Erythropoietin: Körpereigenes Doping und Heilmittel fürs Gehirn
Viele Personen kennen den Begriff Epo beziehungsweise Erythropoietin in Verbindung mit Dopingmitteln beim Sport, denn die Gabe von Epo fördert die Bildung von roten Blutkörperchen, wodurch ein leistungssteigernder Effekt erzielt werden soll. Ein deutsches Forschungsteam hat nun erstmalig herausgefunden, wie Erythropoietin wirkt. Es ist ein körpereigenes Aufputschmittel des Gehirns zur Steigerung der geistigen Leistungskraft und kann zudem die Auswirkungen von Schlaganfällen sowie von psychischen Krankheiten lindern.
Forschende vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen entschlüsselten erstmals, wie Epo im Gehirn Nervenzellen schützt und regeneriert. Demnach produziert das Gehirn den Stoff als Reaktion auf leichte Sauerstoffmängel, die durch geistige Herausforderungen ausgelöst werden. Epo führt dazu, dass sich aus benachbarten Vorläuferzellen neue Nervenzellen bilden und dass sich Nervenzellen effektiver verbinden, wodurch das Gehirn leistungsfähiger wird. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature Communications“ vorgestellt.
Was Ist Erythropoietin
Erythropoietin (kurz Epo) ist ein Wachstumsfaktor, also ein Protein, dass als Signal von einer Zelle auf eine zweite übertragen wird und so Informationen weiterleitet. Epo fördert unter anderem die Produktion von roten Blutkörperchen und gilt deshalb als hochpotenter Wirkstoff, der nicht selten zur illegalen Leistungssteigerung im Sport eingesetzt wird. Die aktuelle Studie zeigt nun, dass das Gehirn Epo als körpereigenes Dopingmittel einsetzt, um die geistige Leistungskraft zu stärken.
Epo verbessert Gedächtnis und Lernerfolge
Hannelore Ehrenreich erforscht zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen am Max-Planck-Institut seit Jahren die Rolle von Epo im Gehirn. Das Team hat nun in Tierversuchen an Mäusen systematisch untersucht, wie es zu dem leistungssteigernden Effekt im Gehirn durch Epo kommt. Aus der Studie geht hervor, dass erwachsene Mäuse nach der Gabe von Epo 20 Prozent mehr Nervenzellen in der Pyramidenschicht des Hippocampus bilden. Diese Hirnregion ist entscheidend für das Gedächtnis und das Lernen.
„Außerdem vernetzen sich die Nervenzellen besser und schneller mit anderen Nervenzellen und tauschen dadurch effizienter Signale aus“, berichtet Ehrenreich.
Mäuse erlernten komplexe Bewegungsabläufe schneller
In Versuchen ließen die Forschenden Mäuse in speziellen Laufrädern trainieren. Die Abstände der Speichen waren in unregelmäßigen Abständen angeordnet. „Das Laufen in diesen Rädern erfordert das Erlernen komplexer Bewegungsabläufe, die für das Gehirn eine besondere Herausforderung sind“, erläutert Ehrenreich. Durch die Gabe von Epo konnten die Mäuse die erforderlichen Bewegungsabläufe deutlich schneller erlernen und zudem waren sie deutlich belastbarer als Mäuse, die kein Epo erhielten.
Wie kommt es zu diesem leistungssteigernden Effekt?
In einer Reihe gezielter Experimente konnten die Forschenden aus Göttingen belegen, dass Nervenzellen beim Lernen komplexer motorischer Aufgaben mehr Sauerstoff benötigen, als ihnen normalerweise zur Verfügung steht. Dadurch ergibt sich ein leichter Sauerstoffmangel im Gehirn, der relative Hypoxie genannt wird. Diese Hypoxie gibt gleichzeitig das Signal für eine vermehrte Epo-Produktion.
„Es handelt sich hierbei um einen selbstverstärkenden Prozess“, erklärt Ehrenreich. Geistige Anstrengung führe zu leichter Hypoxie. Leichte Hypoxie erhöhe die Produktion von Epo. Epo steigere dann die Aktivität der Nervenzellen, bewirke die Bildung neuer Nervenzellen und erhöhe deren komplexe Vernetzung. So kommt es zu der „bei Mensch und Maus messbaren Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit“, betont Ehrenreich.
Epo macht das Gehirn effektiver
Laut den Forschenden kann dieser selbstverstärkende Zyklus auf unterschiedliche Weisen beeinflusst werden. „Die geistige Leistungsfähigkeit lässt sich durch konsequentes Lernen und geistiges Training über die Epo-Produktion der beteiligten Nervenzellen steigern“, schildert die Gehirnforscherin. Ein ähnlicher Effekt könne erzeugt werden, indem zusätzliches Epo verabreicht wird.
Wer kann von einer Epo-Gabe profitieren?
Die Forschenden zeigten, dass jeder selbst durch kontinuierliches Lernen seine Epo-Produktion und somit auch seine geistige Leistungsfähigkeit verbessern kann. Bei einigen Krankheiten kann Epo jedoch auch als Wirkstoff eingesetzt werden. „Die Gabe von Epo verbessert die Regeneration nach einem Schlaganfall und verringert so die Schäden im Gehirn“, so Ehrenreich.
Darüber hinaus seien Betroffene mit Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit durch Epo deutlich leistungsfähiger. Dies spiele bei Erkrankungen wie Schizophrenie, Depression, Bipolarer Störungen oder Multipler Sklerose eine Rolle. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Debia Wakhloo, Franziska Scharkowski, Yasmina Curto, u.a.: Functional hypoxia drives neuroplasticity and neurogenesis via brain erythropoietin; in: Nature Communications, 2020, nature.com
- Max-Planck-Institut: Körpereigenes Doping fürs Gehirn (veröffentlicht: 09.03.2020), mpg.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.