Ist „Flow“ das Geheimnis der Lesefreude?
Mit Odysseus auf Odyssee gehen, mit Siegfried einen Lindwurm bekämpfen, mit Harry Potter das zaubern lernen oder mit dem Halbling Frodo den bösen Ring vernichten – beim Lesen von fesselnden Romanen versinken manchen Leute regelrecht in anderen Welten. Dieses als „Flow“ bezeichnete Lese-Erlebnis wurde nun in einer Studie untersucht.
Forschende des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik untersuchten, warum manche „Leseratten“ ein Buch nicht mehr aus der Hand legen können, während andere Personen Bücher nur aus dem Fernsehen kennen. Ein als „Flow“ bezeichneter Zustand scheint für die Bindung an ein Buch sowie für die Entstehung eines multidimensionalen Lese-Erlebnisses verantwortlich zu sein. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich in dem Fachmagazin „Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts (PACA)“ vorgestellt.
Was ist „Flow“?
„Flow“ ist laut der Arbeitsgruppe ein Begriff, der aus der Psychologie stammt. Gemeint damit ist ein Zustand, den Menschen empfinden, wenn sie komplett in einer Tätigkeit aufgehen. Welche Rolle dieser „Flow-Zustand“ beim Lesen spielt, wurde nun erstmals eingehender untersucht. Die Forschungsergebnisse wurden mit dem „Outstanding Student Paper Award“ der Internationalen Gesellschaft für Empirische Literaturwissenschaft (IGEL) ausgezeichnet.
Lesen als multidimensionales Erlebnis
Das Forschungsteam konnte zeigen, wie das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren dazu beiträgt, ob eine Person beim Lesen in den „Flow-Zustand“ verfällt. Ob dieser Zustand eintritt, sei unter anderem abhängig davon, wer den Text liest und welcher Text gelesen wird.
„Flow“ wesentlich für das Lese-Erlebnis
Um den „Flow“ besser zu verstehen, werteten die Forschenden die Eindrücke von 373 Teilnehmenden aus, nachdem diese ein Kapitel aus Homers „Odyssee“ gelesen hatten. Dabei stellte sich heraus, dass der „Flow“ maßgeblich dazu beiträgt, wie groß die Lesefreude und das Textverständnis waren. Auch andere Zustände wie Aufbau von Spannung und Identifikation mit den Hauptfiguren waren stärker, wenn die Lesenden in den „Flow“ verfielen.
„Flow“ als Katalysator für Lese-Zustände
„Bislang wurden die unterschiedlichen Dimensionen des Lese-Erlebens meist getrennt voneinander betrachtet“, erläuter Studienerstautorin Birte Thissen. Die Studienergebnisse legen jedoch nahe, dass der „Flow“ als Katalysator für weitere Lese-Zustände fungiert. Zusammen ergebe sich im besten Fall dann die Freude am Lesen.
Erster empirischer Nachweise für die Bedeutung von „Flow“
Mit der Studie liefern die Forschenden erstmals einen empirischen Nachweis für die zentrale Rolle von „Flow“ bei der Entstehung von multidimensionalen Lese-Erlebnissen. Bislang spielte das Konzept in der Leseforschung nur eine untergeordnete Rolle. Die Arbeitsgruppe schlägt vor, den „Flow“ stärker in künftigen Studien einzubeziehen.
Lesefreude durch „Flow“ messbar machen
Dank wissenschaftlicher Modelle ließe sich der „Flow“ relativ genau nachvollziehen. Die Integration solcher Konzepte könne erheblich zum Verständnis beitragen, wie es letztendlich zu einer gesteigerten Lesefreude kommt. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Thissen, B. A. K., Menninghaus, W., & Schlotz, W.: The Pleasures of Reading Fiction Explained by Flow, Presence, Identification, Suspense, and Cognitive Involvement. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts. 2020, doi.apa.org
- Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik: Die Freude am Lesen (veröffentlicht: 10.08.2021), aesthetics.mpg.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.