Psychopharmaka lindern Symptome nur kurzfristig und bergen erhebliche Risiken
Der massive Einsatz von Psychopharmaka bei der Behandlung psychischer Probleme steht seit einiger Zeit zunehmend in der Kritik. „Medikamente sind oft schneller verfügbar als eine Psychotherapie“ und „viele Menschen vertrauen auf entsprechende Präparate“, so die aktuelle Mitteilung der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Die Folgen seien jedoch häufig fatal.
Wissenschaftler der RUB kommen zu dem Ergebnis, dass „die derzeit verfügbaren Medikamente die Symptome psychischer Störungen nicht dauerhaft lindern“ können. Bei längerfristiger Einnahme würden zudem deutliche negative Folgen drohen. Die Psychologen Prof. Dr. Jürgen Margraf und Prof. Dr. Silvia Schneider berichten in einem Kommentar der Zeitschrift „EMBO Molecular Medicine“ von ihren Resultaten.
Nur kurzfristige Linderung durch Arzneien
Die RUB-Wissenschaftler haben zahlreiche Belege zusammengetragen, die gegen eine nachhaltige Wirkung von Psychopharmaka sprechen. Bei den Medikamenten gegen Depression, Angststörungen und das Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) sei nur eine kurzfristig Wirkung festzustellen. Wenn die Patienten sie wieder absetzen, kehren die Symptome zurück, so das Fazit der Forscher. Ähnliche Befunde vermuten die Wissenschaftler laut Angaben der RUB auch für Schizophrenie-Medikamente.
Risiken bei langfristiger Einnahme
Die Arzneien zeigen allerdings nicht nur eine eingeschränkte Wirkung, sondern bei langfristiger Einnahme drohen auch negative Folgen wie beispielsweise ein gesteigertes Risiko für eine chronische Erkrankung oder erhöhte Rückfallraten, berichtet die RUB. Demnach sind die Patienten hier gegebenenfalls gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt, die mit anderen Behandlungsmethoden der Psychotherapie vermeidbar wären.
Psychopharmaka können schnell verschrieben werden
Zudem erzielen Psychotherapien wie die Kognitive Verhaltenstherapie laut Aussage der Wissenschaftler langfristig deutlich besser anhaltende Effekte als die Arzneien. Stellt sich die Frage, wieso nicht mehr Betroffene psychotherapeutisch behandelt werden. Nach Einschätzung von Prof. Schneider ist das Hauptprobleme hierbei „die mangelnde Verfügbarkeit.“ Die Wirksamkeit oder Kosten seien bei der Entscheidung meist weniger von Bedeutung. Aber Psychopharmaka können schnell verabreicht werden, während Betroffene oft lange auf einen Therapieplatz warten müssten. So fällt die Entscheidung am Ende meist zugunsten der Arzneien.
Einfluss sozialer Faktoren berücksichtigen
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass die Forschung zu biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren enger verzahnt werden muss, um eine bessere Versorgung der Patienten zu erreichen. Die weit verbreitete Vorstellung, psychische Störungen könnten sich allein mit biologischen Konzepten erklären lassen, sei hier unangebracht. „Es ist heute Standard, den Patienten und der Öffentlichkeit zu erzählen, dass ein aus dem Lot geratenes Neurotransmittersystem die Ursache für psychische Erkrankungen ist“, so Prof. Margraf. Doch bleibe nach wie vor unklar, ob dieses Phänomen Ursache oder Folge sei. Soziale Faktoren dürfen nach Einschätzung des Experten an dieser Stelle nicht vernachlässigt werden.
Weniger Marketing für Psychopharmaka
Wenig hilfreich sind laut Aussage der Forscher die starren Kategorien von „krank“ und „gesund“ bei psychischen Störungen, die sich mit ihren vielen verschiedenen Ausprägungen ganz unterschiedlich äußern können. Zumal hier die Übergänge zwischen individuellen psychischen Eigenarten und tatsächlichen psychischen Störungen oft fließend sind. Angesichts des hohen Einsatzes von Psychopharmaka richten sich die Wissenschaftler auch direkt an die großen Pharmaunternehmen und fordern diese auf, das Marketing im Bereich der Psychopharmaka zurückfahren. Gleichzeitig sollten Betroffene schneller Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten bekommen, so die Experten der RUB weiter. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.