Warum SARS-CoV-2-Escape-Mutationen gefährlich sind
Sich schnell ausbreitende Varianten des COVID-19 verursachenden Coronavirus SARS-CoV-2 tragen Mutationen, die es dem Virus ermöglichen, einem Teil der natürlich oder der durch Impfung erzeugten Immunantwort zu entgehen. Ein internationales Forschungsteam hat nun wichtige Details darüber enthüllt, wie diese Escape-Mutationen funktionieren.
Forschende des Scripps Research Institute haben kartiert, wie wichtige Klassen von neutralisierenden Antikörpern an den ursprünglichen Pandemiestamm von SARS-CoV-2 binden. So konnte das Team nachvollziehen, wie dieser Prozess gestört wird und wie dadurch neue Varianten des Virus entstehen, wie beispielsweise die Mutanten, die erstmals in Brasilien, Großbritannien, Südafrika und Indien entdeckt wurden. Die Ergebnisse, die kürzlich im renommierten Fachjournal „Science“ vorgestellt wurden, geben Hinweise auf zukünftige Impfstoffe oder Therapien, die einen breiteren Schutz gegen Varianten bieten sollten.
Impfstrategie sollte sich nicht auf Spike-Protein beziehen
Die Forschungsarbeit hebt hervor, dass sich die bisherigen Mutationen auf eine Stelle auf dem sogenannten Spike-Protein bündeln, mit dem sich das Virus an der Wirtszelle bindet. Andere Rezeptor-Bindungsdomänen seien nicht betroffen. Co-Leitautor Dr. Meng Yuan schlägt aus diesem Grund vor, „bei der Entwicklung von Impfstoffen und Antikörpertherapien der nächsten Generation den Fokus auf andere anfällige Stellen des Virus zu legen, die tendenziell nicht von den Mutationen betroffen sind“.
Besorgniserregende Varianten
Zu den „besorgniserregenden Varianten“ von SARS-CoV-2 gehören die B.1.1.7-Varianten in Großbritannien, die B.1.351-Varianten in Südafrika, die P.1-Varianten in Brasilien und die B.1.617-Varianten in Indien. Einige dieser Corona-Mutanten scheinen infektiöser zu sein als der ursprüngliche Wuhan-Stamm. Jüngste Studien haben ergeben, dass Antikörperreaktionen, die durch eine natürliche Infektion mit dem Originalstamm oder durch Impfung erzeugt wurden, bei der Neutralisierung dieser Variantenstämme weniger effektiv sind.
Mehr Forschung an Varianten erforderlich
Aufgrund des Potenzials der Varianten, die Corona-Pandemie trotz Impfung erneut aufflammen zu lassen, fordern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der aktuellen Studie dringlich, herauszufinden, wie es den Varianten gelingt, einem Großteil der vorherigen Immunantwort im Körper zu entgehen, einschließlich der Antikörperreaktion.
Die drei häufigsten Mutationen analysiert
Die Forschenden leisteten bereits den ersten großen Schritt hierzu, indem sie drei wichtige Mutationen im SARS-CoV-2-Spike-Protein analysierten: K417N, E484K und N501Y. Alleine oder in Kombination kommen diese Mutationen in den meisten Hauptvarianten vor. Alle Mutationen befinden sich in der SARS-CoV-2-Rezeptor-Bindungsstelle, also direkt dort, wo sich das Virus an die Wirtszellen anlagert.
Antikörper verlieren ihre neutralisierende Fähigkeit
Die Forschenden testeten repräsentative Antikörper aus den wichtigsten Klassen, die auf den allgemeinen Bereich in und um die Rezeptorbindungsstelle zielen. Dabei fand die Arbeitsgruppe heraus, dass viele dieser Antikörper ihre Fähigkeit verlieren, das Virus effektiv zu binden und zu neutralisieren, wenn Mutationen vom Typ K417N, E484K oder N501Y vorhanden sind.
Bindungsstelle mit der atomaren Lupe untersucht
Mit Hilfe von strukturellen Bildgebungsverfahren kartierte das Team den relevanten Teil des Virus in atomarer Auflösung, um zu untersuchen, wie die Mutationen die Stellen beeinflussen, an denen Antikörper das Virus sonst binden und neutralisieren würden. „Diese Arbeit liefert eine strukturelle Erklärung dafür, warum Antikörper, die durch COVID-19-Impfstoffe oder eine natürliche Infektion mit dem ursprünglichen Pandemiestamm ausgelöst werden, oft unwirksam gegen diese bedenklichen Varianten sind“, betont Studienerstautor Professor Ian Wilson.
Aktualisierung der Impfstoffe möglicherweise erforderlich
Die Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass die Antikörperreaktionen auf die SARS-CoV-2-Rezeptorbindungsstelle zwar sehr stark sein können, um den ursprünglichen Wuhan-Stamm zu neutralisieren, bestimmte Varianten seien aber in der Lage, sich dieser Reaktion zu entziehen, so das Forschungsteam. Möglicherweise sei deshalb eine Aktualisierung der Impfstoffe erforderlich.
Alle wichtigen Mutationen sind an der gleichen Stelle
Gleichzeitig zeigte das Team, dass die drei viralen Schlüsselmutationen K417N, E484K und N501Y alle an der gleiche Stelle des Virus stattfinden. Die Forschenden vermuten, dass SARS-CoV-2 von Natur aus für Mutationen dieser Art anfällig ist. Andere Stellen des Virus scheinen stattdessen weniger anfällig für Mutationen zu sein. Zukünftige Strategien sollten deshalb auf Bereiche abzielen, die bislang weitgehend unbeeinflusst blieben.
Wurde der falsche Punkt im Virus angegriffen?
Laut der Arbeitsgruppe sollten sich zukünftige Impfstoffe auf Bereiche konzentrieren, die außerhalb des Spike-Proteins liegen, um so möglicherweise einen breiteren Schutz gegen SARS-CoV-2 und seine Varianten bieten zu können. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Scripps Research Institute: Scientists reveal structural details of how SARS-CoV-2 variants escape immune response (veröffentlicht: 20.05.2021), scripps.edu
- Meng Yuan1, Deli Huang, Chang-Chun D. Lee, et al.: Structural and functional ramifications of antigenic drift in recent SARS-CoV-2 variants; in: Science, 2021, science.sciencemag.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.