Ärzteumfrage: Fast die Hälfte aller befragten Mediziner stuften Antibiotika falsch ein
21.10.2011
Im Verlauf einer Fachveranstaltung stuften fast die Hälfte aller befragten Ärzte einzelne antibiotische Medikamente fälschlicherweise als „mild“ ein. Eine noch nicht veröffentlichte Studie zeigte, wie inflationär und unnötig noch immer Antibiotika durch Ärzte verschrieben werden.
Ein grippaler Infekt oder Schnupfen mit Husten und schon verabreichen viele Ärzte ihren Patienten „zur Sicherheit“ vermeintlich „milde Antibiotika“. Eine gefährliches Ergebnis, zumal die bakteriellen Resistenzen gegenüber Antibiotika stetig steigen und die Negativauswirkungen auf den Körper massiv sind. Zwar sind die Daten einer aktuellen Ärzteumfrage des Universitätsprofessors und Infektionsmediziners Florian Thalhammer von der Medizinischen Universität Wien (Med-Uni) noch nicht veröffentlicht, dennoch sorgen diese bereits jetzt für heftigen Diskussionsstoff. Auf einer Fachveranstaltung hatte der Spezialist rund 300 Ärzte nach fünf Antibiotika-Gruppen gefragt. Die Mediziner sollten angeben, welche antibiotischen Wirkstoffe als „mild“ einzustufen sind. 49 Prozent der anwesenden Ärzte sagten bei mindestens einer Gruppe, dass diese vermeintlich „mild“ sei. „Das ist falsch!“, widerspricht Thalhammer den Teilnehmern. „Es gibt keine milden Antibiotika, und es gibt auch nicht ,ein bisschen’ Antibiotika. Dafür fehlt aber immer noch das Bewusstsein."
Antibiotika trotz Viren-Infekt
Schätzungsweise 90 Prozent der akuten Bronchitis-Krankheiten sind virale Infekte, betont der Experte. Im Gegensatz dazu werden aber dreiviertel der Antibiotika aufgrund von „Atemwegsinfekten wie Bronchitis eingesetzt“. Ärzte müssten aber wissen, dass antibakterielle Arzneien nicht gegen Viren wirken, sondern nur gegen Bakterienstämme. Thalhammer geht davon aus, dass mindestens ein Drittel der Antibiotika-Medikamente falsch durch Mediziner verordnet werden. „Es fehlt am Bewusstsein“ der Mediziner.
Auswirkungen auf die Darmflora
Viele Ärzte unterschätzen die unerwünschten Folgen der Arzneien. Antibiotika greifen nämlich massiv in den menschlichen Organismus ein. Ebenfalls während der Ärztetagung hatte der Professor nach den Nebeneffekten der antibiotischen Medikamente gefragt. Obwohl die Darmflora „sechs und laut mancher Studien sogar zwölf Monate lang beeinflusst wird“, schätzten „viele Kollegen diesen Zeitraum aber deutlich kürzer ein“. (Siehe: Antibiotika schädigt die Darmflora)Als Grund für den häufigen und falschen Einsatz der Arzneien ist unter anderem der mittlerweile geringe Preis vieler Präparate verantwortlich. Daher schlägt Thalhammer die Einführung einer sogenannten "Antibiotika-Steuer" vor. Werden die Arzneien teurer, würde sich auch der unnötige Gebrauch reduzieren, meint der Universitätsprofessor. An dem Wiener Krankenhaus (AKH) sei der Versuch bereits gelungen. In der Klinik werden spezielle Mittel nur von einem eigenen Infektionsdienst freigegeben. "Dadurch ist ihr Einsatz und auch die Kosten dramatisch zurückgegangen."
Zwar gebe es durch zahlreiche Berichte, Studien und Aufklärungskampagnen eine Trendwende, „aber es werden bei Atemwegsinfekten immer noch zu rasch Antibiotika gegeben", sagte Prof. Dr. med. Karl Zwiauer, Leiter der Kinderheilkunde im Landesklinikum St. Pölten. Dies liege vielmals am Selbstverständnis der Eltern, die einen höheren Anspruch an Behandlungen erheben, aber auch an dem vermeintlichen Sicherheitsdenken vieler Ärzte.
Besser Hausmittel und Mittel der Naturheilkunde
Bei Atemwegsinfekten sollten vor der Verabreichung von Antibiotika Hausmittel oder Arzneien auf pflanzlicher Basis als Behandlungsoption probiert werden. "Es gibt gute wissenschaftliche Belege dafür, dass etwa Hühnersuppe Infekte der oberen Atemwege hemmen und Gliederschmerzen lindern kann.", erklärte der Facharzt für Kinderheilkunde. Mittel der Naturheilkunde wie Thymian und Efeu wirken wissenschaftlich erwiesen antibakteriell, zeigen antivirale Wirkungsweisen und lindern zugleich den Husten. Auch hierzu gebe es Studien, die die Wirkungen hinreichend belegen. Hausmittel wie Kartoffelwickel können zudem die Schmerzen der Patienten lindern und Entzündungen mindern. Alle diese Mittel haben einen Stellenwert, „der über einen reinen Aktionismus hinausgeht", betont Kindermediziner Zwiauer.
Um die Symptome von trockenem Husten zu lindern, gilt Huflattich als eine vielseitig geschätzte Heilpflanze. In der Behandlung werden nur die Blätter für lindernde Tees, Tinkturen oder Säfte eingesetzt. „Neben der Symptombesserung werden der Pflanze antibakterielle Wirkungsweisen nachgesagt. Nur während einer Schwangerschaft oder Stillzeit sollte auf den Einsatz verzichtet werden“, erklärte Heilpraktikerin Susanne Habermann aus Hannover.
Vermehrte Resistenzen bei Antibiotika
Antibiotika gilt unter Medizinern als „Allzweckwaffe gegen bakterielle Entzündungen“. Immer öfter tauchen aber Bakterien auf, die gegen alle Arzneien resistent sind. Diese Resistenzbildung ist zwar ein natürlicher Prozess, wird aber durch den vielfach überflüssigen Einsatz von Antibiotika-Mitteln stark befördert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezifferte die Zahl der Todesfälle aufgrund von Bakterienresistenzen allein im Raum der Europäischen Union auf jährlich rund 25.000. „Der vermehrte Einsatz von Mitteln der Naturheilkunde ist ein Argument im Kampf gegen Resistenzen“, sagt Habermann. (sb)
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Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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