Entstehung der Darmflora erforscht
Das Darmmikrobiom, im Volksmund oft als Darmflora bezeichnet, ist ein Ökosystem im menschlichen Darmtrakt, welches sich aus mehreren Tausend unterschiedlichen Mikroorganismen zusammensetzen kann. Wie aktuelle Forschungsarbeiten belegen, beeinflusst die Darmflora unsere gesamte Gesundheit, die Fruchtbarkeit und sogar die Lebenserwartung. Doch wie entsteht dieses Mikrobiom überhaupt?
Forschende der Carnegie Institution of Science in Baltimore (USA) enthüllten im Rahmen einer aktuellen Studie entscheidende Details darüber, wie eine Darmflora entsteht und welche Faktoren die Zusammensetzung beeinflussen. Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „PNAS“ vorgestellt. Die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeitsgruppe sind:
- Bereits vorhandene Darmbakterien entscheiden mit darüber, ob neue Darmbakterien in die Gemeinschaft aufgenommen werden.
- Die Chancen für die Neuansiedlung eines Bakteriums sind berechenbar.
- Einige Darmbakterienarten unterstützen sich gegenseitig und können besser koexistieren als andere.
- Die Kenntnis über die Einflussfaktoren kann Therapien verbessern, die auf die Darmflora abzielen.
Nur wenige Therapien zielen auf die Darmflora ab
Obwohl der Einfluss der Darmflora auf unsere gesamte Gesundheit umfassend und weitreichend ist, gibt es bislang wenige Therapien, die auf das Mikrobiom im Darm abzielen. Einige Beispiele hierfür sind Stuhltransplantationen oder die Verabreichung von Probiotika.
Unter anderem liegt das magere Angebot an Behandlungen daran, dass das Zusammenspiel der Darmbakterien als nicht ausreichend verstanden gilt und sich von Person zu Person unterscheidet. „Es gibt große Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms zwischen den einzelnen Personen“, bestätigt Forschungsleiter William Ludington.
Zahlreiche Faktoren beeinflussen die Zusammensetzung
Beeinflusst wird die individuelle Zusammensetzung einer Darmflora durch zahlreiche komplexe Prozesse. Unter anderem sind Genetik, Ernährung und Umwelt wichtige Einflüsse. Doch auch der Zufall entscheidet darüber, ob sich ein neues Bakterium in unserem Darm ansiedelt oder nicht.
Wie gliedern sich neue Bakterien in eine Darmflora ein?
Die Forschungsgruppe um Ludington hat sich zum Ziel gesetzt, diese Einflussfaktoren besser zu verstehen. Hierzu haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein neues Modell entwickelt, mit dem nachvollzogen werden konnte, ob und wie sich neue Bakterienarten erfolgreich in ein Darmmikrobiom eingliedern.
Dazu verwendeten die Forschenden das Darmmikrobiom von Fruchtfliegen, welches im Vergleich zum Menschen weniger kompliziert ist. Das Team fand unter anderem heraus, dass selbst typische Bakterienarten nicht zwangsweise in die Gemeinschaft der Darmbakterien aufgenommen werden. Wie gut die Chancen stehen, ob eine neue Bakterienart im Darm Fuß fassen kann, hängt laut der Arbeitsgruppe vor allem von den Wechselwirkungen der ansässigen Mikroorganismen ab.
Unterschiede selbst bei gleichen Bedingungen
„Selbst bei genetisch identischen Fliegen, die in der gleichen Behausung lebten und mit dem gleichen Futter gefüttert wurden, konnten wir Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms feststellen“, erläutert David Sivak aus dem Forschungsteam.
Anhand der gesammelten Daten erstellte die Arbeitsgruppe ein mathematisches Modell, mit dem immer umfangreichere Szenarien für die Zusammensetzung einer Darmflora berechnet werden konnten. Mit jeder neuen Bakterienart stieg die Komplexität.
Party im Darm
„Stellen Sie sich die Zusammensetzung des Mikrobioms wie eine große Party vor, bei der die soziale Dynamik bestimmt, wer früh geht und wer bis zum Morgengrauen bleibt“, verdeutlicht Ludington.
„Wir haben zum Beispiel gezeigt, dass einige Artengruppen sich gegenseitig die Besiedlung erleichtern und daher eher koexistieren können“, ergänzt Studienerstautor Jean Carlson.
Diese Interaktionen zwischen den Bakterienarten haben einen massiven Einfluss darauf, ob es neuen Arten gelingt, im Darm ansässig zu werden. Therapien, die auf das Mikrobiom im Darm abzielen, könnten wesentlich erfolgreicher sein, wenn solche Faktoren berücksichtigt würden.
Die Chancen sind berechenbar
Laut Carlson ist die erfolgreiche Besiedlung zwar letztendlich ein „Würfelwurf“, doch das Forschungsteam konnte nun immerhin die „Gewichtung des Würfels auf biologische Interaktionen mit einer molekularen Grundlage“ zurückführen.
Erster Schritt Richtung personalisierter Mikrobiom-Medizin
Die Ergebnisse könnten einen wichtigen Einfluss auf Therapien wie Fäkaltransplantationen oder Probiotika haben. Die Erfolgsaussichten solcher Therapien könnten mit der Kenntnis über Interaktionen zwischen Darmbakterien besser bestimmt werden. Laut den Forschenden ist dies der erste Schritt zu einer „personalisierten Mikrobiom-Medizin“. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Carnegie Institution of Science: Your Microbiome Shapes Your Life. But Where Did It Come From? (veröffentlicht: 09.02.2022), carnegiescience.edu
- Eric W. Jones, Jean M. Carlson, David A. Sivak, William B. Ludington, et al.: Stochastic microbiome assembly depends on context; in: PNAS (2022), pnas.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.