Umgang mit automatisierter Insulinabgabe
Für viele Menschen mit Typ-1-Diabetes stellt eine künstliche Bauchspeicheldrüse beziehungsweise ein System zur automatisierten Insulinabgabe eine große Erleichterung im Alltag dar. Dabei handelt es sich nicht um ein künstliches Organ, sondern um ein implantiertes Gerät, dass regelmäßig den Blutzucker misst und bei Bedarf selbstständig Insulin verabreicht. Wie sicher sind solche Systeme und welche Vorteile bieten sie?
48 renommierte Expertinnen und Experten aus den „BIH Charité Digital Clinician Scientist Programms“ haben den ersten Leitfaden mit Empfehlungen zum Umgang mit künstlichen Bauchspeicheldrüsen veröffentlicht. Die Leitlinie richtet sich vor allem an Angehörige der Gesundheitsberufe und beschreibt, wie Menschen mit Systemen zur automatisierten Insulinabgabe unterstützt werden können. Der Leitfaden wurde kürzlich in dem renommierten Fachjournal „The Lancet Diabetes & Endocrinology“ veröffentlicht.
Was machen künstliche Bauchspeicheldrüsen?
Künstliche Bauchspeicheldrüsen besitzen einen Sensor, der alle fünf Minuten den Glukosewert im Gewebe misst. Ein Algorithmus berechnet daraus, wie sich die Glukosewerte entwickeln werden und passt durch eine genau abgestimmte Insulin-Dosierung den Wert an.
Neben den zugelassenen Lösungen existieren auch unabhängig programmierte Softwarelösungen, um den Zuckerspiegel per Insulinpumpe automatisch einzustellen. Solche „Do-it-Yourself-Lösungen“ wurden in Deutschland bislang nicht offiziell zugelassen. Weltweit werden solche Systeme aber bereits von weit über 10.000 Diabetes-Betroffenen verwendet.
Technik hinkt wegen langer Zulassung hinterher
„Die Zulassung neuer Medizinprodukte dauert in der Regel sehr lange, deshalb hinken sie den aktuellen technischen Möglichkeiten oft Jahre hinterher“, bemängelt Ärztin Katarina Braune. Sie ist Erstautorin des Leitfadens und eine leitende Forscherin in dem von der EU geförderten OPEN-Projekt, in dem offene Systeme zur automatisierten Behandlung von Diabetes wissenschaftlich überprüft werden. Braune selbst leidet seit ihrem 12. Lebensjahr an Diabetes Typ 1 und nutzt zur Behandlung ein Open-Source AID-System.
Selbst sind die Diabetikerinnen und Diabetiker
Solche sogenannten Open-Source AID-Systeme sind aus einer internationalen Gemeinschaft von Menschen mit Typ-1-Diabetes und ihren Familien hervorgegangen. Die Community hat bereits vorhandene Insulinpumpen und Glukosesensoren mit einem dafür programmierten Steueralgorithmus verknüpft. Das ganze System kann über ein Smartphone oder einen Minicomputer gesteuert werden. Über Bluetooth oder Radiowellen kann einfach auf die Pumpe zugegriffen werden.
Online-Community für Open-Source AID-Systeme
Das Entwicklungsteam hat die Software der Algorithmen quelloffen und kostenlos als Open-Source-Projekt zur Verfügung gestellt. Ebenso existieren Anleitungen, wie die Nutzerinnen und Nutzer die Geräte einrichten können.
Die Online-Community um das Projekt bietet sich zudem gegenseitige Unterstützung an. Im Gegensatz zu offiziell verfügbaren Systemen sind laut dem Berlin Institute of Health der Charité durch die große Gemeinschaft und den Austausch die Open-Source-Systeme immer auf dem aktuellen Stand der Technik.
Mehr als 10.000 Kinder und Erwachsene mit Diabetes nutzen bereits diese Open-Source-Systeme und berichten, dass ihre Lebensqualität seit der Verwendung gestiegen ist. Unter anderem schlafen die Betroffenen besser, weil sie seltener durch nächtliche Alarme geweckt werden, sie fühlen sich besser, weil deutlich seltener starke Schwankungen des Glukoseverlaufs auftreten, und ihre Glukosewerte sind deutlich häufiger im empfohlenen Bereich, wodurch das Risiko für Folgeerkrankungen gesenkt werden könnte.
„Anfangs waren das nur persönliche anekdotische Berichte in den sozialen Medien“, verdeutlicht Braune. Mit dem OPEN-Projekt soll sich dies nun ändern und die Systeme werden fortan wissenschaftlich überprüft.
Verwendung auf eigenes Risiko
Die Forschenden betonen, dass es bislang keine offizielle Zulassung für die Open-Source AID-Systeme gibt. Alle, die ein solches System verwenden möchten, tun dies zur Zeit auf eigenes Risiko. Ärztinnen und Ärzte geraten aufgrund der fehlenden Zulassung zudem in eine schwierige Situation bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten, die solche System nutzen.
Erster Leitfaden über Open-Source-AID-Systeme
„Deshalb haben wir uns entschlossen, einen internationalen Consensus mit einem Leitfaden zu erstellen, der Vertreter*innen der Gesundheitsberufe aufzeigt, wie sie Patient*innen bestmöglich unterstützen können“, so Braune.
Die an dem Leitfaden beteiligten Fachleute haben praktische Erfahrung im Umgang mit Open-Source AID. Sie geben unter anderem eine Übersicht über die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse, beschreiben die verwendeten Technologien und beleuchten auch medizinethische und rechtliche Aspekte sowie allgemeine Vor- und Nachteile.
„Wir hoffen, dass wir mit unserem OPEN-Projekt und dem nun veröffentlichten Leitfaden dazu beitragen können, eventuell noch bestehende Unsicherheiten im Umgang mit diesen Systemen beseitigen zu können, (…) denn die Studienergebnisse geben uns recht“, betont Braune. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Berlin Institute of Health at Charité (BIH): Do-it-Yourself-Lösungen für Menschen mit Diabetes sind sicher und empfehlenswert (veröffentlicht: 01.02.2022), bihealth.org
- Katarina Braune, Rayhan A Lal, Lenka Petruželková, et al.: Open-source automated insulin delivery: international consensus statement and practical guidance for health-care professionals; in: Lancet Diabetes & Endocrinology, 2022, thelancet.com
- The OPEN-Project: Forschung zur Open-Source-Diabetestechnologie (Abruf: 04.02.2022), open-diabetes.eu
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.