Sick-Building-Syndrom: Wie Menschen in Kliniken durch kalte und ungemütliche Architektur nicht gesund werden können
07.08.2011
Kaum ein Patient fühlt sich im Krankenhaus atmosphärisch wohl. Lange Flure mit beißenden Gerüchen von Desinfektionsmitteln und grelles Licht verlangsamen mindestens die Genesung des Patienten. Manche meinen, Kliniken sind derart kahl, steril und unangenehm, dass Erkrankungen sich weiter manifestieren und bisweilen sogar schlechter ausheilen. Erst seit kurzer Zeit bemängeln Psychologen diesen Effekt, der in der Fachwelt „Sick-Building-Syndrom“ genannt wird. Eine Forscherin der Universität Koblenz hat nun ein Schemata entwickelt, mit dem die Architektur von Kliniken und deren Einrichtungen beurteilt werden können. Nach Ansicht einer Wissenschaftlerin müssten etwa 60 Prozent der deutschen Krankenhäuser umgestaltet werden, damit die Erholung der Erkrankten nicht mehr ausgebremst wird.
Unwohle Atmosphäre in Kliniken
Es ist kein unbekanntes aber kaum erforschtes Phänomen: In Klinikgebäuden fühlen sich viele Menschen unwohl und kränker, als sie eigentlich in Wahrheit sind. Die Verhaltensweisen der meisten Menschen passen sich nämlich der Umgebung an. Viele verspüren subjektiv stärkere Schmerzen oder Beschwerden, die Augen fangen bei einigen Menschen an zu jucken und tränen, vielmals sind die Schleimhäute durch die scharfen Reinigungsmittel dauerhaft gereizt. Psychologen und auch Ärzte bemängeln: Die Atmosphäre vieler Kliniken lässt stark zu wünschen übrig. Während vor allem Heilpraktiker und Therapeuten auf eine wohlige und entspannende Atmosphäre in ihrer Praxis setzen, zeigt sich die Schulmedizin in Kliniken steril und kalt. An erster Stelle stehen Verordnung von Medikamenten und Behandlungspläne. Das emotionale Befinden kommt oft zu kurz.
Architekturpsychologen untersuchen Einflüsse von Gebäuden
Nun haben sich Architekturpsychologen aufgemacht, die Situation zu verbessern. Dr. phil. Rotraut Walden gehört zu einer kleinen Gruppen von gut 20 deutschen Forschern die auf diesem Spezialgebiet der Psychologie tätig sind. Sie untersuchen vordergründig die Wirkungsweisen von Gebäuden und die daraus resultierenden Verhaltensweisen von Menschen. "Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Architektur eines Gebäudes und der Gesundheit des Menschen", berichtet die Psychologin gegenüber „Welt Online“. In diesem Zusammenhang verweist Walden auf die sogenannte gebäudebezogene Krankheit. Patienten leiden vermehrt unter Infektionen, Allergien oder einer Verschlechterung ihrer bereits bestehenden Asthma-Erkrankung. Sobald die Betroffenen aber den Raum oder den Gebäudekomplex verlassen, verbessert sich ihr gesundheitlicher Zustand schon nach kurzer Zeit.
Seit etwa 15 Jahren untersucht und erforscht die Dozentin der Uni Koblenz die Beschaffenheiten von Kliniken. Daneben beschäftigt sie sich auch mit den Gegebenheiten von Büros und Kindergärten. Im Laufe ihrer Forschungsarbeiten hat die Wissenschaftlerin ein schematisches System entwickelt, um Krankenhäuser nach 4 Gesichtspunkten zu bewerten. Im Blickpunkt stehen dabei die architektonische Funktionalitäten, die Ästhetik sowie die soziale und ökologische Verträglichkeit. Wichtig bei dem Schema sind die Außengrünanlagen, die Patientenzimmer, Flure und Behandlungszimmer.
Auf dem ersten Blick erscheinen die Anforderungen der Psychologin als zu hoch. So soll nach Vorstellungen von Walden der Empfangsbereich zum Beispiel einer Hotelrezeption gleichen. "Auch das Krankenhaus sollte sich als Gästehaus und nicht als Abfertigungshaus verstehen". Dabei würden schon kleine Veränderungen ausreichen. Walden möchte nicht missverstanden werden. Es gehe dabei nicht um Luxus, sondern um die „Schaffung einer Atmosphäre des Willkommensgrußes“ in Kliniken.
Umwelt mitgestalten verbessert Erholung und Genesung
Der Expertin zufolge benötigen Menschen für emotionales Wohlbefinden die Möglichkeit ihre Umwelt mit zu gestalten. Patienten fühlen sich aber im Alltag der Kliniken oft hilflos.Viele fühlen sich als „Untergebene“ und Bittsteller. Für den Prozess der Genesung sind das keine guten Voraussetzungen, um schnell wieder gesund zu werden. Walden spricht auch den Aspekt der Ökonomie an, hier könnte ein nicht zu unterschätzender Faktor liegen. Denn um so schneller Patienten wieder gesund werden, desto geringere Kosten fallen für das ohnehin angeschlagene Gesundheitssystem an. Zumal die Umgestaltungen finanziell nicht all zu sehr ins Gewicht fallen dürften. Denn schon einige Kleinigkeiten könnten schnell Abhilfe leisten. Bereits das Aufstellen von Blumen und farbenfrohen Bildern oder das eigenständige Bedienen von Temperaturreglern und Lichtquellen könne sich auf die Atmosphäre positiv auswirken. Weiße Wände wirken hingegen kalt und abweisend. Besser seien mediterrane Farben an den Wänden, sagt die Forscherin. Schließlich könnten durch Veränderungen Arbeitsabläufe optimiert, die Motivation und Einsatzbereitschaft des Klinikpersonals verbessert und die Gesundung der Patienten beschleunigt werden.
Auch Intensivstationen können umgestaltet werden
Keine Krankenhausstation sollte dabei ausgespart bleiben. Ob Kinderklinik, Chirurgie oder Intensivstation, jede Abteilung könne verschönert werden. Sind Räume wie die Intensivstation mit unzähligen medizinischen Geräten bestückt, „kann man doch die Decke dekorieren“. So könne sogar die Verordnung und die Dauer der Einnahme von Arzneimitteln reduziert werden.
Neben den Verbesserungsmaßnahmen innerhalb der Klinik sagt Walden, sollten bereits bei der Planung und Neubau einer Klinik auf ideale Verhältnisse des Grundstücks geachtet werden. Unabdingbar ist die Vorgabe, dass Lärmbelästigungen von außen vermieden werden müssen. Auf der anderen Seite sollten Verkehrswege wie Autobahnen und Bahnhöfe gut erreichbar sein. In der Klinik selbst müsse auf eine für alle verständliche Beschilderungen geachtet werden, damit Patienten sich auch im Notfall schnell zurechtfinden.
Bislang gestalten nur wenige Krankenhäuser ihre Räumlichkeiten um. Einige Fortschritte können in letzter Zeit in den Geburtsabteilungen und Kreißsälen beobachtet werden. Hier ist beispielsweise die Medizinische Hochschule in Hannover (MHH) einen ersten Schritt in die richtige Richtung gegangen. Im letzten Jahr wurde die Geburtsabteilung komplett umgestaltet und Mutter-Kind freundlicher hergerichtet. Bis ein Umdenken aber überall gefunden hat, sollten „Patienten persönliche Dinge von Zuhause mitbringen“, rät Sozialpädagogin Gritli Bertram. Das können Bilder der Kinder, Blumen, Stofftiere oder Kuschelkissen sein. So kann wenigstens der Bereich um das Patientenbett atmosphärisch aufgewertet werden. (sb)
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Zum Thema ein wissenschaftlicher Lesetipp: Produktivitätssteigerung durch Bürogestaltung. In F. Dieckmann, A. Flade, R. Schuemer, G. Ströhlein & R. Walden (1998). Psychologie und gebaute Umwelt. Konzepte, Methoden, Anwendungsbeispiele (S. 272-281). Darmstadt: Institut Wohnen und Umwelt.
Bildnachweis: Gerd Altmann / pixelio.de
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