Gelpflaster könnte Heilung chronischer Wunden beschleunigen
Kleine Verletzungen im Alltag heilen meist rasch von selbst wieder ab. Manche Wunden verschließen sich aber nur sehr langsam, gehen immer wieder auf oder heilen gar nicht. Ursache ist häufig eine gestörte Durchblutung oder ein Diabetes mellitus. Forschenden berichten nun, dass ein smartes Pflaster die Heilung chronischer Wunden beschleunigen könnte.
Wenn es im Alltag zu kleineren Verletzungen kommt, heilen diese meist schnell wieder ab. Es kann jedoch auch vorkommen, dass eine Wunde sich nur sehr langsam schließt oder immer wieder aufgeht. Helfen könnte hier ein individuell aktivierbares Gelpflaster aus dem 3D-Drucker.
Bislang kaum wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten
Durchblutungsstörungen, eine Diabetes-Erkrankung oder auch langes Liegen auf derselben Stelle können zu chronischen Wunden führen, die auch nach Wochen nicht abheilen. Wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten gibt es bislang kaum.
Laut einer aktuellen Mitteilung hat ein Forschungsteam aus den Materialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), der Harvard Medical School, USA, und der Dankook University, Südkorea, ein Wundpflaster mit heilungsfördernden Funktionen entwickelt, die patientenspezifisch angepasst werden können.
Den Angaben zufolge wirkt das per 3D-Druck hergestellte Pflaster antibakteriell, versorgt die Wunde mit Sauerstoff sowie Feuchtigkeit und unterstützt die Bildung von neuem Gewebe. Durch die Bestrahlung mit speziellem Licht wird die Wirkung aktiviert und auch gesteuert.
Die Forschenden aus der Materialwissenschaft und der Medizin stellten ihr Konzept kürzlich in der Fachzeitschrift „Advanced Functional Materials“ vor.
Basis ist ein medizinisches Hydrogel
Basis des nun entwickelten Pflasters ist ein medizinisches Hydrogel. Das neue Pflaster kann durch seinen hohen Wassergehalt von 90 Prozent und vergleichsweise großen Zwischenräumen auf der Mikroskala chronische trockene Wunden optimal versorgen.
Wichtigster Bestandteil sind aber antibakteriell wirkende Zinkoxid-Mikropartikel, die auf Licht reagieren und von den Kieler Materialforschenden entwickelt wurden. Gemeinsam mit einem Team des Brigham and Women’s Hospitals der Harvard Medical School (USA) fanden sie einen Weg, um auf den Mikropartikeln spezielle Proteine aufzubringen.
Mit zellschonendem grünem Licht werden die speziellen Proteine aktiviert und regen so die Bildung neuer Blutgefäße an. Durch die verbesserte Durchblutung entsteht dann neues Gewebe und die Wunde kann sich schließen.
Wirkung mit Licht steuern
„Indem wir die Wirkung des Pflasters mit Licht steuern, können wir den Verlauf und die Dosierung der Therapie an die individuellen Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten anpassen“, erläutert Rainer Adelung, Professor für Funktionale Nanomaterialien am Institut für Materialwissenschaft der CAU und Sprecher des Graduiertenkollegs „Materials for Brain“.
In der Materialwissenschaft wird hier von einem ‚smart‘ Material gesprochen, das selbstständig auf äußere Reize reagiert und darüber kontrolliert werden kann. Ähnlich funktionierende Hydrogelpflaster, die ebenfalls gezielt aktiviert werden können, existieren bereits – sie entfalten ihre therapeutische Wirkung laut den Fachleuten allerdings durch Wärme oder elektrische Signale.
„Diese Konzepte haben jedoch den Nachteil, dass sich dabei auch die Wunde erwärmt und Hydrogele sich zu zersetzen beginnen“, so Adelung.
Das Forscherinnen und Forscher hoffen, dass Kliniken ihr multifunktionales, steuerbares Pflaster langfristig selbst im 3D-Drucker herstellen und mit sehr hellen, grünen LEDs direkt an den Patientinnen und Patienten aktivieren können.
„Per 3D-Druck lässt sich sowohl die Form des Pflasters als auch die Konzentration der Zinkoxidpartikel und die Proteinsorte individuell anpassen“, erklärt Erstautor Dr. Leonard Siebert, der an der CAU gerade seine Promotion zu innovativen 3D-Druck-Methoden abgeschlossen hat.
Während eines mehrmonatigen Forschungsaufenthalts an der Harvard Medical School in Boston arbeitete der Materialwissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Professorin Su Ryon Shin, die medizinische Hydrogele mit speziellen Bio-3D-Druckern herstellt.
„Unsere Partikel haben eine Tetrapodenform, sie bestehen also aus mehreren ‚Armen‘. Dadurch lassen sich zwar besonders viele unserer wichtigen Proteine auf ihnen anbringen, aber sie passen nicht durch herkömmliche Druckerdüsen“, sagt Siebert.
In Boston entwickelte der Wissenschaftler schließlich eine Methode, um die Zinkoxidpartikel aus seiner Kieler Arbeitsgruppe zusammen mit den Hydrogelen zu drucken.
Antibakterielle Wirkung getestet
Außerdem arbeiteten die Kieler Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler eng mit Professor Helmut Fickenscher, Infektionsmediziner an der CAU sowie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), zusammen.
Er und sein Team testeten die antibakterielle Wirkung des neuen Pflasters: Für 72 Stunden legten sie es auf einen Bakterienteppich und stellten fest, dass sich die Bakterien in einem Umkreis von mehreren Millimetern um das Pflaster nicht weiter ausbreiten.
„Hierfür haben wir zwei typische Wundkeime verwendet, die sich in ihrem Aufbau grundlegend unterscheiden: Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa. Das Pflaster zeigte bei beiden Grundtypen eine therapeutische Wirkung, was auf einen universalen Effekt schließen lässt”, so Dr. Gregor Maschkowitz, medizinischer Fachmikrobiologe am UKSH.
Weitere Tests an Lebendmodellen wurden am NBM Global Research Center for Regenerative Medicine der Dankook University (Südkorea) durchgeführt. Erste Ergebnisse weisen auch hier auf eine gute Verträglichkeit des Pflasters sowie eine verbessere Wundheilung hin.
„Dieses Pflaster ist ein spannendes Konzept für die personalisierte Medizin, um Menschen mit auf sie zugeschnittenen Therapien möglichst gezielt, effektiv und schonend zu behandeln. Es ist ein konkretes Beispiel für das vielversprechende Potential der Zusammenarbeit von Medizin und Materialwissenschaft, die künftig immer wichtiger werden wird“, sagt Professor Fickenscher.
Nachdem die ersten Tests gezeigt haben, dass ihr Konzept grundsätzlich gut funktioniert, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt die Steuerung per Licht noch weiter verbessern, um Patientinnen und Patienten künftig eine effektivere personalisierte Wundbehandlung anbieten zu können. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU): Smartes Pflaster könnte die Heilung chronischer Wunden beschleunigen, (Abruf: 31.08.2021), Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
- Leonard Siebert, Eder Luna-Cerón, Luis Enrique García-Rivera, Junsung Oh, JunHwee Jang, Diego A. Rosas-Gómez, Mitzi D. Pérez-Gómez, Gregor Maschkowitz, Helmut Fickenscher, Daniela Oceguera-Cuevas, Carmen G. Holguín-León, Batzaya Byambaa, Mohammad A. Hussain, Eduardo Enciso-Martínez, Minsung Cho, Yuhan Lee, Nebras Sobahi, Anwarul Hasan, Dennis P. Orgill, Yogendra Kumar Mishra, Rainer Adelung, Eunjung Lee, Su Ryon Shin: Light-Controlled Growth Factors Release on Tetrapodal ZnO-Incorporated 3D-Printed Hydrogels for Developing Smart Wound Scaffold; in: Advanced Functional Materials, (veröffentlicht online: 19.02.2021 und in: Volume 31, Issue 22, 26.05.2021), Advanced Functional Materials
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.