Herpesvirus als Hauptursache für Multiple Sklerose?
Rund 95 Prozent aller Personen infizieren sich im Laufe des Lebens mit dem aus der Herpes-Familie stammenden Epstein-Barr-Virus – die meisten bereits im Kindesalter. Doch die Infektion verläuft in den allermeisten Fällen weitgehend ohne Symptome. Ein amerikanisches Forschungsteam zeigte nun, dass die Infektion jedoch Langzeitfolgen haben kann. Das Team belegte erstmals den bereits vermuteten Zusammenhang zwischen einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und der Entstehung von Multiple Sklerose.
Forschende der Harvard T.H. Chan School of Public Health untersuchten den Zusammenhang zwischen Multiple Sklerose (MS) und dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Die Arbeitsgruppe zeigte an einer großen Gruppe von Teilnehmenden, dass das Risiko für die Entstehung von MS nach einer Infektion mit EBV um das 32-fache ansteigt. Die Ergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Science“ präsentiert.
Erster Beweis über Zusammenhang zwischen MS und EBV
MS ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems von der weltweit circa 2,8 Millionen Menschen betroffen sind. Charakteristisch für das Krankheitsbild ist, dass die sogenannten Myelinscheiden angegriffen werden. Dabei handelt es sich um eine Schicht, die Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn und Rückenmark schützt.
Derzeit gibt es keine endgültige Heilung für MS. Ebenso war bislang unklar, wie die Krankheit entsteht. „Die Hypothese, dass EBV MS verursacht, wird von unserer Gruppe und anderen seit mehreren Jahren untersucht, aber dies ist die erste Studie, die einen zwingenden Beweis für die Kausalität liefert“, betont Professor Alberto Ascherio von der Harvard T.H. Chan School of Public Health.
Schritt zur Heilung von MS
„Dies ist ein großer Schritt, denn die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die meisten MS-Fälle durch eine Unterbrechung der EBV-Infektion verhindert werden könnten und dass eine gezielte Bekämpfung von EBV zur Entdeckung eines Heilmittels für MS führen könnte“, folgert der Wissenschaftler.
Schwieriger Nachweis
EBV gilt bereits seit Jahren als einer der Hauptverdächtigen unter den potenziellen Auslösern für MS. Das Epstein-Barr-Virus zählt zur Familie der Herpesviren. Es kann bei Betroffenen eine latente Infektion auslösen, die lebenslang anhält. Da rund 95 Prozent aller Erwachsenen mit EBV infiziert sind, war es bislang äußerst schwierig, einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Virus und MS aufzuzeigen, unter anderem auch, weil die ersten MS-Symptome erst rund zehn Jahre nach einer EBV-Infektion auftreten.
Daten von zehn Millionen Soldatinnen und Soldaten analysiert
Um den Zusammenhang zwischen EBV und MS zu untersuchen, führte die Arbeitsgruppe eine Studie unter mehr als 10 Millionen jungen Erwachsenen im aktiven US-Militärdienst durch. Unter allen Teilnehmenden fanden die Forschenden 955 Personen, bei denen während der Dienstzeit MS diagnostiziert wurde.
Das Team analysierte Serumproben der Teilnehmenden, die alle zwei Jahre vom Militär entnommen wurden. Auf diese Wiese konnte ein Zusammenhang zwischen einer EBV-Infektion und dem Auftreten von MS überprüft werden.
EBV könnte Hauptursache für MS sein
Die Auswertung zeigt, dass das Risiko für die Entstehung von MS nach einer Infektion mit EBV um das 32-fache anstieg. Wie die Serumproben ebenfalls zeigten, stieg das MS-Risiko durch die Infektion mit anderen Viren jedoch nicht an. Dieser Zusammenhang lässt sich laut der Arbeitsgruppe nicht durch bekannte MS-Risikofaktoren erklären, was darauf hindeutet, dass EBV selbst als Hauptursache für MS einzuordnen ist.
„Derzeit gibt es keine Möglichkeit, einer EBV-Infektion wirksam vorzubeugen oder sie zu behandeln, aber ein EBV-Impfstoff oder die gezielte Behandlung des Virus mit EBV-spezifischen antiviralen Medikamenten könnte letztendlich MS verhindern oder heilen“, resümiert Professor Ascherio.
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Harvard T.H. Chan School of Public Health: Epstein-Barr virus may be leading cause of multiple sclerosis (veröffentlicht: 13.01.2022), hsph.harvard.edu
- Kjetil Bjornevik, Marianna Cortese, Alberto Ascherio, et al.: Longitudinal analysis reveals high prevalence of Epstein-Barr virus associated with multiple sclerosis; in: Science, 2022., science.org
Wichtiger Hinweis:
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