Zusammenhang zwischen Behandlung mit Betablockern und Parkinson?
Die Parkinson-Krankheit ist eine der häufigsten fortschreitenden neurologischen Erkrankungen. Seit einigen Jahren wird angenommen, dass Betablocker das Risiko für die unheilbare Krankheit erhöhen können. Besteht dieser Zusammenhang aber wirklich?
Beta-Rezeptor-Antagonisten (kurz: Betablocker) stehen in Verdacht, das Risiko für Morbus Parkinson zu erhöhen. Die Studienlage ist aber nicht einheitlich, mögliche kausale Zusammenhänge werden zurzeit noch erforscht. Fachleute warnen Patientinnen und Patienten jetzt davor, aus Sorge vor einer Parkinson-Erkrankung die Medikation abzusetzen.
Medikation nicht absetzen
Vor einigen Jahren wurde in dem Fachmagazin „Science“ eine Studie veröffentlicht, die darauf hindeutete, dass die Einnahme von Betablockern das Risiko für Morbus Parkinson erhöhen könnte.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) weist aber in einer aktuellen Mitteilung darauf hin, dass die Studienlage nicht einheitlich ist und dass mögliche kausale Zusammenhänge zurzeit noch erforscht werden.
Eine aktuelle Übersichtsarbeit in der renommierten Fachzeitschrift „Lancet“ fasst den momentanen Erkenntnisstand zusammen und warnt Patientinnen und Patienten davor, aus Sorge vor einer Parkinson-Erkrankung die Medikation abzusetzen.
Der Nutzen der Betablocker, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt, ist ungleich höher als das mögliche Parkinson-Risiko, so die Fachleute.
Noch nicht bestätigter Mechanismus
Laut der DGN hatte eine Grundlagenuntersuchung einen noch nicht bestätigten Mechanismus in Zellexperimenten gefunden, demzufolge der Betablocker Propranolol die Produktion von α-Synuclein, dem Hauptbestandteil der Lewy-Körper, hochreguliert.
Aus genetischen Studien an Patientinnen und Patienten mit Triplikationen des α-Synuclein-Gens ist bekannt, dass vermehrter Anfall von α-Synuclein zu häufigerem Auftreten von Parkinson führt.
Darüber hinaus haben epidemiologische Beobachtungsstudien gezeigt, dass eine mögliche Assoziation zwischen Langzeittherapie mit Betablockern und der Parkinson-Krankheit vorliegt, wohingegen die chronische Einnahme von Beta-Rezeptor-aktivierenden Medikamenten (sogenannte Beta-Agonisten) mit einem verminderten Parkinson-Risiko einherging.
„Es ist für die klinische Praxis sehr wichtig, ob man dem Ergebnis glauben darf: Anlass für diesen Review war, dass wir von Ärzten gefragt wurden, ob Propranolol bei ihren Patienten nun abzusetzen ist“ erläutert Prof. Dr. med. Dr. h. c. Günther Deuschl, Kiel, Korrespondenzautor der Übersichtsarbeit.
Möglicherweise ein Resultat statistischer Verzerrungen und Störfaktoren
Wie die DGN schreibt, neigen Kliniker dazu, epidemiologischen Untersuchungen hohes Vertrauen zu schenken. „Die Assoziationen zwischen Betablockern und erhöhtem Parkinson-Risiko könnten aber auch Resultat statistischer Verzerrungen und Störfaktoren sein“, sagt Frau PD Dr. F. Hopfner, Erstautorin der Studie.
Die Wissenschaftlerin verweist darauf, dass Beobachtungsstudien keine Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nachweisen können – und somit oft zu einem „Henne-Ei-Problem“ führen.
„Unsere Untersuchung konnte zeigen, dass das erhöhte Risiko für Parkinson unter Betablockern nicht mehr nachweisbar war, wenn Patienten mit Tremor ausgeschlossen werden.“
Weil ein unspezifischer Tremor zu den sehr frühen, wenn auch uncharakteristischen Parkinson-Vorzeichen (sogenannte Prodromi) gehört, wurde Propranolol vermutlich zur Behandlung des prodromalen Parkinson-Symptoms Tremor eingesetzt und ist damit jedoch nicht Verursacher der Erkrankung.
Dies würde auch erklären, warum Primidon, das auch zur Tremorbehandlung eingesetzt wird, auch mit einem erhöhten Parkinson-Risiko assoziiert zu sein schien – ein Effekt, der ebenfalls verschwindet, wenn man diese Patientinnen und Patienten aus der Statistik ausschließt.
Kein kausaler Zusammenhang bewiesen
Die Assoziation zwischen Beta-Rezeptor-Agonisten (Salbutamol) und einem vor Parkinson schützendem Effekt ist bislang ebenfalls nicht bestätigt. Auch hier ist kein kausaler Zusammenhang bewiesen und es könnten andere Faktoren reinspielen, beispielsweise der Faktor „Nikotinkonsum“:
Verschiedene Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass Rauchende seltener an Parkinson erkranken als Nichtrauchende. Insbesondere starke Rauchende gehören jedoch prinzipiell zu der Gruppe chronisch lungenkranker Patientinnen und Patienten, die regelmäßig Beta-Rezeptor-Agonisten verordnet bekommen, so dass ein vermeintlich schützender Effekt der Beta-Agonisten bei diesen Personen auch über den Nikotinkonsum zu erklären sein könnte.
„Natürlich ist Nikotin nicht als Parkinson-Prophylaxe zu empfehlen. Das Risiko, an den bekannten Folgen des Rauchens zu erkranken und zu versterben, ist deutlich höher als überhaupt eine Parkinson-Erkrankung zu bekommen“, erläutert Hopfner.
„Umgekehrt ergibt es natürlich auch keinen Sinn, zur Senkung des Parkinson-Risikos auf Betablocker zu verzichten und dafür beispielsweise einen Herzinfarkt zu riskieren oder einen Bluthochdruck nicht zu behandeln.“
Der Gesundheit würde mehr geschadet als genutzt
Medikamente, die an Beta-Rezeptoren angreifen, wurden von der Weltgesundheitsorganisation(WHO) auf die Liste der essenziellen Medikamente aufgenommen („The WHO Model List of Essential Medicines“), denn sie retten buchstäblich Millionen von Patientenleben.
Bronchialasthma und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) werden durch eine Aktivierung von Beta-Rezeptoren (durch Beta-Agonisten, zum Beispiel Salbutamol) behandelt. Dagegen ist eine Blockade von Beta-Rezeptoren (durch Betablocker, beispielsweise Propranolol, Metoprolol) bei Bluthochdruck und bestimmten Herzerkrankungen erwiesenermaßen lebensverlängernd (z. B. Herzschutz nach einem Infarkt).
Auch bei neurologischen Erkrankungen wie Migräne und dem essenziellen Tremor sind Betablocker aus der Therapie nicht mehr wegzudenken und können die Lebensqualität der Betroffenen deutlich steigern.
„Selbst, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen Betablockern und der Parkinson-Krankheit bestehen würde, was derzeit nicht bewiesen ist, so ist er nach jetzigem Kenntnisstand als gering einzustufen“, so Hopfner.
Dem Lancet Neurology-Bericht zufolge würde rechnerisch nur eine einzige Parkinsonerkrankung bei 10.000 Patienten nach fünf Jahren Propranolol-Behandlung verursacht.
„Das entspricht in der Pharmakologie dem Status einer äußerst seltenen Nebenwirkung. Ärzte und Patienten sollten daher keinesfalls in Panik geraten und aus Sorge, als Spätfolge der Therapie eine Parkinson-Krankheit zu induzieren bzw. zu erleiden, Betablocker absetzen. Damit würde der Gesundheit mehr geschadet als genutzt“, sagt Deuschl. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): Kausaler Zusammenhang zwischen Therapie mit Betablockern und Parkinson-Krankheit ist sehr unwahrscheinlich, (Abruf: 28.01.2020), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)
- Hopfner F, Höglinger GU, Kuhlenbäumer G, Pottegård A, Wod M, Christensen K, Tanner CM, Deuschl G: β-adrenoreceptors and the risk of Parkinson's disease; in: Lancet, (veröffentlicht: 27.01.2020), Lancet
- Christopher Paolucci, Ishant Khurana, Atish A. Parekh, Sichi Li, Arthur J. Shih, Hui Li, John R. Di Iorio, Jonatan D. Albarracin-Caballero, Aleksey Yezerets, Jeffrey T. Miller, W. Nicholas Delgass, Fabio H. Ribeiro, William F. Schneider, Rajamani Gounder: Dynamic multinuclear sites formed by mobilized copper ions in NOx selective catalytic reduction; in: Science, (veröffentlicht: 01.09.2017), Science
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.