Welche Rolle spielt die Leber bei Typ-2-Diabetes?
Vor 100 Jahren (1921) wurde von Frederick Grant Banting und Charles Best das Insulin entdeckt, wodurch Typ-1-Diabetes von einer unheilbaren Krankheit zu einer kontrollierbaren Erkrankung wurde. Seither ist die Zahl der Typ-2-Diabetes-Fälle jedoch weiterhin stark gestiegen, was auch darauf zurückgeführt wird, dass immer mehr Menschen übergewichtig oder fettleibig sind. Neue Ansätze zur Behandlung sind daher dringend gesucht und die Leber könnte laut einer aktuellen Studie dabei der Schlüssel sein.
Schwächen von Diabetes-Medikamenten
„Alle derzeitigen Therapeutika für Typ-2-Diabetes zielen in erster Linie darauf ab, den Blutzuckerspiegel zu senken. Sie behandeln also ein Symptom, ähnlich wie die Behandlung der Grippe durch Senkung des Fiebers”, berichtet Studienautor Benjamin Renquist von der University of Arizona. Hier seien dringend neue Ansätze zur Behandung erforderlich.
Einfluss der Leber auf Insulinempfindlichkeit
Die an Studie beteiligten Fachleute haben in letzten neun Jahre versucht, den Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit, Fettlebererkrankungen und Diabetes besser zu verstehen, insbesondere wie die Leber die Insulinempfindlichkeit beeinflusst.
„Es ist bekannt, dass Fettleibigkeit eine Ursache für Typ-2-Diabetes ist, und wir wissen seit langem, dass die Menge an Fett in der Leber mit der Fettleibigkeit zunimmt. Und wenn das Fett in der Leber zunimmt, steigt auch die Inzidenz von Diabetes“, erläutert Renquist.
Diese lege nahe, dass Fett in der Leber Typ-2-Diabetes verursachen kann, aber wie das Fett den Körper dazu bringt, resistent gegen Insulin zu werden oder die Insulinabgabe über die Bauchspeicheldrüse umzustellen, bleibe ein Rätsel, fügt der Fachmann hinzu.
Welchen Einfluss hat die Leber?
Das Team konzentrierte sich in seinen neuen Forschungsarbeiten nun besonders auf die Fettleber. Es wurden sogenannte Neurotransmitter gemessen, welche von der Leber in Tiermodellen der Fettleibigkeit freigesetzt wurden. So wollten die Fachleute besser verstehen, wie genau die Leber mit dem Gehirn kommuniziert, um metabolische Veränderungen zu beeinflussen, die bei Fettleibigkeit und Diabetes auftreten.
Erhöhte Freisetzung von GABA
„Wir fanden heraus, dass Fett in der Leber die Freisetzung des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure, oder GABA, erhöht. Dann identifizierten wir den Weg, auf dem die GABA-Synthese stattfand, und das Schlüsselenzym, das für die GABA-Produktion in der Leber verantwortlich ist – die GABA-Transaminase“, so der Studienautor über eine der beiden durchgeführten Untersuchungen, welche in dem englischsprachigen Fachblatt „Cell Reports“ publiziert wurden. Die Ergebnisse der zweiten von dem Team durchgeführten Studie können ebenfalls in der Fachzeitschrift nachgelesen werden.
Welche Aufgabe hat GABA?
Bei GABA handele es sich um eine natürlich vorkommende Aminosäure, welche der primäre hemmende Neurotransmitter im zentralen Nervensystem sei, was bedeute, dass sie die Nervenaktivität verringert. Das Gehirn kommuniziert über die Nerven mit dem Rest des Körpers. Und genau diese Kommunikation erfolge nicht nur vom Gehirn zu anderen Geweben, sondern auch von den Geweben zurück zum Gehirn, erläutert der Experte.
Gewichtsabnahme durch reduzierte GABA-Produktion
Um festzustellen, ob eine erhöhte GABA-Synthese in der Leber eine Insulinresistenz verursacht, wurde im Labor pharmakologisch die Leber-GABA-Transaminase in Tiermodellen von Typ-2-Diabetes gehemmt. „Die Hemmung der überschüssigen GABA-Produktion in der Leber stellte die Insulinsensitivität innerhalb weniger Tage wieder her. Eine längerfristige Hemmung der GABA-Transaminase führte zu einer verminderten Nahrungsaufnahme und Gewichtsabnahme“, berichtet Studienautorin Caroline Geisler von der University of Arizona in einer Pressemitteilung.
Die Forschungsgruppe versuchte auch sicherzustellen, dass eine Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen möglich ist. Dabei identifizierten sie Variationen im Genom in der Nähe der GABA-Transaminase, welche mit Typ-2-Diabetes assoziiert waren. Die Fachleute konnten nachweisen, dass bei Menschen mit Insulinresistenz die Gene, welche an der GABA-Produktion und Freisetzung beteiligt sind, stärker exprimiert sind.
Therapeutischer Nutzen der Erkenntnisse
Eine an der Washington University School of Medicine in St. Louis durchgeführte Studie untersucht derzeit bereits die Verwendung eines handelsüblichen, von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassenen Inhibitors der GABA-Transaminase zur Verbesserung der Insulinsensitivität bei übergewichtigen Menschen, so das Team.
Ein neuartiges pharmakologisches Ziel sei allerdings nur der erste Schritt in der Anwendung. Nach Aussage der Forschenden ist man noch Jahre davon entfernt, dass neue auf der Untersuchung aufbauende Arzneimittel in Apotheken erhältlich werden. Da Adipositas unter Menschen weiter zunehme, seien die Ergebnisse dennoch vielversprechend und ein wichtiger erster Schritt, der sich hoffentlich positivi auf die Gesundheit vieler Menschen auswirke. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Caroline E. Geisler, Susma Ghimire, Stephanie M. Bruggink, Kendra E. Miller, Savanna N. Weninger et al.: A critical role of hepatic GABA in the metabolic dysfunction and hyperphagia of obesity, in Cell Reports (veröffentlicht 29.06.2021), Cell Reports
- University of Arizona: A promising new pathway to treating type 2 diabetes (veröffentlicht 29.06.2021), University of Arizona
- Caroline E. Geisler, Susma Ghimire, Chelsea Hepler, Kendra E. Miller, Stephanie M. Bruggink et al.: Hepatocyte membrane potential regulates serum insulin and insulin sensitivity by altering hepatic GABA release, in Cell Reports (veröffentlicht 29.06.2021), Cell Reports
Wichtiger Hinweis:
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