Angeborenes Immunsystem nicht Auslöser überschießender Immunreaktionen
Schwere COVID-19-Verläufe werden in Zusammenhang mit Entgleisungen des Immunsystems gebracht, die die übermäßige Freisetzung immunologischer Botenstoffe (sogenannter Zytokinsturm) bedingen. Laut einer aktuellen Studie von Forschenden des Paul-Ehrlich-Instituts und der Universitätsklinik Freiburg spielen die Immunzellen der angeborenen Immunantwort hierbei jedoch keine relevante Rolle.
Das Forschungsteam um Professor Zoe Waibler und Dr. Martina Anzaghe vom Paul-Ehrlich-Institutt (PEI) und Professor Georg Kochs von der Universitätsklinik Freiburg hat den Effekt einer SARS-CoV-2-Infektion auf wichtige Akteure des angeborenen Immunsystems untersucht und dabei keinen Zusammenhang mit der übermäßigen Freisetzung immunologischer Botenstoffe feststellen können. Die entsprechenden Studienergebnisse wurden in dem Fachmagazin „Frontiers in Immunology“ veröffentlicht.
Zytokinsturm bei schweren Verläufen
„Eine hohe SARS-CoV-2-Viruslast ist stark mit einer überschießenden Freisetzung immunologischer Botenstoffe (Zytokinsturm) assoziiert“ und „ein Zytokinsturm bedeutet für die betroffene Person eine schlechte Prognose für den Verlauf der Erkrankung“, berichtet das PEI in einer Mitteilung zu den aktuellen Studienergebnissen. Bei kritisch kranken COVID-19-Patientinnen und -Patienten seien die Spiegel vieler Zytokine, unter anderem auch eines der wichtigsten entzündungsfördernden Zytokine, des Interleukin-6 (IL-6) deutlich erhöht.
Was passiert bei Kontakt mit SARS-CoV-2?
Bislang wurde angenommen, dass das angeborene Immunsystem bei der Zytokinproduktion und der Pathogenese bei COVID-19 eine maßgebliche Rolle spielt, weshalb die Forschungsgruppe in Laborexperimenten untersucht hat, welche Prozesse bei Kontakt von SARS-CoV-2 mit humanen dendritischen Zellen und zwei Arten von Makrophagen des angeborenen Immunsystems ablaufen.
Die Forschenden stellten fest, „dass die Zellen von SARS-CoV-2 infiziert werden und die Zellen diese Infektion gut überstehen, also nicht zerstört werden“, berichtet das PEI. Darüber hinaus habe die Infektion dieser Zellen nicht zur Freisetzung neuer Viruspartikel geführt, was dafür spreche, dass SARS-CoV-2 sich nicht in diesen Zellen vermehren kann.
Des Weiteren habe sich der Aktivierungszustand der Zellen, von dem auch abhängig ist, in welchem Ausmaß die Freisetzung von Zytokinen vermittelt wird, kaum verändert. „Tatsächlich führte die Infektion dieser Zellen nicht zu einer Ausschüttung wichtiger Zytokine. Auch eine Ko-Infektion mit anderen Viren wie z.B. Grippe(Influenza)-Viren änderte diesen Befund nicht“, so die Mitteilung des PEI.
Keine Beteiligung am Zytokinsturm
„Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass weder dendritische Zellen, noch Makrophagen relevant an der teilweise lebensbedrohlichen Entgleisung des Immunsystems bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten beteiligt sind“, resümiert Dr. Anzaghe.
Ein Ergebnis, dass durchaus im Widerspruch zu früheren Studienergebnissen steht und einen wesentlichen Beitrag bei der Aufklärung der Prozesse leisten könnte, die nach einer SARS-CoV-2-Infektion zu den teils verheerenden Immunreaktionen führen. Allerdings wurde in der Studie nur deutlich, dass die Zellen des angeborenen Immunsystems vermutlich nicht Treiber des Zytokinsturms sind. Die verantwortlichen Prozesse konnten jedoch nicht identifiziert werden. Diese gilt es daher in weiteren Studien zu ermitteln. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Marc A. Niles, Patricia Gogesch, Stefanie Kronhart, Samira Ortega Iannazzo, Georg Kochs, Zoe Waibler, Martina Anzaghe: Macrophages and Dendritic Cells Are Not the Major Source of Pro-Inflammatory Cytokines Upon SARS-CoV-2 Infection; in: Frontiers in Immunology (veröffentlicht 26.05.2021), frontiersin.org
- Paul-Ehrlich-Institut (PEI): Angeborenes Immunsystem kaum Treiber für überschießende Immunreaktion bei COVID-19 (veröffentlicht 26.05.2021), pei.de
Wichtiger Hinweis:
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