Wenig Freizeit, viele Hausaufgaben und mit den Gedanken ständig bei den bevorstehenden Prüfungen: Immer mehr SchülerInnen leiden unter Stress – insbesondere jetzt, während der Abiturprüfungen. Studien zeigen, dass bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen Stresssymptome wie Gereiztheit, Unruhe und Ermüdung zum Alltag gehören. Zudem sind auch LehrerInnen und ErzieherInnen an den Schulen hohen Belastungen ausgesetzt: Zu wenig Personal, hoher Verantwortungsdruck und der tägliche Lärm in den Klassenräumen führen in manchen Fällen sogar bis zum Burnout.
Ob SchülerInnen oder LehrerInnen – immer mehr Betroffene können den Alltag nur unter großem psychophysischem Aufwand bewältigen. Und damit steigt auch das Risiko für Tinnitus. Denn chronischer Stress kann zu Veränderungen im auditorischen System und bis hin zu dauerhaften Schädigungen von Hörsinneszellen führen. Doch wie können Schulen und Eltern dagegen steuern? Die Deutsche Tinnitus-Stiftung Charité empfiehlt: Ruhepausen auch in der Schule, Stressreduktion und Aufklärung zu den Folgen von Stress schon in jungen Jahren.
Der Druck ist hoch – in und außerhalb der Schule
Hoher Leistungsdruck, vollgepackte Stundenpläne und im ungünstigsten Fall auch noch ein schlechtes Klassenklima – der Schulalltag kann richtig stressig werden. Doch Kinder brauchen mehr Ruhepausen, auch in der Schule. Das zeigte unter anderem das LBS Kinderbarometer im Januar 2015, in dem mehr als die Hälfte der befragten Kinder angaben, die Schule biete zu wenige Möglichkeiten zum Ausruhen. Der Kinderbund riet daraufhin: Eltern sollten Alarmzeichen wie Gereiztheit, Unruhe und psychosomatische Beschwerden ihrer Kinder genau beobachten, um Risiken frühzeitig erkennen und dem Stress entgegensteuern zu können.
Auch jetzt, ein Jahr später, ist dieses Thema aktuell: In vielen Bundesländern beginnen die Abiturprüfungen. Ein Teil der SchülerInnen steht in dieser Zeit stark unter Druck – und das nicht nur in der Schule. Denn der Stress macht am Schultor nicht halt. Auch außerhalb finden viele Kinder und Jugendliche nicht genug Zeit zur Entspannung und sind mit den Gedanken oft noch bei Prüfungen und schulischen Problemen. Ängste, Depressionen und Schlafstörungen können Folgen sein – und immer mehr SchülerInnen leiden auch unter Ohrgeräuschen. Laut dem Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg wurde die Zahl betroffener Kinder und Jugendlicher bisher sogar deutlich unterschätzt: Tinnitus kommt in der Altersgruppe ab 14 Jahren ähnlich häufig vor, wie bei Erwachsenen. Die Hauptgründe dafür seien Lärmbelastung und Stress.
Dr. Wolfgang Steininger vom Schulpsychologischen Beratungszentrum des Bezirks Berlin-Lichtenberg berichtet: „Zu uns kommen häufig Kinder und Jugendliche, die unter dem hohen Leistungsdruck leiden und manche zeigen sogar erste Verhaltensauffälligkeiten. Meist sind sie schon längere Zeit Stresssituationen ausgesetzt.“ Dass sich dieser Stress auch außerhalb der Schule fortsetzt, wird in seiner täglichen Arbeit deutlich: „Viele SchülerInnen gönnen sich auch nach der Schule keine Erholungspausen. Hausaufgaben, Nachhilfe, Termindruck – häufig stehen besonders ehrgeizige Eltern dahinter. Dazu kommt der soziale Druck, in der Klassengemeinschaft bestehen zu wollen, über Neuigkeiten informiert und gut vernetzt zu sein. So holen viele nach Schulschluss mit Smartphone und Co. direkt nach, was am Vormittag „verpasst“ wurde.“ Steininger sieht das Problem vor allem darin, dass viele Kinder und Jugendliche mit dem eigenen Zeitmanagement überfordert sind. Zeit für Entspannung bleibt da wenig.
Auch das Lehrpersonal ist gefährdet
In vielen Lehrerzimmern sieht es ähnlich aus. Das Lehr- und Erziehungspersonal muss spontane Personallücken füllen und zu viele Schüler auf einmal unterrichten. Dazu kommen der tägliche Lärm in den hallenden Schulräumlichkeiten und unergonomische Arbeitsbedingungen. Mindestens 60 % der 2015 in einer Studie befragten ErzieherInnen an Schulen gaben an, diese Belastungen deutlich wahrzunehmen und nur unter großen psychischen und physischen Anstrengungen bewältigen zu können.5 Klassische Symptome für die Überlastung sind Gereiztheit, Übermüdung, körperliche sowie emotionale Erschöpfung – und als Folge auch Hörschäden. Sehr anschaulich beschreibt das Dr. Steininger: „Nicht selten sieht man Lehrkräfte, die sich die Ohren zuhalten, weil sie die Lärmbelastung in der Schule nicht mehr aushalten. Standen Sie schon einmal in einem Schulflur, wenn die Pausenglocke klingelt und hunderte Schüler an Ihnen vorbei durchs Treppenhaus stürmen? Dann wissen Sie, wie laut es in einem Schulgebäude werden kann.“
Tinnitus und Stress
Zwar löst Stress allein nicht unmittelbar einen Tinnitus aus, dass er einen relevanten Einfluss auf den Ton im Ohr haben kann, ist in wissenschaftlichen Kreisen aber inzwischen Konsens.6 Medizinische Studien zeigen zum Beispiel, dass TinnituspatientInnen häufiger unter Stress stehen als andere HNO-PatientInnen. Hinzu kommt, dass es für Betroffene mit psychischer Vorbelastung oft schwieriger ist, den Alltag mit einem Tinnitus zu bewältigen. Denn wer unter Stress steht, lenkt die Aufmerksamkeit stärker auf das Ohrgeräusch. Wie sich Stress auf die Ohrengesundheit auswirken kann, erklärt Prof. Dr. Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrum der Berliner Charité und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Tinnitus-Stiftung Charité: „Stress – und ganz besonders chronischer Stress – kann eine wesentliche Rolle bei der Entstehung und Verfestigung eines Tinnitus haben. Durch die verstärkte Ausschüttung des Stresshormons Kortisol können Veränderungen im auditorischen System ausgelöst werden, die bis hin zu Schädigungen von Nerven- und Hörsinneszellen reichen.“ Sie empfiehlt daher, „dass die Behandlung von Tinnitus auch stressreduzierende Methoden und Therapien umfassen sollte.“
Die Deutsche Tinnitus-Stiftung Charité fordert: Entspannungspausen schaffen und aufklären
Um Stress und Folgen wie Tinnitus vorzubeugen, ist es ferner ratsam, häufiger Ruhepausen einzulegen. Rückzugsmöglichkeiten für SchülerInnen und LehrerInnen auf dem Schulgelände und Momente der Entschleunigung sind dafür besonders empfehlenswert. Es sei entscheidend, „das Erregungsniveau von Kindern mit pädagogischen Mitteln herunterzufahren“, fasst Dr. Steininger zusammen. Stressreduzierende Methoden, Entspannungsverfahren und auch Aufklärung zum Thema Gehörschutz sollten auf dem Stundenplan stehen. Zwar ist Lärmprävention bereits im Lehrstoff der 4. und 9. Klassenstufen zu finden, das Thema wird aber viel zu selten tatsächlich unterrichtet. Zudem ist die psychologische Betreuung nach wie vor entscheidend, um das Risiko einer Überlastung zu erkennen und rechtzeitig einzugreifen. Vor allem aber muss überhaupt ein Bewusstsein für die Gesundheitsgefährdung durch zu viel Stress geschaffen werden – auch schon in jungen Jahren. Informationsmaterial zu Gehörschutz, Tinnitus und Stress kann bei der Deutschen Tinnitus-Stiftung Charité angefragt werden. (pm)
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