Appetitveränderungen bei depressiven Störungen
Bei depressiven Störungen ist häufig auch der Appetit verändert, oft schmeckt das Essen nicht mehr, was zu Gewichtsverlust führen kann. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. In einer Studie haben Forschende nun neue Erkenntnisse zu Appetitveränderungen bei Depressionen gewonnen.
Depressionen sind durch eine erhebliche gesundheitliche Belastung gekennzeichnet, zu der auch Veränderungen des Appetits und des Körpergewichts gehören. Ein Forschungsteam untersuchte nun, ob anhand der funktionellen Architektur des Belohnungssystems im Gehirn Rückschlüsse über die Richtung der Appetitveränderung – Zunahme oder Abnahme – gezogen werden können. Die Studienergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „JAMA Psychiatry“ veröffentlicht.
Noch nicht viel über Ursachen bekannt
Depressionen haben viele Gesichter, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Uniklinika Tübingen und Bonn. Eine Vielzahl an Veränderungen in Motivation, Emotionen sowie körperlichen Erfahrungen kennzeichnet die Krankheit.
Viele betroffene Patientinnen und Patienten verlieren nicht nur ihren Antrieb und das Interesse an belohnenden Aktivitäten, sondern auch ihren Appetit. Gleichzeitig berichten andere Betroffene während einer depressiven Episode von einem gesteigerten Appetit.
Über die Ursachen dieser Unterschiede und die gezielte Behandlung ist bisher noch nicht viel bekannt.
Spezifische Veränderungen des Belohnungssystems im Gehirn
Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Nils Kroemer, der am Universitätsklinikum Tübingen im Bereich Translationale Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und seit 2022 zudem als Professor für Medizinische Psychologie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn tätig ist, konnte jetzt im Rahmen einer multizentrischen Studie neue Erkenntnisse zu dieser Thematik gewinnen.
Durch den Einsatz von Kernspintomographie zeigten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass die Richtung der mit Depression im Zusammenhang stehenden Appetitveränderung mit spezifischen Veränderungen des Belohnungssystems im Gehirn verknüpft ist.
Markante und einschneidende Veränderungen
Seit langem sind Forschende wie das Team von Prof. Kroemer auf der Suche nach dem grundlegend veränderten Belohnungssystem bei Depressionen. Denn Betroffene leiden meist unter markanten und einschneidenden Veränderungen in ihrer Motivation.
„Das scheint aber eher eine Illusion zu sein“, sagt Kroemer, der Erstautor der Studie. „Statt nach allgemeinen Veränderungen im Belohnungssystem zu suchen, können wir bestimmte Veränderungen, wie beispielsweise in Appetit und Körpergewicht, besser mit markanten Unterschieden im Gehirn in Verbindung setzen.“
Hirnfunktion untersucht
Das Forschungsteam, bestehend aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehrerer deutscher Uniklinika, untersuchte die Hirnfunktion betroffener Probandinnen und Probanden im Ruhezustand und erhob ihre psychischen Symptome. So konnten sie vergleichen, ob einzelne Symptome der Depression besser vorhersagbar sind.
Dafür konzentrierten sich die Forschenden auf die funktionale Konnektivität (auch Verbindungsstärke genannt; sie beschreibt die Stärke der Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnregionen) des Nucleus Accumbens, eine der zentralen Regionen bei der Verarbeitung von Belohnungen und Steuerung von zielgerichtetem Verhalten, mit anderen Hirnregionen.
Erlebten die Patientinnen und Patienten mit Depressionen während einer depressiven Episode einen Appetitverlust, war die Verbindungsstärke zwischen dem Belohnungssystem und weiteren Regionen, die eine wesentliche Rolle bei wertbasierten Entscheidungen und Gedächtnisprozessen spielen, reduziert.
Anstieg oder Verlust des Appetits vorhersagen
Kam es hingegen zu einem Anstieg des Appetits, so beobachteten die Fachleute eine schwächere Verbindung zwischen dem Belohnungssystem und dem Teil des Gehirns, in dem Geschmacksreize und körpereigene Signale verarbeitet werden.
„Diese Veränderungen im Belohnungssystem waren bei schweren Depressionen so markant, dass wir anhand der individuellen Profile des Belohnungssystems vorhersagen konnten, ob jemand unter einem Anstieg oder Verlust des Appetits leidet“, so Kroemer.
„Dagegen war es nicht möglich zu sagen, ob jemand allgemein eine Depression hat oder nicht. Es kommt also nicht nur auf eine Veränderung an, sondern insbesondere auf die Art der Verhaltensänderung.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universitätsklinikum Tübingen: Gemeinsame Pressemitteilung der Uniklinika Tübingen und Bonn: Appetitveränderung bei Depressionen, (Abruf: 29.08.2022), Universitätsklinikum Tübingen
- Kroemer, Nils B., et al.: Functional Connectivity of the Nucleus Accumbens and Changes in Appetite in Patients With Depression; in: JAMA Psychiatry, (veröffentlicht: 24.08.2022), JAMA Psychiatry
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.