COVID-19: „Achillesverse“ des Coronavirus entdeckt
Weltweit wurden schon mehr als 200 Millionen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 gemeldet. Der Großteil der Menschen hat die durch den Erreger verursachte Krankheit COVID-19 überstanden. Viele von ihnen fühlen sich daher auf der sicheren Seite. Doch Forschende berichten nun, dass rund zwanzig Prozent der Genesenen keinen Immunschutz entwickeln.
Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wird intensiv nach Möglichkeiten zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 geforscht. Ein Forschungsteam aus Österreich berichtet nun, die „Achillesferse“ des Erregers gefunden zu haben. Ihre Studie wurde vor kurzem in dem Fachjournal „Allergy“ veröffentlicht.
Andockstelle ändert sich auch bei Mutanten nicht wesentlich
Laut einer aktuellen Mitteilung kam ein Forschungsteam um den Allergologen und Immunologen Rudolf Valenta vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität (MedUni) Wien zu dem Resultat, dass rund zwanzig Prozent von an COVID-19 genesenen Menschen keinen Immunschutz gegen SARS-CoV-2 entwickeln.
In einer Studie zeigte sich, dass der entscheidende Immunschutz, der das Andocken und Eindringen in die Körperzellen verhindert, nur dann entsteht, wenn man Antikörper speziell gegen die gefaltete Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des Spikeproteins bilden kann.
Den Forschenden zufolge ändert sich diese Andockstelle auch bei Virusmutanten nicht wesentlich. Manchen Menschen ist das aber aus unterschiedlichen Ursachen nicht möglich. Abhilfe könnte ein Antigen-basierter, auf RBD abzielender Impfstoff schaffen, der jedoch noch nicht zur Verfügung steht.
Keine schützenden Antikörper
Ein Forschungsteam um den Studienleiter Rudolf Valenta und Winfried F. Pickl vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien untersuchte vor einem Jahr anhand einer ersten Kohorte genesener COVID-19-Patientinnen und -Patienten mit mildem Krankheitsverlauf den Status ihrer Immunität.
Schon damals zeigte sich unter anderem, dass ein beträchtlicher Teil der Infizierten keine schützenden Antikörper gegen SARS-CoV-2 bilden konnte. In der jetzt publizierten Folgestudie analysierten Valenta und sein Team die Antikörperantwort einer größeren Kohorte nach milder und schwerer SARS-CoV-2 Infektion.
Wie es in der Mitteilung heißt, erfolgte die Studie mit Hilfe der an der MedUni Wien entwickelten Mikroarray (Chip)- Technologie, wobei eine Vielzahl an Virus-Antigenen auf einen Chip in mikroskopischer Größe maschinell aufgebracht werden.
Zusätzlich wurden überlappende Eiweißbruchstücke (Peptide) dieser Virusantigene darauf fixiert, die das ganze Spikeprotein abdecken, auf dem die RBD sitzt. Mit dieser bindet das Coronavirus an den ACE2- Rezeptor der menschlichen Zellen.
Antikörper-Antwort gegen das gefaltete Protein
Die Erwartung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war, dass eine Immunreaktion auf die Peptide erfolgen würde, doch es kam nur gegenüber dem intakten, dreidimensional gefalteten Spikeprotein zu Antikörperbildung.
Denn Proteine erhalten ihre dreidimensionale Gestalt durch den physikalisch bedingten Prozess der Eiweiß-Faltung. SARS-CoV-2 benötigt zum Andocken an die Körperzellen offenbar das dreidimensional gefaltete Protein. Ausschließlich eine Antikörper-Antwort gegen das gefaltete Protein, nicht jedoch gegen Teile davon, schützt gegen die Infektion.
Daraus ergibt sich laut den Forschenden eine wesentliche Schlussfolgerung: Hohe Antikörperspiegel gegen das gefaltete Spikeprotein und insbesondere gegen die darin enthaltene RBD verhindern die Bindung des Virus an die menschlichen Körperzellen. Wenn jemand aber keine Antikörper gegen die gefaltete RBD bilden kann, ist er wenig geschützt.
„Achillesferse“ des Virus ausnützen
Die Forscherinnen und Forscher zeigten auch, dass nur die gefaltete RBD, nicht jedoch ungefaltete RBD bei Immunisierung einen Immunschutz erzeugt. Weil die derzeit in Verwendung stehenden genetischen Impfstoffe eine Infektion nachahmen, ist es deswegen möglich, dass Impfdurchbrüche durch mangelnde Entwicklung von Antikörpern gegen gefaltetes RBD erklärbar sind.
Somit lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Menschen, die in ausreichender Menge Antikörper gegen die gefaltete RBD bilden, gegen SARS-CoV-2 Infektionen geschützt sind. Solche Antikörper sind im Blut durch Neutralisationstests gut messbar.
Doch leider funktioniert die Produktion dieser Antikörper bei zwanzig Prozent der Genesenen – und wahrscheinlich auch Geimpften – nicht.
„Die Entwicklung eines mittels Helfer-Eiweißes verstärkten, auf RBD basierenden Antigen-Impfstoffes ist dringend erforderlich. Dieser würde in großer Effektivität RBD-spezifische und damit neutralisierende Antikörper induzieren, deren Spiegel durch Auffrischungsimpfungen hochgehalten werden könnte“, erklärt Valenta.
Laut dem Wissenschaftler ließe sich so auch die „Achillesferse“ des Virus ausnützen, dessen Andockstelle sich bei Mutationen nicht wesentlich ändere. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Wien: Immunität gegen SARS-CoV-2: Andockstelle des Spikeproteins ist die Achillesferse des Virus, (Abruf: 31.08.2021), Medizinische Universität Wien
- Pia Gattinger, Katarzyna Niespodziana, Karin Stiasny, Sabina Sahanic, Inna Tulaeva, Kristina Borochova, Yulia Dorofeeva, Thomas Schlederer, Thomas Sonnweber, Gerhard Hofer, Renata Kiss, Bernhard Kratzer, Doris Trapin, Peter A.Tauber, Arno Rottalg, Ulrike Körmöczi, Melanie Feichter, Milena Weber, Margarete FockeTejkl, Judith Löffler-Ragg, Bernhard Mühl, Anna Kropfmüller, Walter Keller, Frank Stolz, Rainer Henning, Ivan Tancevski, Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Winfried F. Pickl, Rudolf Valenta: Neutralization of SARS-CoV-2 requires antibodies against conformational receptor-binding domain epitopes; in: Allergy, (veröffentlicht: 28.08.2021), Allergy
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.