Studie: Aggressive Kinder spielen vermehrt brutale Computerspiele
10.10.2011
Computerspiele sind in der öffentlichen Debatte ein kontrovers diskutiertes Thema. In wie weit sind PC-Spiele Auslöser für aggressive Verhaltensstrukturen bei Kindern? Dieser Frage ist ein Gemeinschaftsforschungsprojekt der Leuphana Universität Lüneburg und der Universität Hohenheim nachgegangen. Im Ergebnis konnten die Forscher ermitteln, dass Verhaltensauffällige Grundschulkinder eine höhere Präferenz zu Computerspielen mit brutalen Inhalten haben, als vergleichsweise ihre Klassenkameraden. Ausdrücklich betonten die Forscher, dass die Spiele allerdings keine dissozialen Verhaltensweisen provozieren.
Kommt es zu schlimmen Ereignissen wie dem Amoklauf in Winnenden, wird polizeilich und medial das Sozialleben des Täters durchleuchtet. Das Ziel: Ein nicht erklärbares Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen soll durch Details des vorigen sozialen Lebens Antworten geben. In dem Fall von Winnenden hatte Tim K. tatsächlich eine Vorliebe für sogenannte Ego-Shooter, bei denen es darum geht, den Gegner im Spiel zu eliminieren. Aber werden solche Gewaltexzesse tatsächlich durch den Konsum von Computerspielen ausgelöst oder spielen die Täter aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nur gern solche Spiele? Die Kritiker von PC-Spielen behaupten ersteres und wollen am Liebsten alle Spiele dieser Genre verbannt wissen. Befürworter aber auch Sozialforscher entgegnen, dass die Rate der Gewaltausbrüche im Vergleich zum Millionenfachen Konsum weitaus höher ausgeprägt sein müsste, wenn PC-Spiele tatsächlich zu einem solchen Verhaltensmuster führen würde. Nicht ausgeschlossen werden aber begünstigende Faktoren, die zu einem solchen Verhalten führen. Ein alleinige Antwort für die schrecklichen Taten sind die Videospiele ganz gewiss nicht.
Verhaltensauffällige Kinder spielen gern Computerspiele mit aggressiven Inhalten
Kinder in der Grundschule, die durch aggressive Verhalten auffällig sind, spielen weitaus lieber PC- und Videospiele mit brutalen Inhalten, als Kinder mit weniger aggressiven Verhaltensanteilen. Die Wissenschaftler der Universitäten Lüneburg und Hohenheim konnten im Verlauf einer Studienarbeit beobachten, dass sich die Präferenz zu solchen „Gewaltspielen“ erhöht, je älter die Kinder werden.
Im Verlauf der Studie wurden rund 324 Kinder des dritten und vierten Schuljahres verschiedener Stadtteile Berlins zu ihren Lieblingsspielen befragt. Die Studienlaufzeit betrug während des Projekts ein Jahr. In diesem Abstand wurden die Spiel-Favoriten erneut per Fragekatalog hinterfragt. Inhalt der Fragestellung waren favorisierte Spiele mit Titel, Spieldauer und Spielgewohnheiten. Ferner sollten die Kinder darüber Auskunft geben, welche Mitschüler durch dissoziale Verhaltensstrukturen wie Schimpfwörter, Hauen und Schubsen besonders auffällig sind. Um ein objektiveres Bild zu erlangen, wurden auch die Klassenlehrer der jeweiligen Schulklassen zum letzten Punkt befragt.
Fast jedes Kind spielt PC- oder Videospiele
Als Gesamtergebnis formulierte das Forscherteam, dass Computerspiele unabhängig vom Genre bei Kindern im Grundschulalter sehr beliebt und verbreitet sind. 91 Prozent der Acht- bis Zwölfjährigen gaben bei der ersten Befragung an, dass mindestens ein PC- oder Videospiel ihr „Lieblingsspiel“ sei. Bei der zweiten Befragung nach gut einem Jahr änderten sich dann häufig die Vorlieben der Spiele. „Die meisten Kinder probieren anfangs unterschiedliche Angebote aus und entwickeln erst mit der Zeit eine ausgeprägte Vorliebe für ein Spiel oder ein Spielegenre“, erklärt die Studienleiterin und Professorin Dr. Maria von Salisch von der Leuphana Universität Lüneburg.
Bildschirmspiele provozieren keine dissozialen Verhaltensstrukturen
Als zweites Ergebnis kristallisierte sich heraus, dass „aggressiv eingestufte Mädchen und Jungen“ öfter Spiele bevorzugen, die als gewalttätig einzustufen sind. Die weniger aggressiven Klassenkameraden probieren zwar auch gewalthaltige Spiele aus, entwickeln aber seltener eine Präferenz für dieses Genre“, erläuterte Jens Vogelgesang von der Universität Hohenheim. Nach Ansicht der Sozialforscher bestehe bei Verhaltensauffälligen Kindern das Risiko, dass sich die Präferenz für „brutale und blutige Bildschirmspiele mit der Zeit verfestigt“. Die Wissenschaftler betonten aber ausdrücklich, dass ein Umkehrschluss nicht gilt. Es konnten wie vielfach angenommen keine Belege dafür gefunden werden, dass Gewaltspiele die Aggressivität der Kinder provoziere oder steigere. „Das ist die medienpädagogisch gute Nachricht unserer Studie“, resümiert Jens Vogelgesang. „Allerdings gilt das ausdrücklich nur für die von uns erstmals in einer Wirkungsstudie untersuchte Altersgruppe der Acht- bis Zwölfjährigen.“
Was für die kleinen Kinder nicht gilt, kann bei den älteren Jugendlichen aus Wissenschaftssicht nicht ausgeschlossen werden. Ältere Kinder zeigen belegbar negative Verhaltensänderungen durch Videospiele, in denen aggressive Handlungsweisen im Mittelpunkt stehen. Daher kann grundsätzlich keine Entwarnung gegeben werden, wie Entwicklungspsychologin Maria von Salisch betonte. „Wir können nicht ausschließen, dass eine verfestigte Vorliebe für gewalthaltige Bildschirmspiele nicht vielleicht doch im Laufe einer Spielerkarriere zu einer größeren Gewaltbereitschaft führen kann.“ Demnach sind weitere Studien von Nöten, die einen möglichen Kontext genauer durchleuchten. Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift „Media Psychology“ erschienen. (sb)
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