Neue Ansätze für Medikamente gegen COVID-19
Während schweren COVID-19-Verläufen kann es zu Schädigungen der Lungen kommen. Bislang war jedoch unklar, wie das Coronavirus SARS-CoV-2 die Lunge schädigt. Ein deutsches Forschungsteam konnte diese Frage nun weitgehend klären.
Eine Arbeitsgruppe der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und der Freien Universität Berlin analysierte die zellulären Mechanismen zu Beginn einer entzündlichen Lungenschädigung, die durch eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöst wurde. Dabei zeigte sich, dass das Virus die Lunge nicht direkt zerstört. Vielmehr seien entzündliche Prozesse sowie das Endothel der Lunge an der Entstehung schwerer Verläufe beteiligt. Die Ergebnisse wurden kürzlich im renommierten Fachjournal „Nature Communications“ präsentiert.
Immer noch keine Medikament gegen COVID-19
Nicht das Virus selbst, sondern die Immunantwort entscheide über die Schwere der Erkrankung, betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Vor allem in der Anfangsphase der Krankheit entscheide sich, ob es zu einer entzündlichen Lungenschädigung kommt oder nicht. Wie genau dieser Prozess abläuft, wurde nun von der Arbeitsgruppe beschrieben.
Hürden bei der COVID-19-Forschung
Trotz intensiver Forschung stehen immer noch keine effektiven Medikamente zur Behandlung von COVID-19 zur Verfügung. Ein Grund dafür ist unter anderem, dass SARS-CoV-2 die Organe nicht direkt schädigt, sondern eine überschießende Immunreaktion für die Schäden im Körper verantwortlich ist. Dies erschwert den Forschenden zufolge die Behandlung, da zunächst im Detail verstanden werden muss, wie und wo genau welche nachteiligen Prozesse im Körper ausgelöst werden. An dieser Stelle stoße die Forschung schnell an ihre Grenzen, da diese Prozesse bereits in einer sehr frühen Infektionsphase nachvollzogen werden müssen.
Im Rahmen der aktuellen Forschungsarbeit konnte das Team um Professor Dr. Martin Witzenrath anhand verfügbarer Proben von Patientinnen und Patienten sowie an Hamstern wertvolle Informationen über Mechanismen und Verlauf der Erkrankung gewinnen. Dabei konnten die Forschenden Lungenareale betrachten, die sich nur schwer untersuchen lassen. Aus diese Weise erhielten sie Einblicke in die Frühphase der Erkrankung.
Hamster erwiesen sich als aufschlussreich
Bereits während der Erforschung des Coronavirus SARS-CoV-1 erwiesen sich Hamster-Modelle als aufschlussreich. „Wir wollten wissen, ob die Modelle zur Entwicklung neuer Therapieansätze herangezogen werden können und haben versucht, Erkenntnisse aus Proben von Patientinnen und Patienten darin wiederzufinden“, erklärt Professor Witzenrath. Dabei legte die Arbeitsgruppe den Fokus auf die Endothelzellen der Lunge, also der Barriere, die die Blutgefäße auskleidet, da bereits bekannt ist, dass das Endothel der Lunge bei schwerem COVID-19 an Funktion verliert, wodurch es letztendlich zu einem Lungenversagen kommt.
Der Goldhamster ist nach Angaben der Forschungsgruppe das derzeit wichtigste Model für COVID-19, da er sich mit denselben Virusvarianten wie der Mensch infiziert, ähnliche Krankheitssymptome entwickelt und eine ähnliche Schädigung der Lunge aufweist. In ihrer aktuellen Arbeit haben die Forschenden nun eine genaue Charakterisierung der SARS-CoV-2-Infektion im Tiermodell vorgenommen und diese mit Datensätzen aus Proben von Patientinnen und Patienten untermauert.
Monozyten und Makrophagen sorgen für heftige Immunreaktion
Auf diese Weise konnte aufgezeigt werden, welche Prozesse sich in den Zellen der Lunge tatsächlich abspielen. „So konnten wir beobachten, wie bestimmte Zellen des Immunsystems in der Lunge – die Monozyten und daraus entstehende Makrophagen – das Virus aufnehmen und sehr heftig reagieren“, schildert Dr. Geraldine Nouailles aus dem Forschungsteam. Die Immunzellen senden Botenstoffe aus, die eine starke Entzündungsreaktion hervorrufen.
T-Zell-Antwort bei schwerem Verlauf zu schwach
Ausschwärmende T-Immunzellen sorgen laut Dr. Nouailles hingegen dafür, die heftige Immunantwort wieder abzudämpfen, indem die anderen Immunzellen wieder „eingefangen“ werden. „Bei schweren COVID-19-Verläufen geschieht das nicht“, betont die Charité-Wissenschaftlerin. Für eine erfolgreiche Genesung von COVID-19 sei eine schnelle und effiziente T-Zell-Antwort zentral.
Endothelzellen reagieren besonders stark auf das Virus
Diese überschießende Immunantwort finde bereits zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich SARS-CoV-2 nur langsam in der Lunge vermehrt. „Die Zerstörung des Lungengewebes bei schweren COVID-19-Verläufen wird nicht direkt durch die Vermehrung des Virus in den Zellen verursacht, sondern durch die starke Entzündungsreaktion“, folgert Dr. Emanuel Wyler aus der Arbeitsgruppe. Dies scheine insbesondere auf die Endothelzellen in der Lunge zuzutreffen. Sie reagieren stark auf das Virus – obwohl sie weder direkt infiziert noch durch das Virus geschädigt werden.
Bei schwerem Verlauf könne es so aufgrund von verschlossenen Blutgefäßen und instabilen Gefäßwänden zu einem akuten Lungenversagen kommen. Bleibt die überschießende Immunantwort aus, spiele ein Gefäßschaden sehr wahrscheinlich keine Rolle. Zwar haben die Forschenden erwartet, dass das Endothel bei COVID-19 aktiviert wird, „dass diese Zellen zugleich aktiver Motor der Entzündung sind, hat uns eher überrascht“, berichtet Professor Witzenrath.
Endothelzellen als Therapieziel
„Man könnte demnach auf zwei Arten therapeutisch an diesen für den Krankheitsverlauf zentralen Zellen angreifen“, so Witzenrath. Zum einen könne man versuchen, die Endothelbarriere mit Wirkstoffen abzudichten. Zum anderen könne probiert werden, das Endothel zu beruhigen. Erste Versuche in diese Richtung waren nach Angaben der Forschenden bereits erfolgversprechend. Des weiteren werden entzündungshemmende Medikamente gegen COVID-19 getestet, die an der Immunreaktion ansetzen und die Aktivität der Monozyten und Makrophagen bremsen sollen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Nouailles, G., Wyler, E., Pennitz, P. et al. Temporal omics analysis in Syrian hamsters unravel cellular effector responses to moderate COVID-19; in: Nature Communications, 2021, nature.com
- Charité – Universitätsmedizin Berlin: Lungenschäden bei COVID-19-Erkrankungen verstehen (veröffentlicht: 11.08.2021), charite.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.