Kindliche Depressionen werden oft verkannt
02.03.2015
Eltern appellieren oft an ihren Nachwuchs: „Stell dich nicht so an“ oder fordern die Kleinen auf: „Lach doch mal ein bisschen“. Doch weder das eine noch das andere ist hilfreich. Immer öfter stellen Ärzte bei Kindern und Jugendlichen eine Depression fest. Kinder- und Jugendpsychiater in Deutschland sind alarmiert.
Diagnosen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen
Die „Volkskrankheit“ Depression, die nach allgemeiner Ansicht Erwachsene trifft, holt offenbar immer öfter auch Kinder und Jugendliche ein. Wie Gerd Schulte-Körne von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität München einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa zufolge erklärte, sei die Zahl entsprechender Diagnosen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. „Es gibt eine dramatische Zunahme im ambulanten und stationären Bereich“, so der Experte, der vom 4. bis 7. März den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) leitet. In München werden dann rund 2.000 Kinder- und Jugendpsychiater über „Veränderte Gesellschaft – Veränderte Familien“ und die Herausforderungen an Kindheit und Jugend diskutieren.
Eltern, Freunde und Lehrer sind heute aufmerksamer
„Wenn ein Kind länger traurig war und sich zurückgezogen hat, hat man das früher nicht ernst genommen“, erläuterte Schulte-Körne. Doch dies könne der Anfang einer depressiven Phase sein, die unbehandelt in Alkohol, Drogen, einer chronischen Depression oder gar Selbstmord enden kann. Eltern, Freunde und Lehrer seien allerdings heute aufmerksamer. Hinweise auf eine Depression können unter anderem grundlose Bauchschmerzen, innere Unruhe, große Müdigkeit und Aggressionen sein. Fachärzte stellen bei zwei bis vier Prozent der Kinder im Grundschulalter eine depressive Episode von mehreren Wochen oder Monaten fest. Bei Jugendlichen sind es 14 Prozent und damit fast so viel wie bei Erwachsenen mit 20 Prozent. „Wir haben so viele Kinder, die depressiv erkrankt sind. Aber wir haben immer noch ganz wenig Wissen, wie wir ihnen helfen können“, erklärte Schulte-Körne. Zumindest gebe es erstmals Behandlungsleitlinien: Sport, Lichttherapie, Gespräch und nur im Notfall Medikamente.
Schulische Überforderung und Mobbing in sozialen Netzwerken
Aber selbst Fachärzte würden noch immer ungeeignete Gesprächsmethoden oder Medikamente anwenden. Ganz allgemein werden Depressionen bei Kindern unterschätzt. Laut DGKJP sind neben der Pubertät unter anderem auch schulische Überforderung und Mobbing in der Schule oder sozialen Netzwerken Gründe für die hohen Zahlen bei Jugendlichen. Wie es heißt, sind fast 30 Prozent der Schüler damit konfrontiert. Rund die Hälfte von ihnen spricht jedoch nicht darüber und schämt sich für das „eigene Versagen“. „Stress durch Belästigung und Beschimpfung ist ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor für Depression“, so Schulte-Körne. Zudem kommen die exzessive Nutzung des Internets und damit ein veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus erschwerend hinzu. „Durch veränderte Lebenswelten haben die Kinder auch weniger Möglichkeiten zu kompensieren – sie gehen viel weniger raus.“ Und das obwohl gerade frische Luft, Licht und Bewegung die beste Therapie sind.
Traumatische Erfahrungen ein Hauptrisiko für psychische Störungen
Ein frühes Trauma bleibt ein Hauptrisiko für psychische Störungen. „Am meisten betroffen sind Kinder, die frühe traumatische Erfahrungen hinter sich haben: Sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung“, erklärte Schulte-Körne. „Wir wissen, dass das immer noch relativ häufig passiert – und oft weggeguckt wird.“ Und das, trotz der ganzen Aufklärung. Darüber hinaus sind auch Flüchtlingskinder stark gefährdet, die nach traumatischen Ereignissen immer öfter auch ohne Eltern Zuflucht in Deutschland suchen. Der Zugang zu ärztlicher Hilfe ist in Unterkünften und Heimen jedoch extrem erschwert. „Die Kommunen haben noch nicht erkannt, dass die Traumafolgen der jugendlichen Flüchtlinge zu erheblichen psychischen Problemen führen können und daher fachärztliche Behandlung bedürfen“, so Schulte-Körne.
Streit und Trennung der Eltern erhöhen Risiko
Auch Trennungen der Eltern erhöhen das Risiko. So ergab eine Studie am Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung der Universität München, dass Kinder bei Trennungen unter vielfältigen Faktoren leiden. Dazu zählen der Streit der Eltern, der Druck, sich mit einem Elternteil zu verbünden, die Umstellung auf neue Partner der Eltern und finanzielle Belastungen. Das Team um Sabine Walper fand aber auch heraus, dass eine Trennung oft kaum mehr belastet als Dauerkrach der Eltern. „Wie versuchen, dass wir Kinder bei Trennungen und in schwierigen Familiensituationen früh begleiten“, erläuterte Schulte-Körne. Sie erklärte weiter: „Wir müssen frühzeitig in Familien gehen, in denen die Eltern schon depressiv erkrankt sind.“ Die Krankheit bedeutet auch Stress für die Kinder, die damit stärker gefährdet sind.
Genetische Veranlagung für Depressionen
Wie die dpa schreibt, gibt es tatsächlich auch eine genetische Veranlagung, wofür das Gen FKBP5 ein Beispiel ist. Demnach hat jeder zweite Mensch eine bestimmte Variante dieses Gens, das anfälliger für Stress macht. „Bei jedem kleinen Stress wird mehr Stresshormon ausgeschüttet. Die Menschen haben mehr Schwierigkeiten wieder runterzukommen“, erklärte Elisabeth Binder vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie. „Wenn man dann ein Trauma in der Kindheit erlebt, hat man ein deutlich höheres Risiko, an Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung zu erkranken.“ Wichtiges Ziel ist: „Wie können wir verhindern, dass es zu Erkrankungen kommt?“ Die Forschung steht noch am Anfang. Insbesondere bei Kindern ist die Bedeutung des Gens weitgehend unerforscht. Derzeit läuft eine Studie an der Charité in Berlin in Zusammenarbeit mit dem MPI. Allerdings wird es Jahre dauern, bis Ergebnisse vorliegen, die dann möglicherweise eine bessere Behandlung oder Prävention ermöglichen.
Risiko von depressiven Episoden mindern
Auch wenn man Depressionen Experten zufolge nicht immer vorbeugen kann, können doch bestimmte Faktoren helfen, das Risiko von sogenannten depressiven Episoden zu mindern. Dazu zählen zum Beispiel sportliche Aktivitäten wie Radfahren oder Schwimmen, aber auch Methoden zum Stressabbau. Dafür bieten sich unter anderem Entspannungstechniken wie Yoga, Autogenes Training, Tai Chi oder Progressive Muskelrelaxation an. Darüber hinaus kann eine Aromatherapie dazu beitragen, das Wohlbefinden zu verbessern und den Abbau von Druck und Anspannung begünstigen. (ad)
>Bild: Paulwip / pixelio.de
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