Catherine Disney, Andrew J. Bodey, Alexandre Bellier, Stijn E. Verleden, Peter D Lee, Steven J Mentzer & Danny D. Jonigk: The Bronchial Circulation in COVID-19 Pneumonia; in: American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine, (veröffentlicht: 03.11.2021), American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.