Darm-Hirn-Kreislauf treibt Verlangen nach Zucker an
Nach dem Konsum von Zucker sendet unser Darm ein Signal aus, dass im Gehirn das Verlangen nach Süßem verstärkt. Ein amerikanisches Forschungsteam hat nun eine spezielle Verbindung zwischen Darm und Gehirn nachgewiesen, die erklären kann, warum viele Menschen einen regelrechten Heißhunger entwickeln, sobald sie etwas Zucker zu sich genommen haben.
Forschende des Howard Hughes Medical Institute entdeckten, dass Zuckermoleküle bestimmte Sensoren im Darm aktivieren, die dann ein Signal an das Gehirn weiterleiten. Diese Sensoren schlagen nur auf Zucker an und erklären möglicherweise, wie es zu dem scheinbar unersättlichen Appetit auf Süßes kommt. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „Nature“ präsentiert.
Zuckermoleküle lösen ein Signal zwischen Darm und Gehirn aus
Ein bisschen Zucker genügt, um bei den meisten Menschen das Verlangen nach allem zu steigern, was süß ist – egal ob Kekse, Schokolade, Schlagsahne oder Kuchen. Eine neue Studienarbeit zeigt nun, dass dieses Verlangen durch eine Signalverbindung zwischen Darm und Gehirn ausgelöst wird, die nur auf Zuckermoleküle reagiert. Auf künstliche Süßstoffe springt dieser Signalweg nicht an.
Ein unabhängiger neurologischer Signalweg
Neben den Geschmacksknospen auf der Zunge stellt die Verbindung zwischen Darm und Gehirn einen völlig separaten neurologischen Signalweg dar. In Versuchen an Mäusen dokumentierten die Forschenden, wie die ersten Zuckermoleküle, die im Darm ankommen, Sensoren auslösen, die Signale an das Gehirn senden, die dann den Appetit steigern. Dieser Darm-Hirn-Signalweg scheint wählerisch zu sein und nur auf Zucker zu reagieren.
Darm-Hirn-Signalweg erklärt lange beobachtetes Phänomen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben schon lange beobachtet, dass Zucker eine einzigartigen Effekt auf das Gehirn ausübt. Die Ursachen für dieses Phänomen galten bislang aber als nicht ausreichend verstanden. Im Jahr 2008 zeigte eine andere Studie bereits, dass Mäuse Zucker bevorzugen, selbst wenn ihnen die Fähigkeit fehlte, Süßes zu schmecken. Der nun entdeckte Signalweg bietet eine Erklärung für diesen Zusammenhang.
Süßer Geschmack und Zucker sind zwei Paar Schuhe
„Wir müssen die Begriffe süß und Zucker trennen“, betont Neurowissenschaftler Charles Zuker. Während süßer Geschmack eine Vorliebe widerspiegele, stehe Zucker für ein regelrechtes Verlangen. Die Studienarbeit enthülle die neuronale Grundlage für die Zuckerpräferenz.
Raffinierter Zucker lässt den Appetit Amok laufen
Zucker steht dabei als Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Brennstoffen, die über die Nahrung aufgenommen werden. Das darauffolgende Signal aus dem Darm aktiviert der Studie zufolge das Belohnungssystem des Gehirns und sorgt dafür, dass sich Menschen wohlfühlen. In der heutigen Ernährung, die geprägt von raffiniertem Zucker ist, laufe der Appetit quasi Amok.
Zuckerkonsum um das zehnfache gestiegen
Dies spiegele sich auch in den amerikanischen Ernährungsweisen wider. Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts der durchschnittliche jährliche Zuckerkonsum pro Kopf bei rund fünf Kilogramm lag, liegt er heute bei rund 50 Kilogramm. Dieser Anstieg sei mit zahlreichen Gesundheitsproblemen wie Adipositas und Typ-2-Diabetes verbunden.
Süßstoff kann Zuckerverlangen nicht stillen
Das Team um Forschungsleiter Zuker zeigte zudem in vorherigen Studien, dass künstliche Süßstoffe das Verlangen nach Zucker nicht stillen können. Die Forschenden gaben Mäusen Wasser zu trinken, dass zum einen mit dem viel verwendeten Süssstoff Acesulfame K versetzt war und zum anderen mit raffiniertem Zucker. Die Mäuse konnten selbst wählen, welches Wasser sie trinken.
Während anfangs aus beiden Behältern gleich viel getrunken wurde, tranken die Mäuse nach zwei Tagen fast ausschließlich das Zuckerwasser. „Wir folgerten, dass diese unstillbare Motivation, die das Tier für den Verzehr von Zucker anstelle von süßem Geschmack hat, eine neuronale Grundlage haben könnte“, erklärt Zuker.
Der Zucker-Kreislauf zwischen Darm und Hirn
In der aktuellen Studie machten die Forschenden die Hirnaktivität der Nager sichtbar. Dabei zeigte sich, dass das Gehirn ausschließlich auf Zucker, nicht jedoch auf künstlichen Süßstoff anspringt. Das Signal aus dem Darm wird direkt in den Hirnstamm gesendet und von einer Region verarbeitet, die unabhängig von der Geschmacksverarbeitung ist.
Ausgesendet wird das Signal von der Darmschleimhaut und gelangt über den zehnten Hirnnerv (Nervus vagus) zum Gehirn. Besonders stark springt dieser Signalweg auf Glukose und glukoseähnliche Moleküle an. Erstaunlicherweise scheint der Signalweg aber nicht auf einige andere Zuckerarten, wie beispielsweise aus Früchten stammende Fruktose anzuspringen.
Warum reagiert der Körper so besonders auf Glukose?
Die Forschenden vermuten, dass dieser Signalweg den Organismus auf Glukose als besondere Energiequelle für alle Lebewesen aufmerksam machen soll. „Die Aufdeckung dieses Kreislaufs hilft zu erklären, wie Zucker direkt unser Gehirn beeinflusst, um den Konsum zu steuern“, resümiert Zuker. Zudem biete die Entdeckung neue Ansätze für Strategien, die den Appetit auf Zucker zügeln könnten. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Howard Hughes Medical Institute: A Gut-to-Brain Circuit Drives Sugar Preference and May Explain Sugar Cravings (veröffentlicht: 15.04.2020), hhmi.org
- Hwei-Ee Tan et al.: The Gut-Brain Axis Mediates Sugar Preference; in: Nature, 2020, nature.com
Wichtiger Hinweis:
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