„Willkommenskultur“? – Flüchtlingskinder in Deutschland weiter diskriminiert
Bis zu einer Million Flüchtlinge werden hierzulande für den gesamten Jahreszeitraum erwartet. Haben sie erst mal Krieg und Vertreibung hinter sich und nach einer lebensgefährlichen Reise Deutschland erreicht, werden sie oft auch hier nicht ausreichend ärztlich betreut. Vor allem Flüchtlingskinder leiden an den Folgen der Flucht.
Ein Drittel der Kinder psychisch belastet
Einer neuen Studie zufolge leiden Flüchtlingskinder besonders an den Folgen einer Flucht. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, ergab eine Untersuchung von 100 syrischen Kindern in der Bayernkaserne in München, dass rund ein Drittel psychisch belastet war. Jedes fünfte Kind litt demnach an einer posttraumatischen Belastungsstörung. „Dies ist die erste repräsentative Studie, die in dieser Größenordnung in Deutschland durchgeführt wurde“, erklärte Volker Mall, Professor für Sozialpädiatrie an der Technischen Universität München, am Dienstag.
Flüchtlinge erleben Diskriminierung in Deutschland
Den Angaben zufolge wurde jedes Kind zweimal für jeweils drei Stunden von muttersprachlichen Ärzten und Psychologen untersucht. „Gerade die posttraumatische Belastungsstörung ist eine große Herausforderung für uns“, sagte Mall. Die Erlebnisse von Krieg und Folter in ihren Heimatländern und die meist monatelange Flucht nach Europa belasteten die Kinder in hohem Maße. Doch auch die Situation in Deutschland trage bei vielen Kindern zur psychischen Belastung bei. Sie erlebten hierzulande soziale Isolation und Diskriminierung. „Hier fehlt es ganz klar an einer Willkommenskultur in Deutschland“, hob Mall hervor. „Ein großes Problem ist der lange Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen. Viele Kinder bleiben 200 Tage in diesen Unterkünften – und das muss sich ändern!“
Asylsuchende sind Patienten zweiter Klasse
Außerdem zeige die aktuelle Studie, dass Flüchtlingskinder stärker an körperlichen Krankheiten wie Karies und Atemwegserkrankungen leiden als andere Kinder in Deutschland. Hier angekommen haben sie lediglich einen Anspruch auf minimale Gesundheitsversorgung, wie Experten seit Jahren kritisieren. Ärztekammern, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen haben in der Vergangenheit vergeblich darauf gedrängt, dass Asylsuchende in die Gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen werden. Flüchtlinge wurden als Patienten zweiter Klasse bezeichnet. Zudem fehlen Flüchtlingskindern auch öfter wichtige Schutzimpfungen. Dies zeigte sich unter anderem auch bei dem großen Masern-Ausbruch vor wenigen Monaten in Berlin. Gesundheitsexperten hatten damals darauf hingewiesen, dass unter anderem viele syrische Kinder wegen des Bürgerkrieges in ihrer ehemaligen Heimat nicht mehr durchgeimpft seien. Manche Kinderärzte in Berlin hatten aus Sicherheitsgründen dazu geraten, dass man Babys wegen Masern zu Hause lassen sollte.
Medizinische Versorgung von Flüchtlingskindern
Professor Mall plädierte nun dafür, den Flüchtlingskindern mehr Aufmerksamkeit zu widmen: „Kinder fallen an vielen Stellen durch die Netze. Wir fordern eine höhere Priorität der Versorgung von Familien mit Kindern.“ Es gehe dabei nicht um eine intensive psychotherapeutische Betreuung der Kinder. Es müsse viel mehr ein leicht zugängliches Beratungsangebot für Familien geben, um sie darüber zu informieren, an wen sie sich bei entsprechenden Problemen wenden können.Die medizinische Versorgung von Flüchtlingskindern wird auch Thema der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sein, die am heutigen Mittwoch in München beginnt. Dort werden 3.000 Ärzte über neue Forschungsergebnisse und Therapiemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche beraten. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.