Ernährungsforschung: Gegen ungesunden Zucker kann die zuckersüße Stevia helfen
09.02.2012
Seit Jahren sind die gesundheitlichen Auswirkungen eines zu hohen Zuckerkonsums wie zum Beispiel Fettstoffwechselstörungen, Karies, Leberschäden und Übergewicht bekannt. Der Druck auf die Lebensmittelindustrie zur Reduzierung des Zuckergehalts ihrer Produkte wächst und die Unternehmen suchen händeringend nach Alternativen. Eine Alternative bietet die zuckersüße Pflanze Stevia, die unlängst von der Europäischen Union zugelassen wurde.
Der erst seit 2011 in der EU zugelassene natürliche Süßstoff Stevia könnte hier in Zukunft vermehrt als Zuckersatz zum Einsatz kommen. Die Extrakte der Stevia-Pflanze schmecken bis zu 400 Mal süßer als herkömmlicher Zucker, ohne mit vergleichbaren gesundheitlichen Risiken belastet zu sein. So hat auch die Lebensmittelindustrie unter dem wachsenden Druck von Verbraucherschützern und Politikern den pflanzlichen Zuckerersatz nun als mögliche Alternative für sich entdeckt. Mit Stevia sollen Süßwaren, zuckerhaltige Softdrinks und andere gesüßte Lebensmittel in Zukunft deutlich weniger gesundheitsgefährdend werden als bisher.
Zuckergehalt in Lebensmitteln reduzieren
Schokolade, Kuchen, Bonbons oder Eis – die wenigsten Deutschen sind dazu bereit, dauerhaft auf süße Schlemmereien zu verzichten. Die Schwierigkeit liegt jedoch nicht nur bei den offensichtlich stark gesüßten Produkten, sondern auch bei Lebensmitteln mit eher verstecktem Zuckergehalt, wie beispielsweise Ketchup. So liegt der durchschnittliche Zuckerkonsum pro Kopf hierzulande deutlich zu hoch. Damit verbunden sind zahlreiche gesundheitlich Risiken, die nach Ansicht von Verbraucherschützern und Politik auch auf Seiten der Lebensmittelhersteller dringend ein Umdenken erfordern. Auf den ersten Blick sollten Verbraucher erkennen können, wie hoch der Zuckeranteil in den Lebensmittel ist, so eine der Forderungen von Seiten der Politik. Auch sei dringend nach Alternativen zu suchen, die dazu geeignet sind, den Zucker zu ersetzten. Eine dieser Alternativen könnte das in der Naturheilkunde seit langem bekannte sogenannte Honigkraut Stevia sein. Die Extrakte der Pflanze werden von Indianer in Südamerika bereits seit Jahrhunderten genutzt, um Speisen eine angenehme Süße zu verleihen. Seit Ende 2011 ist auch in der EU die Verarbeitung des natürlichen Süßmittels in Lebensmitteln erlaubt.
Einsatz künstlicher Süßstoffe teilweise umstritten
Seit Jahren werden bereits verschiedene künstliche Süßungsmittel wie Saccharin, Acesulfam, Aspartam oder Sucralose in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Diese sind jedoch nicht unumstritten, da ihnen Kritiker verschiedene negative gesundheitliche Wirkungen unterstellen. Zwar bringen die Süßstoffe kein Karies-Risiko mit sich wie der herkömmliche Zucker, doch einigen von ihnen standen bereits im Verdacht, die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung zu erhöhen und die Entwicklung von Übergewicht zu begünstigen (aufgrund einer appetitanregenden Wirkung). Daher setzt auch die Lebensmittelindustrie große Hoffnungen auf die pflanzliche Alternative Stevia. Diese kann bis zu 400 Mal süßer schmecken als Zucker und soll in Zukunft zum Beispiel zur Süßung von Softdrinks, Joghurt, Müsli und Schokolade einsetzt werden. Der weltweit vertretene Getränkehersteller Coca-Cola hat nach eigenen Angaben bereits Softdrinks mit Stevia als Süßungsmittel in den USA und Frankreich eingeführt. Auch in Deutschland wird laut Aussage des Konzerns derzeit am Einsatz des kalorienfreien Stoffs geforscht.
Stevia ermöglicht deutliche Senkung des Zuckergehalts
Der Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie erläuterte laut aktuellen Medienberichten, dass Stevia den Zucker jedoch nicht komplett ersetzen könne, sondern im wesentlichen nur dazu beitrage, den Zuckeranteil zu senken. Der Lebensmittelchemiker Dr. Thomas Hofmann von der Technischen Universität München betonte im Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“, dass die Inhaltsstoffe der Stevia-Pflanze „in Gegenwart von geringeren Zuckerkonstellationen den Süßgeschmack von Zucker verstärken“ können. Hierfür reiche eine geringe Mengen Stevia aus, welche die für Süßgeschmack zuständigen Zellen der Zunge aktiviert und so die Qualität des Geschmacks verbessert, berichtete der Experte. Durch diese verstärkende Wirkung auf den Süßgeschmack lasse sich „der Zuckeranteil eines Getränks von zwölf auf zwei Prozent“ reduzieren, ohne dass der Verbraucher Beeinträchtigungen der Süße bemerken würde, so Hofmann weiter.
Zuckeranteil in Schokolade um 95 Prozent reduzierbar
Ein besonders weites Einsatzfeld für den pflanzlichen Süßstoff bietet die Süßigkeiten- und explizit die Schokoladenindustrie. Hier wird seit Jahren nach Möglichkeiten gesucht den Zuckeranteil ohne Geschmackseinbußen zu reduzieren. Die sogenannte Diabetiker-Schokolade ist eines der Ergebnisse dieser Bemühungen, doch geschmacklich sind hier gegenüber klassischer Schokolade deutliche Unterschiede festzustellen. Derzeit testet der weltweit größte Schokoladenproduzent Barry Callebaut, nach eigener Aussage gegenüber Medienvertretern „angeregt durch das zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher“ den Einsatz von Stevia bei alternativen Schokoladenprodukten. Mit Hilfe des pflanzlichen Süßstoffs sei es dabei möglich, den Zuckeranteil in diesen Produkten um 95 Prozent zu reduzieren, so ein Sprecher von Barry Callebaut weiter.
Kontrasteffekte zur Verstärkung des süßen der salzigen Geschmacks
Einen gänzlich anderen Ansatz zur Reduzierung des Zuckergehalts in den unterschiedlichen Lebensmittel verfolgt das niederländische Forschungsinstitut Nizo. Hier wird laut Aussage der Nizo-Geschmacksforscherin, Kerstin Burseg, derzeit untersucht, wie sich sogenannte Kontrasteffekte erzielen lassen, um den Verbrauchern einen süßeren Geschmack vorzugaukeln. Vergleichbare Studien laufen auch in Bezug auf den Salzgeschmack der Lebensmittel, da hier ebenfalls Interesse daran besteht, diesen zu senken. Der Grundgedanke sei dabei, Zucker oder Salz einzusparen, indem an bestimmten Stellen eines Lebensmittels geringe Mengen Zucker oder Salz platziert werden, die einen Kontrasteffekt erzeugen, der den süßen beziehungsweise salzigen Geschmack deutlich intensiver erscheinen lässt. „Man ignoriert die Schicht des Lebensmittels mit niedrigen Konzentrationen, weil man auf die Teile mit der höheren Konzentration achtet“, erläuterte Kerstin Burseg gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“. Bei Brot wurde diese Methode in Bezug auf den Salzgehalt bereits erfolgreich getestet, so die Aussage der Forscherin.
Süße Aromen intensivieren den Geschmack
Ein weiterer Ansatzpunkt ist nach Ansicht der niederländischen Expertin süßen oder salzigen Geschmack durch spezielle Duftstoffe zu verstärken. Denn der Geschmack werde wesentlich durch das Riechen beeinflusst, da beim Kauen und Schlucken Geruchsmoleküle bis zu den Schleimhäuten in der Nase aufsteigen und so eine differenzierte Geschmackswahrnehmung ermöglichen. Die Zunge kann nur die Grundgeschmacksrichtungen (bitter, süß, sauer, salzig) unterscheiden. Wird der Geruchssinn beim Verzehr von Speisen nun durch süße Aromen, die den Lebensmitteln beigefügt werden, stimuliert, erscheinen diese laut Aussage der niederländischen Forscherin deutlich süßer. Bis zu 20 Prozent Zucker ließen nach Ansicht der Expertin sich durch den Einsatz von Aromen einsparen. Die Kombination mit den oben erläuterten Kontrasteffekten würde sogar eine Reduzierung des Zuckergehalts um bis zu 45 Prozent ermöglichen, betonte die Nizo-Wissenschaftlerin. Letztendlich liegt die Entscheidung zum Verzicht auf Zucker beziehungsweise zur Reduzierung des Zuckerkonsums jedoch beim Verbraucher. Vielen ist durchaus bewusst, welche Zuckermengen sie mit einer Tafel Schokolade oder einem Glas Cola aufnehmen, doch dies wird schlichtweg ignoriert. Allerdings ist Zucker auch nicht generell zu verteufeln, sondern „auf die Menge kommt es an“, so das Fazit von Dr. Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. (fp)
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Bild: Sigrid Rossmann / pixelio.de
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