Studie: Obdachlose leiden häufig an psychischen Erkrankungen
24.07.2014
Obdachlose sind besonders häufig von psychischen Erkrankungen betroffen. Das ergab eine Studie der Klinik für Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar der TU München. Vor allem Suchterkrankungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen seien unter Obdachlosen weit verbreitet, teilt das Klinikum mit. Die notwendige Betreuung erhält aber lediglich ein Drittel der Betroffenen.
Obdachlose leiden häufig an Suchtproblemen und Depressionen
Schätzungen zufolge haben rund 300.000 Menschen keine eigene Wohnung in Deutschland, etwa 25.000 leben auf der Straße. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe prognostiziert einen weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen auf 380.000 Menschen bis zum Jahr 2016. In München ist die Situation angesichts der hohen Mieten besonders dramatisch. Allein dort waren Ende 2013 etwa 8.000 Menschen auf Notunterkünfte, Pensionen, Wohnheime und ähnliche Einrichtungen angewiesen. 550 Personen lebten zudem ohne Dach über dem Kopf auf der Straße.
Laut einer aktuellen, repräsentativen Studie der Klinik für Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar leiden zwei Drittel der alleinstehenden Wohnungslosen unter psychischen Erkrankungen. Aber nur ein Drittel von ihnen wird entsprechend behandelt. An der sogenannten „Seewolf"-Studie – der Name steht für „Seelische Erkrankungsrate in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe" – nahmen 232 Bewohner von Notunterkünften, Häusern der Wohnungslosenhilfe und Pensionen teil. Die Geschlechterverteilung entsprach zu 80 Prozent Männern und zu 20 Prozent Frauen, was dem tatsächlichen Geschlechterverhältnis in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sehr nahe kommt. Die Teilnehmer wurden im Rahmen der Studie bei drei mehrstündigen Terminen umfassend untersucht, was sowohl ihre körperliche als auch die psychische Verfassung beinhaltete. Es wurde zudem ein allgemeines Interview geführt und die kognitive Leistungsfähigkeit überprüft.
94 Prozent der Obdachlosen sind akut oder ehemals von einer psychischen Erkrankung betroffen
Wie Josef Bäuml, leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ erläuterte, habe das Klischee des einsamen Wolfs nichts mit den Wohnungslosen gemein. „Es handelt sich nicht um Aussteiger, sondern um Menschen, die mit ihrem Latein am Ende und nicht mietfähig sind." 94 Prozent der Obdachlosen seien akut oder ehemals psychisch krank. Ihre geistige Leistungsfähigkeit ist der Untersuchung zufolge deutlich eingeschränkt und sie verfügen über wesentlich niedrigere Bildungsabschlüsse als der Bevölkerungsdurchschnitt. Etwa 80 Prozent sind zudem von Suchterkrankungen betroffen. Meist handelt es sich um Alkohol, um mit den Auswirkungen der psychischen Erkrankungen zurechtzukommen. 55 Prozent der Obdachlosen leiden unter Persönlichkeitsstörungen. Die Forscher diagnostizierten bei 40 Prozent der Studienteilnehmer Depressionen, bei 20 Prozent Angststörungen und bei 14 Prozent schizophrene Erkrankungen.
Die Befragung der Obdachlosen ergab zudem, dass die Teilnehmer durchschnittlich seit fünf Jahren keine eigene Wohnung mehr hatten und davon elf Monate auf der Straße gelebt haben. Häufig handele es sich um eine „sehr schwierige, sperrige Persönlichkeitsstruktur, die nicht den Beschützerinstinkt von Therapeuten" weckt, sagte Bäuml der Zeitung.
Psychische Erkrankung ist nicht immer Ursache für Wohnungslosigkeit
Die meisten Studienteilnehmer waren bereits vor der Wohnungslosigkeit krank, durchschnittlich 6,5 Jahre. Wie der Leiter der Arbeitsgruppe Klinische und Experimentelle Neuropsychologie, Thomas Jahn, gegenüber dem Blatt erläuterte, müsse die Erkrankung nicht immer Ursache für den Verlust der Wohnung sein, es sei aber ein Risikofaktor. Wenn andere Faktoren wie der Verlust des Partners oder des Arbeitsplatzes hinzu kämen, entstehe eine „sozial prekäre Situation". Deshalb müssten die Hilfsangebote früher ansetzen und den Wohnungsverlust verhindern, so Bäumel.
Dem Experten zufolge sei der hohe Anteil psychisch kranker Menschen in der Wohnungslosenhilfe auf den Bettenabbau in der Psychiatrie infolge der Enthospitalisierung zurückzuführen. Nicht alle Betroffenen würden von den ambulanten Betreuungsangeboten erfasst. Wie Thomas Duschinger von der Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gegenüber der Zeitung erläuterte, sollen zukünftig verstärkt „multiprofessionelle Teams" in den Einrichtungen eingesetzt werden.
Bild: Initiative Echte Soziale Marktwirtschaft (IESM) / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.