Einfluss von Medikamenten auf die Darmflora
Häufig verwendete Medikamente können sich in Darmbakterien anreichern, was zu einer Veränderung der bakteriellen Funktion und des Darmmikrobioms beiträgt und möglicherweise sogar die Wirksamkeit des eingenommenen Medikaments reduziert.
In einer Studie unter der Beteiligung von Forschenden des European Molecular Biology Laboratory und der University of Cambridge wurde festgestellt, dass eine Anreicherung von Medikamenten in menschlichen Darmbakterien die bakterielle Funktion verändern und dazu beitragen kann, dass Medikamente nicht mehr so wirksam sind. Die Untersuchung wurde in dem englischsprachigen Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
Darmbakterien akkumulieren Arzneimittel
Es sei bereits bekannt, dass Bakterien einige Medikamente chemisch verändern können. Dieser Prozess wird als Biotransformation bezeichnet, berichtet das Team. Bei der aktuellen Studie wurde nun zum ersten Mal gezeigt, dass bestimmte Arten von Darmbakterien menschliche Arzneimittel akkumulieren und sich dadurch die Arten von Bakterien in der Darmflora und deren Aktivität verändern.
Veränderte Wirksamkeit von Medikamenten
Dies könnte nach Ansicht der Fachleute die Wirksamkeit des Medikaments verändern, sowohl direkt, da die Anreicherung die Verfügbarkeit des Medikaments für den Körper verringern kann, als auch indirekt, da eine veränderte Bakterienfunktion und -zusammensetzung mit Nebenwirkungen verbunden sein könnte.
Rolle des Darmmikrobioms bei der Gesundheit
Der menschliche Darm enthält natürlicherweise Gemeinschaften von Hunderten verschiedener Bakterienarten. Die Zusammensetzung der Bakterienarten sei von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, und es habe sich bereits gezeigt, dass sie mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung stehen, berichten die Forschenden.
In der neuen Studie wurden 25 gängige Darmbakterien gezüchtet und deren Interaktionen mit 15 oral eingenommenen Medikamenten untersucht. Dabei wurden Medikamente so ausgewählt, dass sie eine Reihe verschiedener gängiger Arzneimittel repräsentieren.
Insgesamt wurden 375 Tests mit Bakterien und Medikamenten durchgeführt. So fand das Team 70 Wechselwirkungen zwischen den Bakterien und den untersuchten Arzneimitteln, von denen 29 zuvor noch nicht beschrieben wurden. Das Team stellte fest, dass sich bei 17 der 29 neuen Wechselwirkungen das Medikament innerhalb der Bakterien anreicherte, ohne dabei verändert zu werden.
„Es war überraschend, dass die Mehrzahl der neuen Wechselwirkungen, die wir zwischen Bakterien und Arzneimitteln sahen, die Arzneimittel waren, die sich in den Bakterien anreicherten, da man bisher annahm, dass die Biotransformation der Hauptweg sei, auf dem Bakterien die Verfügbarkeit von Arzneimitteln beeinflussen“, erklärt Studienautor Dr. Kiran Patil in einer Pressemitteilung.
„Es handelt sich dabei wahrscheinlich um sehr persönliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen, je nach Zusammensetzung ihrer Darmmikrobiota. Wir haben sogar Unterschiede zwischen verschiedenen Stämmen der gleichen Bakterienart festgestellt“, fügt der Experte hinzu.
Beispiele für Medikamente, die sich in den Bakterien anreicherten, seien das Antidepressivum Duloxetin und das Antidiabetikum Rosiglitazon. Bei einigen Medikamenten wie Montelukast und Roflumilast traten unterschiedliche Veränderungen in verschiedenen Bakterien auf. Sie wurden von einigen Bakterienarten akkumuliert und von anderen verändert, so die Forschenden.
Antidepressivum veränderte Stoffwechselprodukte
Das Team stellte fest, dass Bioakkumulation von Medikamenten den Stoffwechsel der akkumulierenden Bakterien verändert. So band sich beispielsweise das Antidepressivum Duloxetin an mehrere Stoffwechselenzyme in den Bakterien und veränderte deren ausgeschiedene Stoffwechselprodukte.
Bei einer kleinen Gemeinschaft aus mehreren Bakterienarten stellten die Forschenden fest, dass das Antidepressivum Duloxetin das Gleichgewicht der Bakterienarten dramatisch veränderte. Das Medikament veränderte die Moleküle, die von den arzneimittelanreichernden Bakterien produziert wurden und von denen sich andere Bakterien ernährten, so dass die konsumierenden Bakterien viel stärker wuchsen und die Zusammensetzung der Gemeinschaft aus dem Gleichgewicht brachten.
Auswirkungen von Duloxetin auf Fadenwürmer
Die Auswirkungen wurden dann an einem Fadenwurm (C. Elegans) getestet, welcher häufig zur Untersuchung von Darmbakterien verwendet wird. Bei Würmern, die mit den Bakterienarten gezüchtet wurden, welche das Medikament nachweislich anreichern, veränderte sich das Verhalten der Würmer nach der Duloxetin-Exposition im Vergleich zu Würmern, welche mit Bakterien gezüchtet wurden, die kein Duloxetin anreichern, so das Team.
Mikrobiom sollte wie Organe behandelt werden
Erst jetzt werde erkannt, dass Medikamente und das Mikrobiom sich gegenseitig beeinflussen, was entscheidende Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Menschen müssen anfangen, das Mikrobiom wie ein Organ zu behandeln, betont Studienautor Dr. Peer Bork.
Als nächstes möchte das Team herausfinden, wie Darmbakterien mit den unterschiedlichen individuellen Reaktionen auf Medikamente wie Antidepressiva zusammenhängen. Durch eine Charakterisierung wie Menschen in Abhängigkeit von der Zusammensetzung ihres Mikrobioms auf Medikamente ansprechen, könnte die Behandlung individualisiert werden.
„Diese Studie unterstreicht die Bedeutung des Mikrobioms für die Verabreichung, Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten“, berichtet Dr. Megan Dowie. Die Forschenden weisen darauf hin, dass sich die Ergebnisse der Studie nur auf im Labor gezüchtete Bakterien beziehen und nun weitere Forschung erforderlich sei. (as)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Martina Klünemann, Sergej Andrejev, Sonja Blasche, Andre Mateus, Prasad Phapale, et al.: Bioaccumulation of therapeutic drugs by human gut bacteria; in: Nature (veröffentlicht 08.09.2021), Nature
- UK Research and Innovation: Common medications accumulate in gut bacteria, which may reduce drug effectiveness and alter the gut microbiome (veröffentlicht 08.09.2021), UK Research and Innovation
Wichtiger Hinweis:
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