Weitreichende Folgen der Feinstaubbelastung
09.06.2014
Zahlreiche Studien haben in der Vergangenheit bereits mögliche Gesundheitsschäden durch hohe Feinstaubbelastungen untersucht. Zuletzt hatte das „Britisch Medical Journal“ eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kam, dass erhöhte Feinstaubbelastungen langfristig mit einem deutlich erhöhten Risiko akuter Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehen (instabile Angina pectoris, Herzinfarkt).
Sämtliche Studien haben jedoch die Schwäche, dass sie entweder unter Laborbedingungen die Wirkung von Feinstaubbelastungen testen, damit jedoch der kumulierten Belastung aus verschiedenen Quellen in der Realität nicht gerecht werden. Oder sie beobachten das Auftreten der Herz-Kreislauf-Erkrankungen an bestimmten Orten bei bestimmten Belastungen, können dabei jedoch nicht ausreichend zwischen den verschiedenen Einflussgrößen differenzieren. Hier ist eine aufwendige Verschneidung sämtlicher verfügbarer Studien erforderlich, um eine belastbare Einschätzung der Gesundheitsrisiken des Feinstaubs zu ermöglichen.
Feinstaub als Ursache zahlreicher Erkrankungen in der Diskussion
Unter den Epidemiologen besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass hohe Feinstaubkonzentrationen einen maßgeblichen Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegsbeschwerden bilden. Allerdings ist Feinstaub auch als möglicher Risikofaktor für zahlreiche weitere Erkrankungen, wie beispielsweise Parkinson oder Alzheimer, in der Diskussion. Zudem hat beispielsweise eine Studie des Instituts für Epidemiologie I am Helmholtz Zentrum München ergeben, „dass eine höhere Insulinresistenz bei jenen Kindern vorlag, die vermehrt Feinstäuben ausgesetzt waren.“ Feinstaub bis zu einem Durchmesser von 10 Mikrometern (µm) in der Luft habe „zu einem Anstieg der Insulinresistenz um 19 Prozent pro 6 µg/m⊃3;“ geführt. Professor Holger Schulz, stellvertretender Leiter des Instituts für Epidemiologie I am Helmholtz-Zentrum, erklärte gegenüber „Welt Online“, es liegen zudem Hinweise darauf vor, dass der Feinstaub ein verringertes Geburtsgewicht von Babys begünstige und auf diese Weise auch für Nierenerkrankungen und Diabetes verantwortlich sein könnte. „Es sind keine riesigen Effekte, dafür ist allerdings ein Großteil der Bevölkerung betroffen“, zitiert „Welt Online“ den Physiologie-Professor.
Regelmäßige Überschreitung der EU-Grenzwerte
Die tatsächliche Feinstaubbelastung wird in den Städten mit sogenannten Umweltmessstationen erfasst. Diese zeigen trotz der Bemühungen um einer Reduzierung der Feinstaubkonzentration vielfach deutliche Überschreitungen der zulässigen EU-Grenzwerte. So berichtet „Welt Online“ unter Berufung auf die Zahlen der baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz, dass beispielsweise die Messtation am Stuttgarter Neckartor für den gröberen Feinstaub „PM10“ (Partikelgröße zwischen 2,5 und 10 µm Durchmesser) an 51 von 120 Tagen eine Überschreitung des EU-Grenzwertes festgestellt habe. Maximal 35 Überschreitungen pro Jahr seien nach der Luftqualitätsrichtlinie jedoch tolerierbar. Regelmäßig nehme die Station mit den gemessenen Werten den traurigen bundesweiten Spitzenplatz bei der Feinstaubkonzentration ein. Welche Folgen diese Belastungen für die Anwohner haben, bleibt schwer abschätzbar. Derzeit sind Mediziner weltweit noch damit beschäftigt, aus den verfügbaren Studienergebnissen ein Gesamtbild der Gesundheitsrisiken durch Feinstaub zu zeichnen, berichtet „Welt Online“. Neben den gewonnenen Informationen aus Laborexperimenten und den Ergebnissen klinischer Studien seien hier die Statistiken der Epidemiologen von besonderer Bedeutung. „Man muss das alles zusammenbringen um ein Gesamtbild zu gewinnen“, betonte Professor Schulz.
Kausalzusammenhang bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen
In der Epidemiologie werden statistische Zusammenhänge zwischen den Feinstaubkonzentrationen und auftretenden Erkrankungen ermittelt, was laut Aussage von Prof. Annette Peters, Leiterin des Helmholtz-Instituts für Epidemiologie II in München, eine realitätsnahe und belastbare Aussage zu den Gesundheitsrisiken durch erhöhte Feinstaubbelastungen ermöglicht. Daher werde „auf die epidemiologischen Studien mehr und mehr Gewicht gelegt“, zitiert „Welt Online“ die Expertin. Zwar sind in den epidemiologische Studien zunächst nur Zusammenhänge (Korrelationen) aufgezeigt, ohne dass diese kausaler Natur sein müssen. Doch aus der Vielzahl an Studien lassen sich Ende in der Regel auch kausal Zusammenhänge relativ verlässlich identifizieren. Insbesondere in Bezug auf die Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist dies beispielsweise beim Feinstaub der Fall. Hierzu erklärte Prof. Peters, dass sie gemeinsam mit Kollegen im Jahr 2010 für die American Heart Association die kausale Evidenz für die Beziehung zwischen Feinstaub und Herz-Kreislauf-Morbidität und -Mortalität analysiert habe, mit dem Ergebnis, „dass diese Beziehung wahrscheinlich kausal ist.“
Reaktionen im gesamten Organismus
Hinzu kommen die Ergebnisse aus den Laboruntersuchungen, bei denen die Reaktionen im Organismus auf den Feinstaub beobachtet wurden. Professor Schulz erklärte, dass der Feinstaub „eine lokale Antwort in der Lunge und dazu eine systemische, die den ganzen Organismus erfasst“, hervorruft. So sei aus Tierexperimenten bekannt, dass die Teilchen bestimmte Rezeptoren reizen, welche wiederum das Gleichgewicht im vegetativen Nervensystem verändern. Der Effekt sei am besten am Herzen zu sehen, „weil man Veränderungen in der Herzfrequenz und auch in der Regelmäßigkeit des Herzschlages misst“, zitiert „Welt Online“ den Physiologen. Des Weiteren versuche das Immunsystem die Fremdkörper in der Lunge zu beseitigen und reagiere mit einer entsprechenden Entzündung, welche ebenfalls eine systemische Wirkung entfalte. Die Gerinnungsfähigkeit des Blutes werde erhöht, die Regulation der Gefäßweite beeinflusst und der Blutdruck steige. Schulz sieht in den Beeinträchtigungen der Durchblutung auch eine mögliche Erklärung für den festgestellten Zusammenhang zwischen der Feinstaubbelastung und dem verringerten Geburtsgewicht bei Säuglingen. „Wenn die Durchblutung durch die Plazenta nach unten reguliert wird, wird das Kind mit weniger Nährstoffen versorgt“, so die Vermutung des Physiologen. Allerdings bleibe dies bislang eine Hypothese.
Immunantwort auf den Feinstaub
Zu der systemischen Wirkung des Feinstaubs trägt auch die Immunantwort auf eindringende Nanopartikel in den verschiedenen betroffenen Organen bei. Beispielsweise würden sich „im Herzen direkt Veränderungen finden, „die Richtung Entzündung, Aktivierung der Immunkaskade gehen“, erläuterte Prof. Schulz. Seiner Einschätzung nach liegt die Immunantwort des Mechanismus sämtlichen nachgewiesenen Feinstaubfolgen in den Tierexperimenten zugrunde. So sei sie auch Auslöser der erhöhten Leberaktivität und sogar neurodegenerative Erscheinungen könnten auf Nanopartikel zurückgehen, welche die Blut-Hirn-Schranke überwunden haben, erklärte Schulz. Möglich sei hier zudem eine Einwanderung über die Riechzellen der Nase, welche einen direkten Fortsatz des Gehirns bilden. Bereits seit längerem sei bekannt, dass Nanopartikel auf diesem Wege ins Gehirn gelangen können. Selbst der zuletzt in Tierexperimenten festgestellte Zusammenhang mit Diabetes und Nierenerkrankungen lasse sich möglicherweise mit den entzündlichen Mechanismen erklären.
Maßnahmen zur Reduzierung der Feinstaubbelastung
Obwohl Feinstaub als Risikofaktor zahlreicher Erkrankungen gilt, ist eine exakte Zuordnung einzelner Krankheiten in der Praxis kaum möglich. Denn die konkrete Wirkung von Feinstaub ließe sich laut Prof. Schulz nur anhand eines theoretischen Menschen abschätzen, der keine anderen Risikofaktoren aufweist. Feinstaub als Krankheitsursache bei vorliegenden Beschwerden zu bestimmen, bleibt demnach zunächst ausgeschlossen, auch wenn bei einzelnen Erkrankungen eine klare Evidenz gegeben scheint. Maßnahmen zu weiteren Reduzierung der Feinstaubkonzentration in den Städten sind angesichts der vorliegenden Informationen jedoch in jedem Fall gerechtfertigt. Zum Beispiel hat sich hier die Einführung der Umweltzonen als relativ verlässliches, kostengünstiges Mittel bewährt. Sie werden für die Innenstädte beziehungsweise besonders verkehrsbelastete Bereiche ausgerufen und erlauben nur Fahrzeugen mit einer Plakette die Zufahrt. Die Plakette bescheinigt, dass eine bestimmter Schadstoffausstoß nicht überschritten wird. Da in den Städten der Verkehrsfeinstaub den größten Anteil der Belastung ausmacht, ist beispielsweise auch ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr als Maßnahme zur Reduzierung der Feinstaubbelastung durchaus geeignet. Hier sind insbesondere die Kommunen mit regelmäßigen Überschreitungen der EU-Grenzwerte im Sinne der Gesundheit ihrer Einwohner zum Handeln aufgefordert. (fp)
Bild: gnubier / pixelio.de
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