Schnellere COVID-19-Genesung durch Weglassen von Bluthochdruck-Mitteln?
Zwischen 20 und 30 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Bluthochdruck. Die gängigste Therapie ist die Einnahme von Blutdrucksenkern wie ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern. Ein deutsch-österreichisches Forschungsteam fand nun heraus, dass die Einnahme solcher Medikamente den Genesungsprozess bei COVID-19 zu beeinflussen scheint.
Forschende der Medizinischen Universität Innsbruck und der Ludwig-Maximilians-Universität München legen nahe, dass sich das zeitweise Absetzen von ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern günstig auf die Erholungsphase bei akutem COVID-19 auswirken könnte. Die Schwere der Erkrankung werde aber nicht beeinflusst. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „The Lancet Respiratory Medicine“ vorgestellt.
Keine Bluthochdruck-Mittel-Einnahme bei COVID-19?
Vor allem ältere COVID-19-Betroffene mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnten von einem zeitweisen Weglassen der Bluthochdruck-Mittel profitieren, schlägt die Arbeitsgruppe vor. Die Therapieentscheidung müsse aber individuell mit dem behandelnden Arzt, beziehungsweise der Ärztin getroffen werden.
Zusammenhang zwischen Blutdrucksenkern und SARS-Cov-2
Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie waren Kardiologinnen und Kardiologen verunsichert darüber, ob Medikamente aus der Gruppe der ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker schuld daran sein könnten, dass so viele Betroffene mit Herzkrankheiten einen schweren COVID-19-Verlauf erlitten. Die Vermutung lag insofern nahe, dass die Wirkstoffe in das Renin-Angiotensin-System eingreifen und somit den ACE2-Rezeptor hochregulieren. ACE2 dient dem Coronavirus SARS-COV-2 wiederum als Eintrittspforte in menschliche Zellen.
Dies wäre schon allein aus dem Grund relevant, da Medikamente dieser Gruppe zu den am meisten verordneten Arzneimitteln der Welt gehören. Sie werden bei weitverbreiteten Erkrankungen wie beispielsweise arterieller Bluthochdruck, Herzschwäche und Diabetes mellitus eingesetzt.
Beschleunigt das zeitweise Absetzen der Mittel die Genesung?
Ein Forschungsteam der Medizinischen Universität Innsbruck sowie des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München wollte deshalb herausfinden, ob sich das zeitweise Absetzen der Medikamente positiv auf den Verlauf von COVID-19 auswirken würde. „Es bestand in der Fachgemeinschaft Konsens, dass nur kontrollierte, randomisierte Interventionsstudien diese dringende Frage klären können“, unterstreichen die beiden verantwortlichen Studienautoren Axel Bauer (Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Medizin Uni Innsbruck) und Steffen Massberg (Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am LMU Klinikum).
Ablauf der Studie
Zwischen April 2020 und Februar 2021 wurden im Rahmen der Studie 204 Teilnehmende ausgewählt, die sich mit dem Coronavirus SARS-Cov-2 infiziert hatten und zudem unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung litten. Die Probandinnen und Probanden wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. In der einen Gruppe setzten die Teilnehmenden für 30 Tage die Blutdrucksenker für 30 Tage ab, in der anderen Gruppe wurde die Einnahme fortgesetzt. Bei allen teilnehmenden Personen wurden täglich alle relevanten Organfunktionen durch standardisierte Tests dokumentiert, um etwaige Effekte zu erfassen.
Schnellere Genesung beim Pausieren von Blutdrucksenkern
Es zeigte sich, dass die maximale Schwere der Erkrankung nicht durch die Einnahme, beziehungsweise durch das Weglassen der Bluthochdruck-Medikamente beeinflusst wurde. Diejenigen, die die Einnahme pausierten, erholten sich jedoch schneller von COVID-19 als diejenigen, die die Einnahme fortführten. Nach 30 Tagen wurden in der Gruppe, die die Blutdrucksenker wegließ, nur noch halb so viel Organschädigungen festgestellt, wie in der Kontrollgruppe.
Effekt bei älteren Personen am stärksten
„Im Gegensatz zu bisherigen Studien, die deutlich jüngere Patientinnen und Patienten eingeschlossen haben, liefert unsere Studie erstmals Hinweise, dass gerade ältere, vorerkrankte Personen von einem zeitweisen Pausieren einer Therapie mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern profitieren könnten“, resümieren Axel Bauer und Steffen Massberg.
Zu früh für Verallgemeinerung
Die Forschenden betonen jedoch, dass es derzeit noch zu früh ist, diese Erkenntnisse zu verallgemeinern. Es könne im Einzelfall sinnvoll sein, die Einnahme bestimmter Blutdrucksenker während akutem COVID-19 zeitweise auszusetzen. Die Entscheidung müsse jedoch zusammen mit einer Ärztin oder einem Arzt getroffen werden. Zudem sollte der Zugang zu ambulanten Überwachungsmöglichkeiten gegeben sein. „In jedem Fall ist es wichtig, dass mit der Einnahme der wichtigen Medikamente nach überstandener Erkrankung auch wieder begonnen wird“, stellen die Forschenden klar. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Medizinische Universität Innsbruck: Klinische Studie zu Blutdrucksenkern bei COVID-19: Pausieren beschleunigt möglicherweise die Genesung (veröffentlicht: 12.06.2021), i-med.ac.at
- Axel Bauer, Michael Schreinlechner, Nikolay Sappler, et al.: Discontinuation versus continuation of renin-angiotensin-system inhibitors in COVID-19 (ACEI-COVID): a prospective, parallel group, randomised, controlled, open-label trial; in: The Lancet Respiratory Medicine, 2021, thelancet.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.