Mechanismen der Kurz- und Langzeitanosmie bei COVID-19 entschlüsselt
Der Verlust des Geruchssinns, in der Fachsprache Anosmie, ist eines der am häufigsten berichteten Symptome bei COVID-19. Allerdings blieb bislang unklar, über welche Mechanismen das Coronavirus SARS-CoV-2 den Geruchsverlust verursacht. In einer aktuellen Studie konnte dies nun geklärt werden.
Forschende des Institut Pasteur, des CNRS, des Inserm, der Université de Paris und des Paris Public Hospital Network (AP-HP) haben die Mechanismen untersucht, die bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu Kurz- und Langzeitanosmie führen können. Vor allem persistierende Entzündung des Epithels und des olfaktorischen Nervensystems sind demnach die Ursache. Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“ veröffentlicht
Viele Betroffene mit nicht-respiratorischen Symptomen
Obwohl es sich bei der durch das SARS-CoV-2-Virus verursachten Erkrankung COVID-19 in erster Linie um eine Atemwegserkrankung handelt, zeigen viele Betroffene auch nicht-respiratorische Symptome. Dazu gehört ein plötzlicher Verlust des Geruchssinns bei Personen. Allerdings blieb die konkrete Ursache hierfür unklar.
Vermutet wurde beispielsweise, dass ein vorübergehendes Ödem der Riechspalte den Luftstrom hemmt, der Geruchsmoleküle zu den Riechneuronen transportiert (das bekannte Gefühl einer verstopften Nase, das bei einer Erkältung auftritt) den Geruchsverlust auslöst, erläutern die Forschenden.
Mechanismen der COVID-19-bedingten Anosmie analysiert
In der aktuellen Studie hat das Forschungsteam nun anhand von Untersuchungen an COVID-19-Erkrankten und ergänzenden Tests in einem Tiermodell die ursächlichen Mechanismen der COVID-19-bedingten Anosmie analysiert. Demnach infiziert SARS-CoV-2 sensorische Neuronen und verursacht eine Entzündung des Epithels und des olfaktorischen Nervensystems. Zudem sei bei Betroffenen mit Langzeitanosmie eine anhaltenden Entzündung des Epithels und des olfaktorischen Nervensystems sowie einer dauerhaften Präsenz des Virus im olfaktorischen Epithel nachweisbar.
Weiterhin sei im Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion eine chronologische Abfolge folgender Punkte an der Anosmie beteiligt:
- Zilien, die von sensorischen Neuronen getragen werden, gehen verloren. Diese Flimmerhärchen ermöglichen den sensorischen Neuronen, Geruchsmoleküle zu empfangen;
- Virusausbreitung in den sensorischen Neuronen;
- Störung der Integrität des Riechepithels (Sinnesorgan), verbunden mit Apoptose (Zelltod);
- Virusausbreitung im Bulbus olfactorius, der die erste zerebrale Relaisstation im olfaktorischen System darstellt;
- Entzündung und virale RNA in verschiedenen Regionen des Gehirns.
„Wir haben beobachtet, dass SARS-CoV-2 nicht nur die sensorischen Neuronen, sondern auch den Geruchsnerv und die Geruchsnervenzentren im Gehirn infiziert”, erläutert Pierre-Marie Lledo vom Institut Pasteur.
„Unseren Ergebnissen zufolge kann der Verlust des Geruchssinns bei COVID-19 bei einigen Patienten über mehrere Monate anhalten, und diese Persistenz der klinischen Symptome kann auf die Persistenz des Virus und die Entzündung in der Riechschleimhaut zurückgeführt werden“, ergänzt Marc Lecuit, Leiter der Abteilung für Infektionsbiologie am Institut Pasteur.
Einfallstor ins Gehirn
Zudem sei eine wichtige Erkenntnis der Studie, dass die Infektion der olfaktorischen Neuronen ein Einfallstor für die Viren zum Gehirn darstellen könnte, was auch eine mögliche Erklärung dafür sei, warum einige Betroffene verschiedene psychologische (Angststörungen, Depressionen) und neurologische Beschwerden (kognitive Einschränkungen, Anfälligkeit für die Entwicklung einer neurodegenerativen Erkrankung) entwickeln.
Auswirkungen auf die Test
Ein unerwartetes Ergebnis der Studie war außerdem, „dass Nasopharyngealabstriche mit Standard-RT-qPCR negativ getestet werden können, auch wenn das Virus noch im hinteren Teil der Nasenhöhle, im olfaktorischen Epithel, vorhanden ist“, berichtet das Forschungsteam. Dies müsse bei den Test von Betroffenen mit Geruchsverlust berücksichtigt werden. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Guilherme Dias de Melo, Françoise Lazarini, Sylvain Levallois, Charlotte Hautefort, Vincent Michel, Florence Larrous, Benjamin Verillaud, Caroline Aparicio, Sebastien Wagner, Gilles Gheusi, Lauriane Kergoat, Etienne Kornobis, Flora Donati, Thomas Cokelaer, Rémi Hervochon, Yoann Madec, Emmanuel Roze, Dominique Salmon, Hervé Bourhy, Marc Lecuit, Pierre-Marie Lledo: COVID-19-related anosmia is associated with viral persistence and inflammation in human olfactory epithelium and brain infection in hamsters; in: Science Translational Medicine (veröffentlicht 03.05.2021), sciencemag.org
- Institut Pasteur: COVID-19: Discovery of the mechanisms of short- and long-term anosmia (veröffentlicht 12.05.2021), pasteur.fr
Wichtiger Hinweis:
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