Klinik-Demenzversorgung: Schlafmedikamente und unnötige Fixierungen
30.08.2014
Im Rahmen einer Studie wurde die bislang größte Befragung in der Pflege zur Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus durchgeführt. Es zeigte sich, dass fast jeder 4. Patient in deutschen Klinken an Demenz leidet. Viele Patienten erhalten Schlafmedikamente und werden unnötig ans Bett gefesselt.
Fast jeder vierte Klinik-Patient leidet an Demenz
Mit dem Pflege-Thermometer 2014 hat das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) in Köln die bislang größte Befragung in der Pflege zur Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus veröffentlicht. Dafür wurden über 1.800 Stations- und Abteilungsleitungen aus Krankenhäusern aus dem gesamten Bundesgebiet befragt. Die Ergebnisse der von der B. Braun-Stiftung geförderten Studie zeigen, dass das Thema eine herausragende Bedeutung für die Gesundheitsversorgung hat. Laut der Untersuchung litt fast jeder vierte Patient auf den befragten Stationen (23%) an einer Demenz. „Menschen mit Demenz sind keine Randerscheinung mehr im Krankenhaus“, schreiben die Forscher. Zudem muss künftig mit einem weiteren Anstieg gerechnet werden. Im Jahr 2000 lag der Anteil der über 75-jährigen stationär behandelten Patienten im Jahr noch bei 18 Prozent, 2012 waren es bereits 25 Prozent.
Genaue Zahl der Patienten schwer zu ermitteln
Allerdings ist die genaue Zahl der betroffenen Patienten in den rund 2.000 deutschen Klinken schwer zu ermitteln. Demenz ist oft nur eine nicht erfasste Nebendiagnose, wenn Senioren etwa wegen eines Bruchs oder einer Herzerkrankung auf einer Station aufgenommen werden. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft analysiert: „Vielfach werden Demenzerkrankungen erst während des Klinikaufenthaltes bemerkt.“ In der Studie, die kostenlos heruntergeladen werden kann (http://www.dip.de), wurden nun gravierende Umsetzungsprobleme von geeigneten Versorgungskonzepten offenbart. Dabei spiele auch der zunehmende Personalmangel in der Pflege eine Rolle.
Versorgung von Demenzkranken nachts und an Wochenenden unzureichend gesichert
Eigentlich sind die Besonderheiten in der Betreuung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus mittlerweile bekannt. Die Patienten fühlen sich in der ungewohnten Umgebung oft orientierungslos, haben Angst, versuchen die Klinik zu verlassen und können bei Diagnose, Behandlung und Körperpflege nicht mitwirken. Sie brauchen mehr Zeit und mehr Beaufsichtigung, um vor Gefahren geschützt zu werden und Orientierung zu erhalten. Doch die Studienergebnisse zeigen, dass gerade nachts Versorgungsengpässe auftreten. „Acht von zehn befragten Stationen geben an, dass die Versorgung von demenzkranken Menschen vor allem nachts unzureichend gesichert ist“, teilte der Leiter der Studie, Prof. Michael Isfort, mit. Aber auch tagsüber an den Wochenenden offenbaren sich Probleme. „Diese Mangelsituation führt nicht selten zu unnötiger Verabreichung von Schlafmedikamenten und häufig zu fragwürdigen Fesselungen von Patienten, so genannten Fixierungen“, erklärte Isfort weiter.
Massenhaft sedierende Medikamente und unnötige Fixierungen
Bei den Befragten der Studie wurden im Zeitraum von nur einer Woche rund 7.600-mal Medikamente zur Sedierung bei Patienten mit Demenz verabreicht und über 1.450-mal wurden körpernahe Fixierungen vorgenommen. Auf alle Krankenhäuser in Deutschland hochgerechnet schätzen die Forscher vom dip, dass pro Jahr rund 2,6 Millionen sedierende Medikamente verabreicht werden und etwa 500.000 meist unnötige Fixierungen durchgeführt werden. In der Vergangenheit wurden in vielen Projekten zur Verbesserung der Demenzversorgung in Kliniken vielversprechende Ansätze erprobt, die aber bislang kaum umgesetzt werden. Lediglich auf einer von zehn Stationen werden Konzepte, wie tagesstrukturierende Maßnahmen oder auch die Schulung von Demenzbeauftragten im Krankenhaus, eingesetzt.
Sorgen der Pflege in Kliniken ernst nehmen
Von den befragten Leitungskräften werden vor allem das fallpauschalierte Vergütungssystem sowie der hohe Wirtschaftlichkeitsdruck für die Versorgungsdefizite verantwortlich gemacht. Doch auch die ausgedünnte Personaldecke spiele eine Rolle. „Es ist an der Zeit, die Sorgen der Pflege im Krankenhaus ernst zu nehmen“, meinte Isfort. „Während man bei der Pflegeversicherung die Finanzierung der Betreuung für Menschen mit Demenz verbessert hat, warten die Krankenhäuser bislang darauf, dass erhöhte Leistungen und die Sicherstellung der Pflege durch gute Konzepte auch abrechnet werden können. Auch das hemmt entscheidend die Versorgungsqualität“, so der Studien-Leiter.
Psychopharmaka in Seniorenheimen
Nicht nur in Krankenhäusern werden Menschen unnötigerweise oft mit Medikamenten einfach nur ruhiggestellt. Auch in Seniorenheimen passiert dies. Wie vor zwei Monaten berichtet, werden in der Altenpflege massenhaft Psychopharmaka eingesetzt, und zwar nicht nur zur Behandlung psychisch Kranker, sondern um Heimbewohner ruhig zu stellen. So hatte die Münchner Heimaufsicht in einem Bericht von einem „bedenklichen Umgang mit Psychopharmaka“, gesprochen. Eine damals gestartete Initiative des Amtsgerichts München, welches für mehr als 100 Alten- und Pflegeheime zuständig ist, solle ein „wichtiger Schritt zur Reduzierung der Psychopharmaka-Gabe“ sein. Amtsgerichtspräsident Gerhard Zierl gab sich hoffnungsvoll: „Ich bin zuversichtlich, dass die neue Initiative die Lebensqualität der Heimbewohner verbessern und das gegenseitige Vertrauen fördern wird. Die Freiheitsrechte des einzelnen zu achten und zu schützen und so lang wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen ist eine grundlegende Verpflichtung unserer Gesellschaft.“ (ad)
Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.