Diättrends 2012: Alte Versager in neuem Gewand
24.10.2011
Wissenschaftlich gilt als gesichert: Diäten machen dick und krank – und sie können zu Essstörungen führen. Trotzdem wimmelt es alle Jahre wieder von Abnehmtipps und „neuen Diätrevolutionen“. Doch stets haben alle Abspeckkuren eines gemeinsam: große Versprechen, k(l)eine Wirkung. Denn jede künstliche Hungerkur, egal wie glamourös oder wissenschaftlich sie auch beworben wird, wirkt über ein und dasselbe Prinzip: Die Diätler müssen weniger essen, als sie benötigen, damit der Körper seine Reserven aufbraucht. Und in diesem Stadium der „negativen Energiebilanz“ verliert man Gewicht. Doch dann folgt meist das schwere Erbe: „Diäten sind gesundheitsgefährdende Volksverdummung. Die Abnehmwilligen werden an der kurzen Kalorien-Leine gehalten, sodass der Gewichtsverlust durch eine künstliche Hungerkur erzwungen wird. Entlässt man sie nach der Diät wieder ins „normale Essleben“, dann holt sich der Körper sein natürliches Gewicht zurück“, erklärt der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop, „und dann kommen oft auch die enttäuschten Diätler wieder zurück oder probieren eine neue Abspeckkur – meist mit höherem Ausgangsgewicht.“
Die Gründe dafür sind inzwischen bekannt – der Nahrungsmangel setzt ein körpereigenes „Energiesparprogramm“ in Gang, das zum JoJo-Effekt führt: Nach der zeitlich begrenzten Diät sorgt ein normales Essverhalten schnell wieder für frische Fettpfunde. Knop rät grundsätzlich von Diäten ab, nachdem er für das Buch Hunger und Lust mehr als 300 aktuelle Studienergebnisse aus 2007-2011 kritisch analysiert hat (1). Stattdessen empfiehlt er, das Entfettungsvorhaben schonungslos zu hinterfragen, bevor man sich der „Lebensaufgabe Abnehmen“ stellt:
Warum raten Sie von Diäten ab?
Knop: Diäten versprechen Schlankheit – machen aber langfristig dick und krank und können zu Essstörungen führen. Mittlerweile ist klar: Diäten führen kurzfristig zum Abbau von Fett- und Muskelmasse. Aber nach Beendigung bewirken die Abspeckkuren genau das Gegenteil: Man wird prompt wieder schwerer – aufgrund der schnellen Fetteinlagerung. Das ist der bekannte JoJo-Effekt. Damit schützt sich der Körper vor der nächsten Hungersnot. Außerdem kann es bereits während der Diät zum „Entzugssymptom Heißhungerattacke“ kommen, die in unkontrollierte Fressorgien mündet.
Warum sprießen denn immer neue Diäten wie Pilze aus dem Boden ?
Diäten sind ein Milliarden-schwerer (Jahr)Markt, auf dem mit den Wünschen und Hoffnungen vieler Frauen gespielt wird. Wenn irgendeine der bisherigen Abspeckkuren dauerhaft schlank machen würde, dann gäbe es nicht alle paar Monate neue Diäten. Daran sieht man: Diäten sind nutzlos. Außer für die Anbieter, die immer wieder neue Entfettungskuren anpreisen können, weil die Vorherigen die Diätler noch dicker gemacht haben. So einfach erhält man sich seine Zielgruppe. Eigentlich müsste jedem aufgrund der dauernd neuen „revolutionären Diäten“ inzwischen klar sein: Irgendetwas stimmt hier nicht. Daher lassen Sie sich Ihrer Gesundheit zuliebe nicht mit unhaltbaren Schlankversprechen locken – auch nicht von den kommenden Trenddiäten 2012, denn das sind nur die alten Versager in neuem Gewand.
Was sollen denn diejenigen nun machen, die abnehmen möchten?
Die wichtigste Frage, die sich jeder gesunde Abnehmwillige vor Beginn einer Diät grundehrlich beantworten sollte, lautet: „Warum bin ich so schwer?“ Oftmals ist nämlich nicht das biologisch notwendige Essen zur Lebenserhaltung die Ursache der überflüssigen Pfunde, sondern Probleme im Alltag, die zu hungerfreiem Essen führen. Da ist eine Diät genau der falsche Weg.
Was meinen Sie mit hungerfreiem Essen?
Wenn Sie beispielsweise aus eingefahrener Routine frühstücken, weil es ja so gesund sein soll. Oder aus Langeweile, Frust oder Einsamkeit Leckereien in sich hineinstopfen. Auch Stress mit Völlerei zu „bekämpfen“ – all das ist hungerfreies Essen. Hier gilt die erste Frage nach dem „Warum esse ich, obwohl ich keinen echten Hunger habe?“ Seien Sie daher achtsam beim Essen und enttarnen Sie die Auslöser dieses „kompensatorischen“, des „Seele-fütternden“ Essens. Beseitigen Sie zuerst diese Auslöser, bevor Sie überhaupt an eine Diät denken.
Also erst die Gründe herausfinden, warum man isst?
Genau. Gehen Sie in sich und durchleuchten Sie Ihr Leben ohne Scham und Scheu: Wo ist der Stress, wo ist die Langeweile, wo sind die Routinen, die mich ohne Hunger essen lassen? Aus welchem Grund habe ich mir einen emotionalen Schutzpanzer aus Fett angefuttert? Wann und warum tröste ich meine Seele mit Essen? Da sollten Sie ansetzen, denn das setzt bei Ihnen an – und zwar unnatürliche Pfunde. Eliminieren Sie die Ursachen des hungerfreien Essens und einige Kilos verschwinden dann sicher von ganz allein.
Und was ist mit denen, die wirklich nur essen, wenn sie echten Hunger haben, aber trotzdem abnehmen möchten?
Gerade diese Menschen sollten Ihr Vorhaben kritisch hinterfragen! Denn jeder Körper hat einen sogenannten Setpoint, das ist sein persönliches Wohlfühlgewicht, das maßgeblich durch die Gene festgelegt wird. Dieses individuelle Idealgewicht verteidigt Ihr Körper. Warum also wollen Sie abnehmen? Wenn Sie sich beispielsweise aus optischen Gründen von Ihrem natürlichen Setpoint runterhungern wollen, also etwa um dem künstlichen Körperideal unserer Gesellschaft nahe zu kommen, dann machen Sie sich auf einen lebenslangen Kampf gegen Ihren eigenen Körper bereit. Er wird sich mit allen Mitteln gegen die Zwangsreduzierung seines Wohlfühlgewichts wehren.
Wenn jetzt aber Mann oder Frau trotzdem den „guten Vorsatz“ getroffen hat „Ich will abnehmen!“ Was sollen sie machen?
Ist die Entscheidung für den Kilokampf gefallen, dann ist es völlig egal, mit welcher Diät Sie abnehmen. Große Studienanalysen haben gezeigt: Wichtig ist nur die negative Energiebilanz. Sie müssen also nur weniger essen, als Ihr Körper verbraucht. Das bedeutet auch: Ein freies Essverhalten ist nicht mehr möglich, Sie müssen Ihre Nahrungsaufnahme kontrollieren. Was Sie wann am Tag essen, ist egal. Es muss einfach nur zu wenig sein – hier hilft auch mehr Bewegung, insbesondere im Alltag. Aber seien Sie sich ernsthaft bewusst: Sie treten entweder eine schwere Lebensaufgabe an oder Sie werden nach Ende der Diät bei gewohntem Essverhalten wieder zunehmen – und wahrscheinlich mehr wiegen als vorher. Daher sollte die Entscheidung, den natürlichen Kilos den Kampf anzusagen, wohl überlegt sein.
Aber 60 Prozent der Deutschen sind doch zu dick. Ist es denn grundsätzlich nicht besser abzunehmen, wenn man „Übergewicht“ hat – auch wenn es das körperliche Wohlfühlgewicht ist?
Die Frage vorher lautet: Was bedeutet denn überhaupt „zu dick“? Die zitierten 60 Prozent und alle bekannten Gewichtszahlen basieren auf dem BMI, dem Body Mass Index. Doch dieser Mensch-Bemessungsmaßstab hat derart viele Schwachstellen, dass er weder Erkenntnisse zu Gesundheit oder Krankheit liefert, noch Körperformen unterscheidet. Der Boxweltmeister Vitali Klitschko hat beispielsweise einen BMI an der Grenze zur „Fettleibigkeit“ – da sehen Sie schon eine Schwäche: Der BMI unterscheidet nicht nach Fett- und Muskelmasse. Frau Dr. Olias vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung DIfE erkannte bereits 2010: Der BMI „hat ausgedient“. Also vergessen Sie die Zahlen zur gerne propagierten „Übergewichtsepidemie“ – das ist nicht mehr als statistische Panikmache.
Aber dick sein ist doch ungesund, oder etwa nicht?
Auch hier hat die Statistik Interessantes zu bieten: Aktuelle Analysen zahlreicher wissenschaftlicher Studien zeigen unter anderem, dass der als „Übergewicht“ bezeichnete BMI-Bereich zwischen 25 und 30 das längste Leben garantiert – und eine Adipositas Grad I, also BMI 30 bis 35, keine erhöhte Sterblichkeit zur Folge hat (2,3). Wie immer in der Ernährungswissenschaft sind auch das nur Zahlenspielereien ohne Ursache-Wirkungs-Beweis. Aber für die statistiktreuen Übergewichts-Propagandisten heißt das im Umkehrschluss: Wer die Menschen aufgrund dieser Zahlen als „zu dick“ abstempelt und zum Abnehmen nötigt, der bringt sie wohlmöglich früher ins Grab. Ein perverses Paradox, das insbesondere der milliardenschweren Diätindustrie zu Gute kommt. Gesundheitsminister Bahr sollte den BMI und die darauf basierende Propaganda abschaffen – zum Wohle der Bundesbürger!
Was raten Sie statt BMI?
Wichtiger als unspezifische BMI-Werte sind die subjektiven Werte Zufriedenheit und Wohlfühlfaktor. Wenn Sie mit sich zufrieden sind, Ihr Leben genießen und sich gesund und wohl fühlen, dann sollten Sie sich nicht von unpersönlichen Messgrößen dazu drängen lassen, an Ihrem natürlichen Gewicht herumzudrehen – es könnte Ihrem Leben nicht nur viel Freude nehmen, sondern es sogar verkürzen! Vertrauen Sie beim Essen daher besser auf Ihre Gefühle Hunger und Lust und nicht auf Ernährungsregeln oder gar Diäten.
Wie lässt sich ein echtes Hungergefühl und damit ein natürliches Essverhalten wieder antrainieren?
Da gibt es zwei Tipps. Erstens: Vergessen Sie alles, was Sie über gesunde Ernährung gelernt haben. Dieses pseudowissenschaftliche Halbwissen stört oft nur den Instinkt, also den Hunger, bei der Auswahl der für Sie persönlich gesunden Lebensmittel. Zweitens: Reizen Sie Ihren biologischen Hunger aus, bis sie ihn wieder richtig spüren. Also essen Sie nicht nach Uhrzeit oder Gewohnheiten, sondern warten Sie. Wenn Sie zum Beispiel morgens keinen Hunger haben, dann lassen Sie es, auch wenn das Frühstück häufig als wichtigste Mahlzeit des Tages propagiert wird. Kein Mensch braucht ein Frühstück ohne Hunger. Wenn man seinen echten Hunger dann wieder kennt, dann spürt man auch den Unterscheid zwischen echtem Hunger und dem kompensatorischen, also dem „seelischem Hunger“, der beispielsweise dazu führt, dass man aus Langeweile, Stress oder eingefahrener Routine isst. Das sollte man meiden, denn das kann unnatürlich dick machen.
Letzte Frage: Wie isst man denn Ihrer Meinung nach grundsätzlich gesund und richtig?
Vertrauen Sie Ihren Gefühlen Hunger und Lust, anstatt auf Ernährungsregeln oder -päpste zu hören. Der Nutzen von Regeln wie fünf Mal am Tag Obst und Gemüse zu essen, täglich zwei Liter Wasser zu trinken oder weniger Fleisch zu essen ist nicht belegt – es ist nicht mehr als eine Vermutung. Meine kritische Auswertung von über 300 aktuellen Studienergebnissen der Jahre 2007-11 hat ergeben: Derartige „Volksempfehlungen“ sind nur statistische Spielereien ohne Beweiskraft. Kein gesunder Mensch braucht diese Ernährungswissenschaft und daraus resultierende Regeln. Es kommt generell weniger darauf an, was Sie essen, wenn Sie Hunger haben, sondern dass Sie sich dabei wohl fühlen und genießen, bis Sie satt sind. Nur Ihr Körper weiß am besten, was gutes Essen für Sie ist, sonst niemand.
(1) Leseprobe „HUNGER & LUST“ -> Diäten machen dick & krank
(2,3) Deutsches Ärzteblatt -> Morbidität und Mortalität bei Übergewicht und Adipositas im Erwachsenenalter: Eine systematische Übersicht /Deutsches Ärzteblatt -> Studie: Übergewicht verlängert das Leben
Lesen Sie auch:
Hunger und Lust von Uwe Knop
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.