Führt abendlicher Sport wirklich zu Schlaflosigkeit?
Immer wieder wird dazu geraten, sich vor dem Zubettgehen nicht zu sehr anzustrengen und auszupowern, weil man dadurch schlechter schläft. Doch erst vor wenigen Wochen wurde eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kam, dass abendlicher Sport die Schlafqualität nicht verringert. Doch was stimmt nun? Wir richten den Blick auf die derzeitige Studienlage.
Schwerwiegende gesundheitliche Probleme
Schlafstörungen können nicht nur Müdigkeit und Konzentrationsstörungen zur Folge haben, sondern auch schwerwiegende gesundheitliche Probleme. Medizinern zufolge erhöhen Schlafstörungen das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck und Schlaganfall, psychische Erkrankungen wie Depressionen und führen zu einer Schwächung des Immunsystems. Dennoch wird in der Regel davon abgeraten, bei schlechtem Schlaf auf Medikamente zurückzugreifen. Empfohlen wird stattdessen eine gesunde Lebensweise mit Entspannungsübungen und dem Verzicht auf Kaffee, Nikotin, Alkohol und intensiven Sport am Abend. Wirkt sich abendliches Training hier aber tatsächlich negativ aus?
Regelmäßiger Sport fördert den Schlaf
„Regelmäßig ausgeübter Sport fördert den Schlaf. Allerdings hängt die positive Wirkung des Sports von der allgemeinen persönlichen Fitness und der Tageszeit ab, zu der er ausgeübt wird“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) in einem Patientenratgeber zu “Ein- und Durchschlafstörungen”.
Sportliche Tätigkeit kann „den Schlaf stören, wenn der zeitliche Abstand zur Schlafenszeit zu kurz ist und die Aktivität ungewohnt belastend ist“, heißt es dort weiter.
Doch zu der These, dass Sport zu kurz vorm Zubettgehen den Schlaf stören könne, zeigen neue Studien ein widersprüchliches Bild.
Kein negativer Einfluss
Forscher vom Institut für Bewegungswissenschaften und Sport der ETH Zürich analysierten für eine im Fachjournal „Sports Medicine“ veröffentlichte Meta-Analyse insgesamt 23 Studien zum Thema.
Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, dass Sport innerhalb von vier Stunden vor dem Zubettgehen den Schlaf nicht grundsätzlich negativ beeinflusst.
„Wenn Sport am Abend überhaupt einen Effekt auf die Schlafqualität hat, dann sogar eher einen positiven, wenn auch nur einen schwach positiven“, erklärt Christina Spengler, Leiterin des Labors für Human- und Sportphysiologie, in einer Mitteilung.
Ergebnisse beziehen sich auf sehr intensive Trainings
Die Wissenschaftler erläutern, dass die einzige in der Analyse gefundene Form von abendlichem Sport, welche möglicherweise den Schlaf negativ beeinflusst, sehr intensive Trainings innerhalb einer Stunde vor dem Schlafengehen sind.
Ein Beispiel für ein intensives Training wäre das von Leistungssportlern häufig angewandte Intervalltraining. Ein längerer Dauerlauf oder eine längere Fahrt auf dem Rennrad dürfte meist unter moderates Training fallen.
Die Analyse zeigte, dass die Versuchsteilnehmer nach intensivem Training kurz vor dem Zubettgehen länger brauchten bis sie einschliefen.
Die Studie lieferte auch einen Hinweis, weshalb dem so ist: Die Probanden haben sich in der Stunde vor dem Zubettgehen nicht ausreichend erholt; ihre Herzfrequenz war immer noch um mehr als 20 Schläge erhöht.
Nicht alle Menschen reagieren gleich
„Aufgrund der Datenlage spricht nichts dagegen, sich abends moderat zu bewegen“, so Jan Stutz, Doktorand in Spenglers Gruppe und Erstautor der Analyse.
In keiner der untersuchten Studien verursachte moderates Training Schlafprobleme. Auch dann nicht, wenn das Training bloß 30 Minuten vor dem Schlafengehen endete.
„Sehr intensive Trainings oder Wettkämpfe sollte man jedoch lieber etwas früher ansetzen, falls dies möglich ist“, sagt der ETH-Doktorand.
Die Studienautoren betonen, dass sie in der Analyse Durchschnittswerte angeschaut haben, welche nur generelle Aussagen zulassen.
„Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf Sport, und selbstverständlich sollte jeder weiterhin auf seinen Körper hören. Wer merkt, dass er oder sie direkt nach dem Sport Einschlafschwierigkeiten hat, soll das Training nach Möglichkeit etwas früher ansetzen“, meint Stutz.
„Dass Sport am Tag die Schlafqualität verbessert, ist allgemein bekannt“, so Spengler. „Wir haben nun gezeigt, dass sich auch Sport am Abend zumindest nicht nachteilig auswirkt.“
Geringe Zahl an Studienteilnehmern
In einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa wird darauf hingewiesen, dass die Schweizer Meta-Analyse im Vergleich zu früheren Einzelstudien eigentlich recht aussagekräftig ist, aber auch Einschränkungen hat.
So umfasste die Untersuchung zwar 23 Studien – aber nur 275 Personen, also durchschnittlich zwölf Studienteilnehmer.
Mit geringer Probandenzahl steigt das Risiko, dass die Ergebnisse in anderen Stichproben anders ausfallen. Tatsächlich änderten sich die Resultate teilweise, wenn einzelne Studien aus der Analyse ausschlossen wurden.
Kein Vergleich mit Nichtsportlern
Zudem wurden Abendsportler nicht mit Morgen- oder Nachmittagssportlern verglichen – sondern mit Nichtsportlern.
In der Agenturmeldung wird jedoch ein Studienüberblick aus dem Jahr 2015 erwähnt, in dem US-amerikanische Psychologen Sport zu verschiedenen Tageszeiten gegenübergestellt haben.
Damals konnte gezeigt werden, dass Personen, die weniger als drei Stunden vorm Zubettgehen Sport getrieben hatten, seltener aufwachten als solche, die nachmittags oder am frühen Abend (drei bis acht Stunden vorm Zubettgehen) trainiert hatten.
Allerdings wirkte sich die Tageszeit nicht auf andere Faktoren, etwa wie lange man fürs Einschlafen braucht, aus. Außerdem galten die positiven Ergebnisse lediglich für gelegentlichen Sport (weniger als einmal wöchentlich).
„Es gab nicht genügend Studien über regelmäßigen Sport, welche die Tageszeit bedacht haben“, erklärten die Wissenschaftler.
Bislang nur wenig Forschung
Zum Zusammenhang von abendlichem Sport und Menschen, die bereits unter Schlafstörungen leiden, gibt es ebenfalls nur wenig Forschung.
Vor kurzem haben Forscher aus Australien die Auswirkungen von Abendsport speziell bei übergewichtigen Männern mit Schlafstörungen untersucht und keine Hinweise auf schlechteren Schlaf nach Sport am Abend als am Morgen oder Nachmittag gefunden.
Eine neue Studie aus den USA deutet allerdings darauf hin, dass Bewegung offenbar den Biorhythmus beeinflussen und ähnlich wie Licht als Zeitgeber wirken kann.
Unklar ist derzeit auch noch, wie Abendsport den Schlaf überhaupt beeinträchtigen soll. Spielen Faktoren wie höhere Körpertemperatur, Muskelkater, Herzschlag oder nächtlicher Hunger eine Rolle? Bisherige Studien sind hierzu nicht eindeutig.
In den deutschen Leitlinien zur Behandlung von Schlafstörungen gibt es laut dpa keine Aussage zu Bewegung als Therapiemethode. Die Datenlage sei dazu zu dünn. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.