Remdesivir: Rettende Medizin oder Geschäftsmodell?
Weltweit sind mittlerweile rund elf Millionen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bekannt. Über eine halbe Millionen Todesfälle stehen in Verbindung mit einer COVID-19-Erkrankung. Internationale Forschungsteam suchen immer noch händeringend nach Behandlungsstrategien. Nun wurde das erste Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19 in Europa zugelassen. Es handelt sich dabei um das Ebola-Medikament Remdesivir.
Erstmals wird ein Medikament gegen COVID-19 in der EU zugelassen. Es könne schwerkranken Patientinnen und Patienten helfen. Derzeit haben sich jedoch die USA einen Großteil der Produktion gesichert.
Umstrittenes Medikament zur COVID-19-Behandlung zugelassen
Die EU-Kommission hat das Medikament Remdesivir gegen die Lungenkrankheit COVID-19 zugelassen. Die Staaten folgen damit der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA, die am 25. Juni eine Genehmigung unter Auflagen empfohlen hatte. Doch Remdesivir – Handelsname Veklury – ist durchaus umstritten.
Was ist Remdesivir?
Das Mittel der US-Pharmafirma Gilead Sciences wurde ursprünglich zur Behandlung der Viruserkrankung Ebola entwickelt, aber nie für diesen Einsatz zugelassen. Später gab es Hinweise darauf, dass es gegen Coronaviren wirken könnte. Remdesivir wird per Infusion verabreicht und hemmt ein Enzym der Viren, das für deren Vermehrung nötig ist.
Wie ist die Studienlage?
Es wurden mehrere Studien zu Remdesivir veröffentlicht, aber aus vielen ließen sich kaum Schlüsse auf eine Wirksamkeit ziehen. Im Mai präsentierte ein internationales Team jedoch erste positive Ergebnisse im „New England Journal of Medicine“ (NEJM). Rund die Hälfte der 1063 Probandinnen und Probanden bekam Remdesivir. Die anderen Teilnehmenden waren die Kontrollgruppe.
Welche Erfolge kann Remdesivir verzeichnen?
„Wir haben nachgewiesen, dass das Medikament bei einer COVID-19-Erkrankung den schweren Verlauf abmildert und die Krankheitsphase um etwa vier Tage verkürzt“, sagt der an der Studie beteiligte Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln der Deutschen Presse-Agentur. Die Teilnehmenden mit Remdesivir hatten eine Genesungszeit von 11 Tagen, die der Kontrollgruppe von 15.
Remdesivir sei insgesamt sehr gut verträglich, sagt Fätkenheuer. Die Studie verzeichnete in der Kontrollgruppe sogar mehr Nebenwirkungen als in der Remdesivir-Gruppe. In beiden Gruppen starben jedoch Menschen am Coronavirus. Die Autoren schreiben im NEJM, die Gabe antiviraler Mittel alleine reiche wahrscheinlich nicht zur Therapie aus.
Kritik an der Zulassung
Der namhafteste Kritiker in Deutschland ist Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Er betont, bisher gebe es keinen publizierten Beleg dafür, dass Remdesivir die Sterblichkeit senke. „Es gibt keine Evidenz dafür, dass wir hier Leben retten.“ Erfolgreiche Behandlung bedeute für ihn unter anderem auch substanzielle Sterblichkeitsreduktion. Und die sei nach derzeitigem Stand nicht gegeben.
„Es fehlen definitiv valide und verlässliche Langzeitergebnisse für COVID-19-Patienten“, betont Janssens zudem. „Und prinzipiell würden wir uns in der Intensivmedizin wünschen, dass solche Studienergebnisse durch eine weitere Studie bestätigt werden.“
Fätkenheuer weist die Kritik zurück: „Wenn man liest ,vier Tage weniger krank gewesen´ sagt man vielleicht: Naja, was soll’s? Macht das soviel aus? Aber es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, ob jemand auf die Intensivstation kommt und künstlich beatmet wird, oder ob ihm das erspart bleibt. Und das kann von diesem Medikament abhängen, solche Fälle haben wir in der Studie gehabt.“
Wer soll mit Remdesivir behandelt werden?
Das Mittel sei in der Studie sowohl bei leichter Symptomatik als auch bei schwer erkrankten Patienten getestet worden, berichtet Fätkenheuer. Die Studie habe gezeigt, dass vor allem Betroffene in einer frühen Phase der Krankheit von Remdesivir profitierten.
Wird das Mittel in Deutschland verfügbar sein?
Die USA haben sich zwar einen Großteil der bis September anvisierten Produktionsmenge von Remdesivir gesichert. Deutschland hat sich nach Auskunft des Gesundheitsministeriums jedoch frühzeitig Remdesivir-Vorräte gesichert. Es gebe derzeit noch genug Reserven. Er erwarte von dem US-Hersteller nach der Zulassung, „dass Deutschland und Europa versorgt werden, wenn es um ein solches Medikament geht“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag (2. Juli) im „ZDF-Morgenmagazin“.
Wo wird Remdesivir hergestellt?
Haupt-Produktionsstandort von Remdesivir ist La Verne in Kalifornien. „Allerdings haben wir unsere eigene Herstellung durch erhebliche zusätzliche Kapazitäten von mehreren Produktionspartnern in Nordamerika, Europa und Asien ergänzt“, erläuterte der Sprecher von Gilead in Deutschland, Martin Flörkemeier. Gilead habe auch Lizenzvereinbarungen mit neun Generikaherstellern in Ägypten, Indien und Pakistan abgeschlossen. Es habe die Produktion bereits erheblich gesteigert, sie könne bei einem großen Ausbruch jedoch nicht rasch weiter hochgefahren werden.
Was kostet das Medikament?
Eine fünftägige Behandlung mit Remdesivir wird nach Unternehmensangaben bei Bestellung durch die US-Regierung 2340 Dollar (etwa 2000 Euro) pro Betroffenen kosten. Dieser Nettobetrag sei auch für Deutschland geplant, versicherte Flörkemeier. Die Kosten werden in Deutschland von den Kassen bezahlt. Der Forscher Fätkenheuer kritisierte den Preis als „enorm hoch“. „Ich würde schon erwarten, dass gesamtgesellschaftliche und ethische Gesichtspunkte bei einem Medikament wie Remdesivir eine Rolle spielen“, sagte der Infektiologe dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. (vb; Quelle: Christoph Driessen, dpa)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- EMA: Summary on compassionate use Remdesivir Gilead (Stand: 03.04.2020), ema.europa.eu
- John H. Beigel, Kay M. Tomashek, Lori E. Dodd, u.a.: Remdesivir for the Treatment of Covid-19 — Preliminary Report; in: New England Journal of Medicine, 2020, nejm.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.