Darmkrebs: Identifizierte Proteine sind vielversprechende Ziele für neue Immuntherapien
Mit der Immuntherapie wurden in den letzten Jahren bei einigen Krebsarten bahnbrechende Erfolge erzielt. Doch die meisten Fälle von Darmkrebs sprechen auf diese Behandlungen nicht an. Forschende berichten jetzt aber, dass sie neue Angriffspunkte für die Immuntherapie bei Darmkrebs identifiziert haben.
Immuntherapien waren bislang nur bei einer kleinen Untergruppe von Darmkrebsarten wirksam. Ein Forschungsteam der Technischen Universität (TU) Dresden hat jetzt Proteine identifiziert, die vielversprechende Ziele für neue Immuntherapien gegen Darmkrebs darstellen könnten. Ihre Ergebnisse unterstreichen auch die zentrale Rolle von Darmbakterien bei der Entstehung dieser Krankheit. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Immunity“ veröffentlicht.
Krebszellen verstecken sich vor dem Immunsystem
Wie in einer Mitteilung der TU Dresden erklärt wird, kann unser Körper Krebszellen auf natürliche Weise beseitigen. Jeden Tag kann das Immunsystem mutierte Zellen in unserem Körper entdecken und sie zerstören.
Doch hin und wieder finden Krebszellen einen Weg, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Die Zellen entwickeln molekulare Signale, die Immunzellen daran hindern, sie als Bedrohung zu erkennen. Neben anderen Strategien ermöglicht das den Krebszellen, sich zu vermehren und zu Tumoren heranzuwachsen.
Das Verständnis des molekularen Mechanismus hinter diesen Prozessen ermöglichte die Entwicklung neuer Krebsbehandlungen, der sogenannten Immuntherapien.
Diese Behandlungen können das Immunsystem von Erkrankten dazu bringen, sich gegen den Tumor zu richten und sein Wachstum zu bremsen, und so zumindest bei einem Teil der Patientinnen und Patienten eine dauerhafte Kontrolle des Tumors ermöglichen.
Nicht bei allen Krebsarten wirksam
Die derzeitigen Immuntherapien sind aber nicht bei allen Krebsarten wirksam. Die meisten Fälle von Darmkrebs, einer der am häufigsten diagnostizierten Krebsarten, sprechen auf diese Therapien nicht an.
Jetzt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Dresden unter der Leitung von Prof. Sebastian Zeißig einen neuen Mechanismus beschrieben, über den sich Darmkrebszellen vor dem Immunsystem verstecken können.
Ihre Forschungsergebnisse stellen möglicherweise einen ersten Schritt zur Entwicklung neuer Immuntherapien dar, die bei der Behandlung von Darmkrebs wirksam sein könnten.
Proteine in Darmkrebszellen blockiert
Die Hemmung der Immunzellen wird durch spezielle Signale, sogenannte Checkpoint-Proteine, auf der Oberfläche der Krebszellen ermöglicht. Bei den derzeitigen Immuntherapien werden Medikamente, sogenannte Checkpoint-Inhibitoren, eingesetzt, welche sich gegen eine kleine Anzahl bekannter Checkpoint-Proteine richten.
Leider spricht auf diesen Ansatz lediglich eine kleine Untergruppe von Darmkrebsfällen an. „Dies warf die Frage auf, ob es andere Checkpoint-Proteine gibt, die vielversprechendere Ziele für eine Immuntherapie bei Darmkrebs darstellen könnten“, so Studienautor Dr. Kenneth Peuker.
Forscherinnen und Forscher analysierten Darmkrebsproben und suchten nach Proteinen, die in den Tumorzellen, nicht aber im gesunden Gewebe vorkommen. Zwei Proteine weckten ihr Interesse: B7H3 und B7H4 waren in großer Zahl in Darmkrebszellen vorhanden, während sie im gesunden Gewebe fast nicht nachweisbar waren.
Das Team beschloss, die beiden Proteine in Darmkrebszellen zu blockieren. „Das Ergebnis war verblüffend. Tumorgewebe, in dem diese Signale ausgeschaltet waren, wuchs deutlich langsamer oder schrumpfte sogar. Wir konnten beobachten, dass die Immunzellen nun in das Krebsgewebe eindringen konnten und begannen, die Tumorzellen zu kontrollieren“, sagt Dr. Peuker.
Weitere Tests bestätigten, dass B7H3 und B7H4 tatsächlich als Checkpoint-Proteine funktionieren. „Durch die Blockierung dieser Signale konnte das Immunsystem plötzlich Tumorzellen angreifen“, fügt Prof. Zeißig vom Universitätsklinikum Dresden und dem Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden, hinzu.
Die Forschenden stellten fest, dass B7H3 und B7H4 nicht nur in den primären Darmkrebstumoren, sondern auch in den Metastasen in der Leber vorhanden waren. Das Ausschalten dieser Proteine verlangsamte das Wachstum der Primärtumore, jedoch auch der Lebermetastasen.
Es wurde beobachtet, dass einige der behandelten Mäuse trotz ihrer metastasierenden Tumore langfristig überlebten.
Zusammenhang zwischen Darmflora und Tumorwachstum
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler charakterisierten eine breite Kaskade von Ereignissen, die es dem Darmkrebs ermöglichen, seine Fähigkeit zur Blockierung von Immunzellen zu entwickeln. Das Team konnte zeigen, dass die Durchbrechung der Darmbarriere ein entscheidender Schritt in diesem Prozess ist.
Wird die Darmbarriere an den Stellen der Tumorentwicklung durchbrochen, können Bakterien, die normalerweise im Darm vorhanden sind, plötzlich in das umliegende Gewebe eindringen. Das gilt als wichtiges frühes Ereignis bei der Entstehung von Darmkrebs.
Jetzt konnten die Forschenden zeigen, dass diese bakteriellen Ausreißer den Darmkrebszellen als Auslöser dienen, um sich vor dem Immunsystem zu verstecken. „Wir haben festgestellt, dass die im Gewebe vorhandenen Zellen die eindringenden Bakterien erkennen können“, erläutert Dr. Peuker.
„Dies wiederum setzt eine ganze Kaskade von Schritten in Gang. Die daraus resultierende molekulare Kommunikation zwischen den Zellen führt schließlich dazu, dass die Krebszellen B7H3 und B7H4 auf ihrer Oberfläche ausbilden und sich vor dem Immunsystem verstecken.“
Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass der Einsatz von Breitbandantibiotika zur Zerstörung der eingedrungenen Darmbakterien auch die Tumorgröße und das Ausmaß der Lebermetastasen verringerte.
„Unsere Ergebnisse zeigen einen neuen wichtigen Zusammenhang zwischen der Darmflora und dem Tumorwachstum bei Darmkrebs. Diesem Aspekt möchten wir in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit widmen“, so Prof. Zeißig.
Vielversprechender Ausblick auf künftige Krebstherapien
Die Ergebnisse der neuen Studie stammen überwiegend aus der Forschung an Mäusen, bieten laut den Fachleuten aber einen vielversprechenden Ausblick auf künftige Krebstherapien für den Menschen.
Wie Prof. Zeißig erklärt, haben die Analysen menschlicher Proben gezeigt, dass B7H3 und B7H4 auch in menschlichen Darmkrebszellen vorkommen und dass ihr Vorhandensein mit einem reduziertem Überleben bei Darmkrebspatientinnen und -patienten korreliert.
Die beiden Proteine sind auch in gesundem Gewebe bei Menschen kaum nachweisbar. Dies deute darauf hin, dass ihre gezielte Blockade sicher sein könnte. „Wir hoffen, dass unsere Arbeit als Grundlage für neue Studien dienen wird, die sich mit der Wirksamkeit von B7H3 und B7H4 bei menschlichem Darmkrebs befassen werden“, sagt Prof. Zeißig. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Technische Universität Dresden: Neue Angriffspunkte für die Immuntherapie bei Darmkrebs identifiziert, (Abruf: 03.04.2022), Technische Universität Dresden
- Kenneth Peuker, Anne Strigli, Daniele V. F. Tauriello, Alexander Hendricks, Witigo von Schönfels, Greta Burmeister, Mario Brosch, Alexander Herrmann, Sandra Krüger, Jessica Nitsche, Lea Južnić, Marc Marius Geissler, Andreas Hiergeist, André Gessner, Jakob Wirbel, Ruby Priyadarshini Ponnudurai, Antje Tunger, Rebekka Wehner, Daniel E. Stange, Jürgen Weitz, Daniela E. Aust, Gustavo B. Baretton, Marc Schmitz, Christoph Röcken, Jochen Hampe, Sebastian Hinz, Georg Zeller, Triantafyllos Chavakis, Clemens Schafmayer, Eduard Batlle, Sebastian Zeissig: Microbiota-dependent activation of the myeloid calcineurin-NFAT pathway inhibits B7H3- and B7H4-dependent anti-tumor immunity in colorectal cancer; in: Immunity, (veröffentlicht: 31.03.2022), Immunity
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.