Antike Stuhlproben können Hinweise auf moderne Krankheiten liefern
Anhand von 2.000 Jahre alten getrockneten Exkrementen haben Forschende das Darmmikrobiom früherer Menschen untersucht und dabei drastische Unterschiede zu der Zusammensetzung der Darmflora heutiger Populationen festgestellt. Viele nützliche Darmbakterien scheinen demnach im Zuge der Industrialisierung und der Umstellung der Ernährungsgewohnheiten verloren gegangen zu sein.
Die Zusammensetzung der Darmflora wird mit weitreichenden Auswirkungen auf die Gesundheit in Zusammenhang gebracht. Zudem haben die Ernährung und Umwelteinflüsse ihrerseits Auswirkungen auf das Darmmikrobiom. Das Forschungsteam um Dr. Aleksandar Kostic vom Joslin Diabetes Center (USA) hat sich daher die Frage gestellt, wie ein gesundes menschliches Mikrobiom vor den Auswirkungen der Industrialisierung ausgesehen haben könnte. Anhand uralter getrockneter menschlicher Fäkalien versuchten sie, diese Frage zu klären.
Darmflora beeinflusst die Gesundheit
Die Auswirkungen der Darmflora auf die Gesundheit sind in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in den Fokus der Forschung gerückt. So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Joslin Diabetes Center (USA) zum Beispiel in frühere Studien bereits nachweisen, dass Kinder in industrialisierten Regionen, die viel häufiger an Typ-1-Diabetes erkrankten als Kinder in nicht-industrialisierten Gebieten, auch sehr unterschiedliche Zusammensetzungen der Darmflora aufweisen.
„Wir waren in der Lage, spezifische Mikroben und mikrobielle Produkte zu identifizieren, von denen wir glauben, dass sie eine gute Immunausbildung im frühen Leben behindern (..) und das führt später zu einem höheren Auftreten nicht nur von Typ-1-Diabetes, sondern auch von anderen Autoimmun- und allergischen Erkrankungen“; erläutert Dr. Aleksandar Kostic. Die Industrialisierung scheint demnach mit deutlichen negativen Folgen für die Darmflora und die allgemeine Gesundheit verbunden.
Darmmikrobiom durch Industrialisierung verändert
Wie die Darmflora ohne Industrialisierung aussehen würde, lässt sich jedoch bei keinem modern lebenden Menschen untersuchen, da beispielsweise selbst die zurückgezogen im Amazonasgebiet lebenden indigene Stämme mit Einflüssen der modernen Welt in Kontakt kommen, so Dr. Kostic. Dies habe sich zuletzt am Beispiel von COVID-19 gezeigt.
Der Archäologe Steven LeBlanc, früher am Harvard’s Peabody Museum of Archaeology and Ethnology tätig, habe Kostic jedoch mit der Idee konfrontiert, die mikrobielle DNA in sogenannten Paläo-Fäkalienproben (ausgetrocknete Exkremente) zu untersuchen, um die Zusammensetzung der Darmflora früherer Generationen zu bestimmen. Das Forschungsteam entschloss sich, den menschlichem Paläo-Kot zu analysieren, der in ungewöhnlich trockenen Höhlen in Utah und Nord-Mexiko gefunden wurde.
Antiken Stuhlproben untersucht
Die Forschenden führten eine detaillierte Genomsequenzierung bei acht außergewöhnlich gut erhaltenen antiken Stuhlproben durch, von denen manche auf das erste Jahrhundert der heutigen Zeitrechnung datiert wurden. Die Ergebnisse wurden mit der mikrobiellen DNA in 789 Stuhlproben von Menschen aus der heutigen Zeit verglichen. Etwas mehr als die Hälfte der modernen Proben stammte von Menschen, die sich „industrialisiert und westlich“ ernährten, der Rest von Menschen, die „nicht-industrialisierte“ Lebensmittel konsumierten (meist in der eigenen Gemeinschaft angebaut).
Frappierende Unterschiede in der Darmflora
„Die Unterschiede zwischen den Mikrobiom-Populationen waren frappierend“, berichtet das Forschungsteam. So sei zum Beispiel das Bakterium namens Treponema succinifaciens in keinem Mikrobiom der modernen Menschen mit westlicher Ernährung feststellbar gewesen, „aber in jedem einzelnen der acht antiken Mikrobiome“, so Kostic. Insgesamt hätten die Proben moderner Menschen, die nicht-industrialisierte Lebensmittel nutzten, mehr Gemeinsamkeiten mit der Darmflora früher Generationen aufgewiesen.
Allerdings wurden fast 40 Prozent der Mikrobenarten in den antiken Stuhlproben noch nie zuvor nachgewiesen. Eine mögliche Erklärung sei, dass in früheren Kulturen die Lebensmittel, die man aß, sehr vielfältig waren, was auch die Vielfalt der Mikroben im Darm förderte. Mit den Veränderungen hin zur der modernen Ernährung ging diese Vielfalt jedoch verloren.
Das Forschungsteam stellte zudem fest, dass bei der heutigen Zusammensetzung der Darmflora die mikrobiellen Populationen wesentlich mehr Gene aufweisen, die mit Antibiotikaresistenzen zusammenhängen. Zudem waren in den neuen Proben mehr Gene nachweisbar, die Proteine produzieren, welche die Darmschleimschicht abbauen, was wiederum zu Entzündungen führen kann, die mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht werden so das Forschungsteam.
Bei den früheren Menschen sei auch eine höhere Anzahl an sogenannten Transposasen (transponierbare Elemente aus DNA-Sequenzen, die ihre Position im Genom verändern können) nachweisbar gewesen, „was eine Strategie für die Mikroben sein könnte, sich in einer Umgebung anzupassen, die sich viel mehr verändert als das moderne industrielle Mikrobiom, wo wir mehr oder weniger das ganze Jahr über die gleichen Dinge essen und das gleiche Leben führen”, erläutert Kostic.
Wird die Darmflora vererbt?
Die Forschenden konnten auch die umstrittene Frage klären, ob das Darmmikrobiom von Generation zu Generation weitergegeben wird oder ob sie sich hauptsächlich aufgrund von Umwelteinflüssen entwickelt. Anhand der Abstammungslinie des Bakteriums Methanobrevibacter smithii in den alten Proben sei deutlich geworden, dass seine Entwicklung mit einem gemeinsamen Stamm übereinstimmt, der ungefähr auf die Zeit datiert wurde, als die Menschen erstmals über die Beringstraße nach Nordamerika wanderten. „Diese Mikroben sind, genau wie unsere eigenen Genome, mit uns gereist“, so Kostic. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Marsha C. Wibowo, Zhen Yang, Maxime Borry, Alexander Hübner, Kun D. Huang, Braden T. Tierney, Samuel Zimmerman, Francisco Barajas-Olmos, Cecilia Contreras-Cubas, Humberto García-Ortiz, Angélica Martínez-Hernández, Jacob M. Luber, Philipp Kirstahler, Tre Blohm, Francis E. Smiley, Richard Arnold, Sonia A. Ballal, Sünje Johanna Pamp, Julia Russ, Frank Maixner, Omar Rota-Stabelli, Nicola Segata, Karl Reinhard, Lorena Orozco, Christina Warinner, Meradeth Snow, Steven LeBlanc & Aleksandar D. Kostic: Reconstruction of ancient microbial genomes from the human gut; in: Nature (veröffentlicht 12.05.2021), nature.com
- Joslin Diabetes Center: Ancient gut microbiomes may offer clues to modern diseases (veröffentlicht 12.05.2021), joslin.org
Wichtiger Hinweis:
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