Darmflora: Wie kommunizieren Darmbakterien mit dem Gehirn?
Der Darm kommuniziert über die sogenannte Darm-Hirn-Achse mit dem Gehirn. Dies konnte in früheren Studien bereits belegt werden. Wie genau diese Kommunikation stattfindet, konnte bislang jedoch nicht im Detail nachvollzogen werden. Nun identifizierte ein englisches Forschungsteam Darmbakterien, die die Kommunikation zwischen Darm und Hirn maßgeblich beeinflussen.
Forschende des Quadram-Institut sowie der University of East Anglia in Großbritannien konnten entschlüsseln, wie bestimmte Darmbakterien die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn ermöglichen. Die Ergebnisse wurden in dem Fachjournal „Gut Microbes“ vorgestellt.
Einfluss der Darmflora reicht bis ins Gehirn
Das Mikrobiom im Darm, oft als Darmflora bezeichnet, ist eine komplexe Gemeinschaft aus Bakterien, Viren, Pilzen und anderen Mikroben. Die Kleinstlebewesen sind der wichtigste Regulator für die Funktion des Darms.
Doch wie Studien der letzten Jahre immer wieder zeigten, reicht der Einfluss der Darmbakterien weit über den Darm hinaus – bis zum Gehirn.
Die neue Forschungsarbeit liefert wichtige Puzzlestücke, um das Bild der Darm-Hirn-Achse zu vervollständigen. Laut der Studie beeinflussen Bakterien, die in der Darmschleimhaut leben, das Gehirn und können sogar an der Entstehung neurologischer Störungen beteiligt sein.
Weitreichende Gehirn-Veränderungen ohne Darmflora
An einer Gruppe von Mäusen, die so gezüchtet wurde, dass sie keine Darmflora aufbauen, konnte die Arbeitsgruppe zahlreiche Defekte in der Gehirnfunktion sowie in der Gehirnentwicklung dokumentieren, wie beispielsweise
- Funktionsstörungen in der Blut-Hirn-Schranke,
- Funktionsstörungen bei den Mikrogliazellen (Immunzellen, die die Immunreaktionen im Gehirn koordinieren),
- Veränderungen bei der Bildung von neuen Nervenzellen (Neurogenese),
- Veränderungen bei der Anpassungsfähigkeit der Gehirn-Neuronen.
Stuhltransplantation beeinflusst Darm-Hirn-Kommunikation
Aus früheren Studien war zudem bekannt, dass ein Übertragung des Darmmikrobioms mittels einer Stuhltransplantation Einfluss auf die Signalübertragung zwischen Darm und Hirn hat.
Bislang gab es allerdings nur wenige Informationen darüber, wie einzelne Darmbakterien in der Lage sind, diese Kommunikation zu beeinflussen.
Zuckermoleküle in der Darmschleimhaut
Wie die Arbeitsgruppe an Mäusen mit gesundem Darmmikrobiom herausfand, sind einige Bakterien im Darm in der Lage, bestimmte Zuckermoleküle aus der Ernährung zu nutzen. Dabei handelt es sich um sogenannte Mucin-Glykane, die sich mit Proteinen in der Darmschleimhaut verbinden.
Das Bakterium Ruminococcus gnavus
Die Mucin-Glykane sind also eng mit dem Gewebe des Darms verbunden. Eine bestimmte Bakterienart namens Ruminococcus gnavus, die sich von diesen Zuckermolekülen ernährt, hat engen Kontakt mit den Darmzellen in der Darmschleimhaut.
R. gnavus ist auch ein weit verbreitetes Mitglied der menschlichen Darmflora. Diese Art der Darmbakterien besiedelt den Darm schon in der frühen Kindheit. Die Population bleibt bis ins hohe Erwachsenenalter bestehen.
Das Bakterium wurde in früheren Studien bereits mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in Verbindung gebracht. Auch konnte bei Betroffenen mit allgemeinen Angststörungen, Migräne, Depressionen oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen eine Überpopulation von R. gnavus festgestellt werden.
R. gnavus setzt Metaboliten in der Darmschleimhaut frei
In der aktuellen Forschungsarbeit konnte das Forschungsteam nun aufzeigen, wie sich R. gnavus in der Darmschleimhaut ansiedelt und sich dort von den oben erwähnten Mucin-Glykanen ernährt. Dabei setzen die Bakterien Metaboliten frei, von denen bekannt ist, dass sie die Gehirnfunktion beeinflussen.
Bei einem dieser Metaboliten handelt es sich beispielsweise um Tryptamin, einen Metabolit, der die Freisetzung des Neurotransmitters Serotonin im Darm auslöst. Serotonin hat wiederum Einfluss auf die Stimmung, die Schmerzwahrnehmung und auf den Schlaf-Wach-Rhythmus.
Gehirnfunktion änderte sich durch Stuhltransplantation
Zurück zu den Mäusen: Nachdem die Tiere ohne Darmflora per Stuhltransplantation das Darmmikrobiom der gesunden Tiere erhielten, konnten die Forschenden beobachten, wie sich das Bakterium R. gnavus in der Darmschleimhaut ansiedelte.
Kurz darauf konnte das Team Veränderungen in der Regulierung sowie bei der Funktion des Gehirns feststellen.
Unter anderem kam es zu einer höheren Aktivierung des Mikroglia-Immunsystems und der Neurogenese in der Hirnregion Hippocampus. Die Tiere wiesen zudem eine erhöhte Konzentrationen von Metaboliten auf, die von R. gnavus ausgeschüttet werden.
R. gnavus maßgeblich an Darm-Hirn-Kommunikation beteiligt
Insgesamt legt die Forschungsarbeit nahe, dass das in der Darmschleimhaut lebende Bakterium Ruminococcus gnavus maßgeblich an der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn beteiligt ist. Eine Über- oder Unterpopulation scheint darüber hinaus mit krankhaften Prozessen verbunden zu sein.
Neue Wege zur Behandlung neurologischer Störungen
Die Beeinflussung des Darmmikrobioms über die Ernährung oder über andere Therapien wie beispielsweise Stuhltransplantationen bieten neue Ansatzpunkte für den Erhalt der geistigen Gesundheit beziehungsweise für die Therapie neurologischer Störungen. Vorher müssen die Erkenntnisse jedoch erst im Rahmen von klinischen Studien an Menschen bestätigt werden. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Nathalie Juge, Erika Coletto, Dimitrios Latousakis, et al.: The role of the mucin-glycan foraging Ruminococcus gnavus in the communication between the gut and the brain; in: Gut Microbes (2022), DOI: 10.1080/19490976.2022.2073784
- Quadram-Institut: How do microbes living in our gut modulate brain and behaviour? (veröffentlicht: 24.05.2022), quadram.ac.uk
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.