Diabetes: Erkrankungsrisiko präziser abschätzen
In Deutschland leben rund acht Millionen Menschen mit Diabetes. Die Dunkelziffer wird von Fachleuten auf weitere zwei Millionen geschätzt. In vielen Fällen könnte der sogenannten Zuckerkrankheit durch einen gesünderen Lebensstil vorgebeugt werden. Forschende berichten nun, wie das Erkrankungsrisiko frühzeitig erkannt und gezielt vorgebeugt werden kann.
Diabetes hat zahlreiche Ursachen. Entsprechend vielfältig sind die gesundheitlichen Folgen dieser Stoffwechselstörung sowie das Risiko für schwere Krankheitsverläufe. Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) konnten schon im Vorstadium des Diabetes (Prädiabetes) sechs klar differenzierbaren Subtypen identifizieren. Diese Subtypen haben ein unterschiedlich hohes Risiko für Diabetes und Folgeerkrankungen wie beispielsweise Fettleber, Nieren-Erkrankungen oder Nervenschädigungen. Laut einer Mitteilung der DZD ermöglicht die Entdeckung der Subtypen, das Erkrankungsrisiko für die Betroffenen präziser abzuschätzen und durch gezielte Vorbeugung zu senken.
Suche nach Warnzeichen für einen künftigen Diabetes
Wie es in „Synergie“, dem Magazin der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) heißt, wird niemand über Nacht zuckerkrank. Vielmehr verändert sich der Zucker- und Fettstoffwechsel in den meisten Fällen über Jahre hinweg, bis er schließlich entgleist und in einen Diabetes mündet.
Wie schnell sich aus einer Vorstufe des Diabetes (Prädiabetes) ein manifester Diabetes entwickelt und welche Risiken für Folgeerkrankungen bestehen, ist aber von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZD suchten daher nach verlässlichen Warnzeichen für einen künftigen Diabetes und wurden fündig:
„Wir haben klar gezeigt, dass es schon im Vorstadium der Krankheit sechs verschiedene Subtypen gibt, die sich anhand von ausgewählten Körpermerkmalen und Stoffwechseleigenschaften unterscheiden lassen. Die Subtypen haben ein unterschiedlich hohes Risiko für Diabetes und die Entwicklung von Folgeerkrankungen“, erläutert Prof. Robert Wagner vom Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen.
Er fasst damit die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zusammen, die er als Erstautor zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus elf Forschungs-Institutionen in Deutschland, Ungarn, Großbritannien und den USA kürzlich in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlicht hat.
Sechs Prädiabetes-Subtypen
Dem internationalen Team ist es gelungen, verschiedene Subtypen des Prädiabetes zu identifizieren. Dazu wurden aus früheren Studien insgesamt 899 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 77 Jahren ausgewählt, die als diabetesgefährdet galten – sei es, weil sie übergewichtig waren oder eng verwandt mit an Diabetes Erkrankten oder weil während einer Schwangerschaft ihr Blutzuckerspiegel übermäßig angestiegen war.
Diese ansonsten gesunden Probandinnen und Probanden willigten in Gentests ein und ließen sich über mehr als vier Jahre hinweg wiederholt Blut abnehmen sowie ihre Organe mit bildgebenden Verfahren untersuchen.
Durch diese umfangreichen Erhebungen erhielten die Forschenden Informationen über Art und Menge der Zucker- und Fettmoleküle im Blut, den Fettgehalt der Leber, die Verteilung des Körperfetts sowie die Ausprägung bestimmter Gene, die für das Diabetesgeschehen entscheidend sind.
Diese Daten unterzogen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Andreas Fritsche, Letztautor der Studie, einer Clusteranalyse. Dabei stellten sie fest, dass sich anhand bestimmter Merkmale sechs klar voneinander abgrenzbare Cluster unterscheiden lassen, die als Subtypen des Prädiabetes gelten können.
Drei Cluster zeichnen sich durch erhöhtes Risiko aus
Das DZD-Forschungsteam hat dasselbe Verfahren der Clusteranalyse auch an knapp 7.000 britischen Männern und Frauen erprobt. Als Testpersonen hatten sie sich 18 Jahre lang regelmäßig medizinisch untersuchen lassen.
„Diese englische Kohorte ist also deutlich größer und war sehr viel länger beobachtet worden. Zwar hatten wir von den Studienteilnehmern nicht alle Werte, die wir hier in Tübingen teils mit viel Aufwand erhoben haben. Trotzdem konnten wir anhand von wenigen, einfach zu erfassenden Körpermaßen und Laborwerten genau dieselben sechs Subtypen wiederfinden“, so Wagner.
Für Menschen mit Prädiabetes macht es laut den Fachleuten einen großen Unterschied, welchen Subtyp sie verkörpern: Drei der neu identifizierten Cluster zeichnen sich demnach durch ein niedriges, die übrigen drei durch ein erhöhtes Diabetesrisiko aus.
Vertreterinnen und Vertreter der Subtypen 1 und besonders 2 gelten als gesund und haben ein niedriges Risiko, an Komplikationen zu erkranken; dem Cluster 2 gehören vor allem schlanke Personen an. Das Cluster 4 bilden übergewichtige Menschen, deren Stoffwechsel aber noch relativ gesund ist.
Die anderen Subtypen gehen mit einem erhöhten Risiko für Diabetes oder gravierende Folgeerkrankungen einher: Personen, die dem Subtyp 3 zugeordnet werden, bilden zu wenig Insulin und sind deshalb stark gefährdet, einen Diabetes zu entwickeln. Dagegen haben Menschen vom Subtyp 5 eine ausgeprägte Fettleber und deswegen ebenfalls ein sehr großes Diabetesrisiko, da ihr Körper resistent gegen die blutzuckersenkende Wirkung von Insulin ist.
Personen mit einem Prädiabetes vom Subtyp 6 haben ein deutlich höheres Risiko, dass ihre Nieren Schaden nehmen – noch bevor ihre Diabeteserkrankung offensichtlich wird. In dieser Gruppe ist auch die Sterblichkeit höher.
Wichtiger Schritt in Richtung Präzisionsmedizin
Wie es in dem Magazin heißt, sind die neuen Erkenntnisse ein wichtiger Schritt in Richtung Präzisionsmedizin. „Durch die Klassifizierung in Subtypen können wir künftig präziser als bisher abschätzen, ob jemand ein niedriges oder hohes Risiko für Diabetes oder eine Nierenerkrankung hat. Diesen Menschen wollen wir künftig Präventionsstrategien aufzeigen, damit sie den weiteren Verlauf ihrer Stoffwechselstörung positiv beeinflussen können“, sagt Wagner.
In einer weiteren Untersuchung soll nun herausgefunden werden, wie das am besten gelingen kann. Dazu werden mehrere Hundert Personen, die den Subtyp 3 oder 5 verkörpern und ein hohes Risiko haben, an Diabetes zu erkranken, untersucht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Zentrum für Diabetesforschung: Prädiabetes-Subtypen: Diabetes-Risiko früh erkennen und mindern, (Abruf: 01.11.2021), Deutsches Zentrum für Diabetesforschung
- Synergie, Magazin der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung: Diabetes-Risiko früh erkennen und mindern, (Abruf: 01.11.2021), Synergie
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.