Die Seele leidet beim Schlaganfall
30.10.2013
Schlaganfälle zählen zu den schweren Erkrankungen des Gehirns. Bei Betroffenen verändert sich von einem auf den anderen Moment das ganze Leben. Oft kommt er ohne Vorankündigung. Unterscheiden lassen sich dabei grob die plötzlich auftretende Minderdurchblutung, auch Hirninfarkt genannt, und die akute Hirnblutung. Sie gehören zu den häufigsten Erkrankungen und sind die dritthäufigsten Todesursachen in Deutschland. Dabei kann schnelles Handeln die Überlebens- und Rehabilitationschancen enorm erhöhen. Neben den großen körperlichen Einschränkungen, leiden Betroffene eines Schlaganfalls häufig auch an einer Depression, die mit der psychischen Belastung einhergeht.
Oft auch psychisches Leid
"Eine Depression, die nach Schlaganfall diagnostiziert wird, wird medizinisch als Post Stroke Depression (PSD) bezeichnet", erklärt Professor Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie am Charité-Universitätsklinikum in Berlin. Mehr als 30 Prozent aller Schlaganfallpatienten entwickeln depressive Symptome, die behandelt werden müssen. Der Arzt muss klar unterscheiden können, ob Betroffene nur an einer depressiven Verstimmung leiden, oder ob es sich um eine richtige Depression handelt. Wegen den schwerwiegenden körperlichen Schädigungen, die Schlaganfälle auslösen können, wird bei der Nachuntersuchung oftmals die psychische Begutachtung vernachlässigt und übersehen, so dass der Patient zusätzlich zu seinen körperlichen Einschränkungen auch an einer PSD leidet.
"Ärzte müssen deshalb sensibilisiert werden, um auch die Möglichkeit der PSD bei jedem Schlaganfallpatienten in Betracht zu ziehen", sagte Endres, der auch Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft ist, anlässlich des Welt-Schlaganfall-Tages am 29. Oktober.
Dies ist die große Herausforderung in diesem Bereich. Ärzte sollten erkennen, wie es in dem Patienten nach solch einem harten Schicksalsschlag aussieht. Bei Zweifeln ist es ratsam auch Angehörige zu interviewen. Es ist nicht immer leicht nachvollziehbar, in wieweit eine ans Bett oder an den Rollstuhl gefesselte Person unter Antriebslosigkeit, die sich dann als Depressionen verfestigt, leidet.
Die körperlichen Einschränkungen des Erkrankten erschweren häufig eine Diagnose. So kann oftmals nicht nach dem emotionalen Befinden gefragt werden, da Sprachstörungen oder gar Lähmungen die Kommunikation behindern. "Bei schweren körperlichen Beeinträchtigungen ist nur mit besonderem Fingerspitzengefühl, reichlich Erfahrung und Menschenkenntnis möglich, eine PSD zweifelsfrei zu erkennen", so Endres. Erschwerend für den behandelnden Arzt ist auch, dass nicht eindeutig geklärt ist welche Ursachen hauptsächlich für eine PSD verantwortlich sind.
So könnten die Minderversorgung der Gehirnzellen mit Sauerstoff durchaus zu mentalen Problemen führen. "Es gibt Hinweise darauf, dass Schädigungen in bestimmten Hirnregionen zu einem Anstieg der PSD führen können", weiß Endres. "Besonders spannend ist für uns als Neurologen, zu erforschen, welche biologischen Vorgänge im Gehirn zu welchen psychischen Auswirkungen führen können. Es ist wahrscheinlich, dass die PSD nicht nur eine reaktive Depression ist, sondern biologische Veränderungen im Gehirn nach einem Schlaganfall zu einem Dominoeffekt führen, der sogar langfristig psychisch nachwirken kann", erklärt Endres.
Fest steht jedenfalls, dass je größer das geschädigte Hirnvolumen nach einem Schlaganfall ist, auch das Risiko einer Post Stroke Depression steigt. Menschen, die bereits vor einem Schlaganfall unter Depressionen litten, sind noch stärker gefährdet.
PSD-Symptome ähneln Depression
Die Symptome einer PSD sind mit denen einer Depression identisch. Um eine Depression nach Schlaganfall zu diagnostizieren, können Ärzte auf die Diagnostik-Leitlinien für Depressionen zurückgreifen. Neben den klassischen Symptomen wie Antriebslosigkeit, Interessenverlust, Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen, können sich auch Anpassungsschwierigkeiten bemerkbar machen. "Werden fünf bis sechs Merkmale der ICD-10-Leitlinien erkannt und halten diese Zustände länger als vierzehn Tage bei einem Schlaganfallpatienten an, dann sollte therapeutisch gehandelt werden", betont Endres. ‘Die Diagnose PSD kann nicht nur das Leben des Patienten in Gefahr bringen, sondern auch die Heilungs- und Rehabilitationschancen verringern. Das haben Untersuchungen gezeigt. Wichtig ist, dass Patienten viel Zeit, Kraft und Disziplin für Rehabilitationsmaßnahmen aufbringen, um die Schädigungen so gering wie möglich zu halten. Für mehr als zwei Drittel aller Schlaganfallpatienten sind alle Bemühungen bereits vor Beginn vergebens. Sie müssen Bewegung und Sprache neu erlernen. Wer dabei aufgibt und freudlos und ohne Hoffnung an eine Besserung denkt, wird bei der Rehabilitation auch nur bedingt Erfolg haben. PSD reduziert nicht nur die ohnehin schon geringere Lebensqualität, sondern erhöht nachweisbar auch die Sterblichkeitsrate.
Keine Antidepressiva zur Prophylaxe
Schlaganfallpatienten, die eindeutig an einer Post Stroke Depression leiden, werden heute medikamentös mit modernen Antidepressiva behandelt. "Die bei Depressionen üblicherweise verwendeten sogenannten trizyklischen Präparate verwendet man bei PSD jedoch nicht, da sie Auswirkungen auf die Herzleitung haben und deshalb bei Schlaganfallpatienten, die ja zu den Gefäßpatienten gehören, kontraindizierte Wirkungen haben können", sagt Endres.
Aufgrund der besonderen Situation wird nicht jede PSD diagnostiziert. Gleichzeitig sind aber mindestens ein Drittel aller Patienten betroffen. Für viele Fachärzte stellt sich deshalb die Frage, ob Antidepressiva vorbeugend jedem Schlaganfallpatienten verabreicht werden sollten. "Die Datenlage dazu ist widersprüchlich. Es gibt Studien, die keine Wirkungen zeigen, aber auch Studien, die positive Wirkungen nachgewiesen haben", so der Neurologe weiter. So lange sich aber kein endgültiges Urteil fallen lässt, wird nur bei einer eindeutigen PSD-Diagnose mit Antidepressiva behandelt. (fr)
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