Gericht verurteilt Eltern wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
05.08.2014
Im Prozess um den so genannten „Sektenguru von Lonnerstadt“ ist das Landgericht Nürnberg-Fürth zu einem abschließenden Urteil gekommen: Wie die Nachrichtenagentur „dpa“ berichtet, müssen die 49-Jährige Mutter des schwer kranken Jungen und dessen 55-Jähriger Lebensgefährte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen drei Jahre ins Gefängnis. Die beiden Erwachsenen hatten dem an Mukoviszidose erkrankten Jungen offenbar von November 1999 bis Dezember 2002 keine Medikamente gegeben – sondern ihn stattdessen zur Meditation angehalten.
Eltern kümmern sich nicht um Versorgung des schwer kranken Sohnes
Ein Zwölfjähriger Junge, der an der unheilbaren Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose leidet, bekommt von seinen Eltern über drei Jahre hinweg keine Medikamente und auch um notwendige Arztbesuche wird sich nicht gekümmert. Was wie ein Albtraum klingt, hat ein heute 27-Jähriger Mann anscheinend am eigenen Leib erfahren müssen. Der Mann hatte über viele Jahre mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten zusammen gelebt und war dabei zum Opfer der kruden Vorstellungen der beiden Erwachsenen geworden. Diese gingen davon aus, dass sich Mukoviszidose auch ohne Medikamente und ärztliche Betreuung heilen ließe – und ließen den Jungen beispielsweise stundenlang meditieren. Wie der junge Mann berichtet, hatte ihm der Freund der Mutter immer wieder eingebläut, "wenn ich alles mitmache, meditiere, bin ich mit 17, 18 geheilt". Neben dem habe der Junge auch immer wieder fasten müssen – obwohl gerade bei bei Mukoviszidose durch den im Vergleich zu Gesunden höheren Energiebedarf eine ausgewogene, fettreiche Ernährung wichtig ist. In der Folge war der Junge auf knapp 30 Kilogramm abgemagert – extremes Untergewicht, denn ein Zwölfjähriger hätte bei seiner Größe etwa 50 Kilogramm wiegen müssen.
Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre Haft
Doch das verantwortungslose Verhalten der Eltern bleibe nicht folgenlos. Bereits mit 15 Jahren floh der Junge zu seinem leiblichen Vater, wo er endlich medikamentös versorgt wurde und die Beschwerden langsam nachließen. Zehn Jahre später, stellt der Junge schließlich im November 2012 Strafanzeige gegen seine Mutter und ihren Lebenspartner. Mit Erfolg: Denn nun wurden die Frau und der als "Sektenguru von Lonnerstadt" bekannt gewordene 55-Jährige Mann nach „dpa“-Angaben auch gerichtlich für ihr damaliges Verhalten bestraft: Das Landgericht Nürnberg-Fürth verhängte eine dreijährige Haftstrafe wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen, mit der Begründung, dass das Kind ohne die verspätete Behandlung bald gestorben wäre. Während die Verteidigung auf Freispruch plädierte, hatte Staatsanwalt Torsten Haase sogar vier Jahre Haft gefordert und betonte dabei, dass es keine Rolle spiele, ob die Eltern Teil einer Sekte seien oder nicht.
Kammer erkennt Vorverurteilung und Ächtung durch die Medien als strafmildernd an
Doch die Kammer erkannte eine Vorverurteilung und Ächtung durch die Medien an und ließ dies strafmildernd wirken – denn im Vorfeld hatte es wilde Spekulationen gegeben, ob der Mann der "Neuen Gruppe der Weltdiener" angehöre, was sich allerdings in Verhandlung als falsch herausstellte. Nichts desto trotz hätten die Angeklagten das Kind sich selbst überlassen und diesem die Entscheidung über Medikamenteneinnahme und Arztbesuche frei gestellt. Für den Vorsitzenden Richter Ulrich Flechtner „ein Komplettversagen bei der Erziehung“, denn für die Versorgung und Kontrolle des Gesundheitszustand wären allein die beiden Erwachsenen verantwortlich gewesen. „Sie wussten genau, wie wichtig eine permanente Behandlung ist“, so der Richter weiter, und dennoch hätten die beiden Angeklagten „Schmerzen und Leiden zumindest billigend in Kauf genommen.“
WDR berichtet schon 2012 vom Schicksal des Jungen
Wie der „WDR“ bereits 2012 in der Dokumentation „Sektenkinder – zum Dienen geboren“ gezeigt hatte, konnte sich der Junge auch in den Jahren nach seiner Flucht gesundheitlich nicht komplett erholen. Stattdessen hatten die jahrelange Unterernährung, fehlende ärztliche Versorgung und Medikation die Zerstörung seiner Lunge beschleunigt. In der Sendung war auch die Rolle des Jugendamtes thematisiert worden, welches dem WDR nach zu keiner Auskunft bereit war, warum damals auch auf die Bitten des Schuldirektors und eines Lehrers nicht eingegriffen worden war. Das Jugendamt habe versagt, so der Vorwurf der Schwester des heute 27-jährigen, die dem Bruder damals bei der Flucht geholfen hatte. „Die Behörden in Erlangen sind verloren.“ (nr)
Bild: Carlo Schrodt / pixelio.de
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.