COVID-19: Warum manchmal eine langwierige ECMO-Therapie erforderlich ist
Viele Menschen, die sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 anstecken, entwickeln nur leichte oder gar keine Symptome. Andere Infizierte erkranken jedoch so schwer an COVID-19, dass sie im Krankenhaus und dort teils intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Ein Teil von diesen Erkrankten muss beatmet werden. Forschende haben nun neue Erkenntnisse, die erklären können, warum die Beatmung bei manchen Personen so lange dauert.
In einer aktuellen, in der Fachzeitschrift „Cell” veröffentlichten Studie hat sich gezeigt, dass bei der Mehrheit der Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19 die Lunge in außergewöhnlich starkem Ausmaß vernarbt. Fresszellen des Immunsystems spielen eine zentrale Rolle. Manche Prozesse des COVID-19-Lungenversagens ähneln dabei denen der idiopathischen Lungenfibrose, einer bisher unheilbaren Form der Lungenvernarbung. Die gestörte Narbenreaktion könnte laut den Forschenden erklären, warum die Lunge lange funktionsunfähig bleibt und eine langwierige ECMO-Therapie erfordert.
Lunge versagt ihren Dienst
Wie in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Uniklinik RWTH Aachen erklärt wird, versagt bei Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf die Lunge ihren Dienst: Das Organ ist so schwer geschädigt, dass der Körper nicht mehr genügend Sauerstoff aus der Luft aufnehmen kann.
Fachleute sprechen in solchen Fällen von einem Acute Respiratory Distress Syndrome, kurz ARDS. Betroffenen haben nur mit der Gabe von Sauerstoff, einer unterstützenden Beatmung oder sogar dem Einsatz einer künstlichen Lunge – der sogenannten ECMO – eine Chance, ein solches akutes Lungenversagen zu überleben. Die Lungenschädigung bei COVID-19 ist im Vergleich zu anderen Ursachen für ein Lungenversagen besonders schwer.
„Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19 haben oft ein sehr stark ausgeprägtes Lungenversagen“, erläutert Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité, einer der beiden korrespondierenden Leiter der Studie. „Die weitgehende Zerstörung ihrer Lungenstruktur erfordert eine invasive Beatmung oder sogar eine ECMO-Behandlung über längere Zeit und geht leider mit einer sehr hohen Sterblichkeit von etwa 50 Prozent einher.“
Ausgeprägte Vernarbung des Lungengewebes
Als Grund für die lange Dauer des Lungenversagens hatten die Forschenden unter anderem eine spezielle Form des ARDS im Verdacht, bei der das Lungengewebe vernarbt, dadurch verdickt und unelastisch wird. Schon relativ früh in der Pandemie war bei einzelnen Erkrankten ein solcher als Fibrose bezeichneter Umbau des Gewebes aufgefallen.
Die aktuelle Studie der Charité, des HIRI, des MDC, der Uniklinik RWTH Aachen und des Robert Koch-Instituts (RKI) bestätigt jetzt, dass das schwere COVID-19-bedingte Lungenversagen tatsächlich sehr oft von einer ausgeprägten Vernarbung des Lungengewebes begleitet wird. „Eine fehlgeleitete Reaktion sogenannter Makrophagen, die auch als Fresszellen des Immunsystems bekannt sind, könnte dafür mitverantwortlich sein“, so Dr. Antoine-Emmanuel Saliba, Arbeitsgruppenleiter am HIRI in Würzburg und zweiter korrespondierender Leiter der Studie.
Für die Studie untersuchten die Forscherinnen und Forscher die Lungen COVID-19-Verstorbener anhand verschiedener mikroskopischer Aufnahmen. „Bei fast allen Betroffenen haben wir enorme Schäden entdeckt: Die Lungenbläschen waren weitgehend zerstört, die Wände deutlich verdickt. Außerdem fanden wir ausgeprägte Ablagerungen von Kollagen, welches ein Hauptbestandteil von Narbengewebe ist. All dies ist charakteristisch für eine schwere Fibrose“, erklärt Prof. Dr. Peter Boor, der die Studie am Institut für Pathologie der Uniklinik RWTH Aachen geleitet hat.
„Diese Beobachtungen weisen darauf hin, dass wir es beim COVID-19-Lungenversagen mit einem sogenannten fibroproliferativen ARDS zu tun haben, also einer besonders schweren Form des Lungenversagens. Das könnte erklären, warum wir die Betroffenen so lange beatmen müssen.“
Makrophagen sammeln sich in großen Mengen an
Der Grund für das Phänomen war zunächst unklar. „Bei COVID-19 entwickelt sich ein Lungenversagen typischerweise erst in der zweiten oder dritten Woche nach Symptombeginn, wenn die Viruslast eigentlich schon wieder sinkt“, sagt Prof. Sander. „Das weist darauf hin, dass nicht die unkontrollierte Virusvermehrung zum Versagen der Lunge führt, sondern nachgeschaltete Reaktionen, beispielsweise des Immunsystems, eine Rolle spielen.“
Deshalb analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Zusammensetzung und Eigenschaften der Immunzellen in Lungenspülungen und -gewebe schwer erkrankter beziehungsweise verstorbener COVID-19-Patientinnen und -Patienten. Sie nutzten dazu modernste Methoden der Einzelzellanalyse. Mit diesen ist es möglich, jede einzelne Zelle im Detail zu betrachten.
Die Forschenden konnten so zeigen, dass sich in der Lunge von COVID-19-Betroffenen, die ein Lungenversagen entwickeln, vor allem Makrophagen in großen Mengen ansammeln. Diese Fresszellen beseitigen beispielsweise eingedrungene Erreger oder Zellabfall, sind jedoch auch an der Wundheilung und Reparatur von Gewebe beteiligt.
„Überraschenderweise zeigten die Makrophagen bei schwerem COVID-19 ähnliche Eigenschaften wie bei einer chronischen Form der Lungenvernarbung, der idiopathischen Fibrose“, so Dr. Saliba. Bei dieser unheilbaren Krankheit vernarbt die Lunge unaufhaltsam bis zum Verlust der Organfunktion. Die Ursache ist bislang unbekannt, unter allen Formen der Lungenfibrose hat sie die schlechteste Prognose.
„Die Makrophagen treten bei schwerem COVID-19 mit bestimmten Zellen des Bindegewebes in Kontakt, die für die Bildung von Narbengewebe verantwortlich sind. Diese Zellen vermehren sich stark und produzieren große Mengen Kollagen“, fügt der Experte der Einzelzellforschung an.
Virus programmiert Immunzellen um
In der Zellkultur entdeckte das Team, dass SARS-CoV-2 selbst die Fresszellen so beeinflusst, dass sie den Fibroseprozess möglicherweise befeuern. Dazu isolierten die Forscherinnen und Forscher Fresszell-Vorläufer aus dem Blut gesunder Menschen und stimulierten sie mit dem Virus. Wie eine Analyse von rund 7.000 Proteinen zeigte, produzierten die Immunzellen daraufhin verstärkt Botenstoffe, die Vernarbungsprozesse einleiten, ganz ähnlich wie bei einer idiopathischen Lungenfibrose.
„SARS-CoV-2 ist also zumindest ein möglicher Auslöser für die fehlgeleitete Reaktion der Fresszellen“, erläutert Prof. Dr. Matthias Selbach, der die Studie am MDC geleitet hat. „Das Virus vermehrt sich dabei anscheinend nicht in den Immunzellen, sondern programmiert sie um. Diesen Effekt konnten wir interessanterweise nicht beobachten, wenn wir die Makrophagen mit einem Grippevirus stimulierten. Das Influenza-Virus vermehrte sich in den Immunzellen stark. Es brachte sie aber nicht dazu, Vernarbungsprozesse zu fördern“, so der Experte.
„Unsere Daten zeigen also eindeutig Parallelen zwischen COVID-19 und der chronischen Lungenfibrose auf“, sagt Dr. Saliba. „Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für COVID-19 auch Risikofaktoren für die idiopathische Lungenfibrose sind – zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahre. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen: Bei COVID-19 ist die Vernarbung zumindest potenziell reparabel.“
Das konnten die Forschenden anhand von CT-Bildern nachvollziehen. Bei COVID-19-Erkrankten, die mit der ECMO behandelt wurden, zeigten die Aufnahmen zunächst typische milchglasartige Trübungen, die sich im Verlauf der Krankheit verdichteten und vernarbten. Bei denjenigen, die von der ECMO-Behandlung entwöhnt werden konnten und genasen, gelang es dem Körper, die Verdichtungen allmählich aufzulösen – auch wenn in manchen Fällen deutliche Vernarbungsreste zurückblieben.
Das Forschungsteam will nun genauer untersuchen, welche zellulären Prozesse dazu führen, dass sich eine Fibrose zurückbildet. „Wenn wir die Auflösung von vernarbtem Gewebe besser verstehen, können wir in Zukunft hoffentlich nicht nur COVID-19-Betroffenen, sondern auch Patientinnen und Patienten mit bisher unheilbarer Lungenfibrose helfen“, so Prof. Sander.
„Die wichtige Rolle der Makrophagen für beide Krankheiten legt außerdem nahe, dass eine Hemmung der Zellen dazu beitragen könnte, die Vernarbung zu verhindern.“ An der Charité untersuchen Forschungsgruppen zum Beispiel die Wirksamkeit einer Blockade von Rezeptoren, die den Fresszellen den Eintritt in das Lungengewebe ermöglichen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Charité – Universitätsmedizin Berlin: COVID-19-Lungenversagen: Warum Betroffene so lange beatmet werden müssen, (Abruf: 01.12.2021), Charité – Universitätsmedizin Berlin
- Wendisch D, Dietrich O, Mari T, von Stillfried S et al.: SARS-CoV-2 infection triggers profibrotic macrophage responses and lung fibrosis; in: Cell, (veröffentlicht: 30.11.2021), Cell
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.