Wie die Diabetes- und Adipositas-Welle in Griff kriegen?
Adipositas und Diabetes gehören zu den größten Belastungen im Sozial- und Gesundheitssystem. Die Prävalenz der beiden Erkrankungen ist in den letzten Jahrzehnten durchgehend angestiegen. Fachleute der Deutschen Diabetes Gesellschaft kritisieren, dass die Politik zu wenig unternimmt, um gegenzusteuern.
Jede zweite erwachsene Person in Deutschland ist übergewichtig, jede vierte ist adipös und rund jede zehnte Person leidet unter Diabetes. Laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) belastet nicht mal die Corona-Pandemie die Krankenkassen mehr als die Folgen von Adipositas. Der Bundestag berät nun über ein sogenanntes Disease-Management-Programme (DMP), um die zunehmende Adipositas-Prävalenz in den Griff zu bekommen. Reichen die Bemühungen?
Muss die Politik härter gegensteuern?
Fachleute der DDG halten diesen Ansatz für nicht ausreichend. Sie empfehlen, dass Programm auf Typ-2-Diabetes auszuweiten. Zudem müssten „in der nächsten Legislaturperiode endlich auch Maßnahmen zur Primärprävention von Übergewicht wie eine gesunde Mehrwertsteuer oder eine verbindliche Ampelkennzeichnung eingeführt werden“, mahnen die Expertinnen und Experten der Fachgesellschaft.
Die Zeit drängt
Viel Zeit dürfe man sich für die Umsetzung nicht lassen. In den letzten Jahrzehnten habe sich in Deutschland die Anzahl der übergewichtigen Menschen verdreifacht. Professor Dr. med. Matthias Blüher, Vorstandsmitglied der DDG und Direktor des Helmholtz Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung des Helmholtz Zentrums München, sieht die weit verbreitete ungesunde Ernährungsweise und den immobilen Lebensstil als Ursachen für die Entwicklung. Hinzu komme die hochtechnisierte Arbeitswelt, die solche Lebensweisen zusätzlich unterstütze.
Über 60 Krankheiten sind mit Übergewicht assoziiert
Über 60 Krankheiten stehen im Zusammenhang mit Übergewicht – Diabetes und Herz-Kreislaufkrankheiten seien die häufigsten schwerwiegenden Folgen. Aber auch Leber, Lunge und der Bewegungsapparat werden in Mitleidenschaft gezogen. Hinzu kommt, dass Adipositas verschiedene Krebsarten begünstigt.
Volkswirtschaftliche Schäden durch Adipositas
„Die Adipositas-Welle muss eingedämmt werden, sonst werden wir ganz abgesehen von den individuellen Schicksalen und Problemen auch volkswirtschaftliche Nachteile erleiden“, verdeutlicht DDG Präsident Professor Dr. med. Andreas Neu. Menschen mit Adipositas fehlen häufiger bei der Arbeit und gehen öfter in Frührente, erläutert Neu. „30 Milliarden Euro Kosten entfallen jedes Jahr allein auf Gesundheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit Adipositas“, ergänzt Blüher. Die indirekten Kosten belaufen sich ihm zufolge sogar auf 60 Milliarden jährlich.
Weniger essen und mehr bewegen reicht nicht
„Viele dachten lange Zeit, man müsse sich doch einfach mehr bewegen und weniger essen“, so Blüher. Die Realität zeichnet jedoch ein anderes Bild: Eine Krankheit lässt sich nicht mit Appellen bekämpfen. „Wir müssen verstehen, warum Menschen zu viel essen und sich zu wenig bewegen“, unterstreicht der Experte. Nur so könne man krankmachende Verhaltensmuster aufbrechen.
Adipositas-Behandlung als multimodeles Konzept
Eine Adipositas-Behandlung müsse als multimodales Konzept aufgebaut sein, und Ernährung, Bewegung sowie eine Verhaltenstherapie beinhalten. Das ganze müsse bei Bedarf mit Medikamenten oder chirurgischen Eingriffen unterstützt werden. „Es ist wichtig, dass das künftige DMP Adipositas genau solche Konzepte bei der Versorgung von Menschen mit starkem Übergewicht unterstützt“, betont die DDG. Die so aufgebauten Strukturen und Behandlungsprogramme sollten auch für Betroffene mit Typ-2-Diabetes genutzt werden.
Mehr präventive Maßnahmen erforderlich
„Unverzichtbar sind aber auch verhältnispräventive Maßnahmen, die sicherstellen, dass Adipositas gar nicht erst auftritt“, fügt DDG Geschäftsführerin Barbara Bitzer hinzu. Beispielsweise bedürfe es nach Ansicht der DDG einer verbindlichen Lebensmittelkennzeichnung und eines Verbots für Werbung für ungesunde Lebensmittel, insbesondere wenn die Produkte an Kinder und Jugendliche gerichtet sind.
Gesunde Mehrwertsteuer
Darüber hinaus fordert die DDG die Einführung einer „Gesunden Mehrwertsteuer“. Auf diese Weise könnten gesunde Lebensmittel steuerlich entlastet werden. „Wie auch immer die künftige Bundesregierung zusammengesetzt sein wird: Ein konkreter Umsetzungsplan für die Bekämpfung dieser Krankheiten muss oberstes Politikziel werden“, resümiert Bitzer. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- DDG: Die Bekämpfung von Diabetes und Adipositas muss vorrangiges Politikziel werden (veröffentlicht: 29.07.2021), deutsche-diabetes-gesellschaft.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.