In Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen unter Depressionen. Gesundheitsexperten zufolge gibt es meist mehr als nur eine einzige Ursache für die psychische Störung. Forscher haben nun herausgefunden, dass eine mangelhafte Neuvernetzung des Gehirns ein möglicher Auslöser von Depressionen sein könnte.
Depressionen sind weit verbreitet
Depressionen gehören zu den häufigsten Krankheiten hierzulande. Fast jeder zehnte Bundesbürger erleidet mindestens einmal im Leben eine depressive Episode, die Wochen, Monate oder sogar Jahre anhalten kann. Aktuell sollen rund vier Millionen Deutsche darunter leiden. Gesundheitsexperten zufolge haben Depressionen in den meisten Fällen mehr als ein einzige Ursache. Begünstigt werden kann die psychische Störung unter anderem durch Stress, belastende Lebensereignisse oder Krankheiten wie eine Schilddrüsenunterfunktion oder Parkinson. Obwohl es in Deutschland zwar zu immer mehr Fehltagen wegen Depressionen kommt, werden andererseits viele Erkrankungen nicht oder erst spät diagnostiziert. Häufig wird eine Depression lediglich durch den Ausschluss anderer Erkrankungen festgestellt. Das könnte sich künftig womöglich ändern.
Gehirn kann sich schlechter an Reize anpassen
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Freiburg ist es gelungen, einen Zusammenhang zwischen der sogenannten „synaptischen Plastizität“ im Gehirn und depressiver Episoden herzustellen. Das Team um Professor Dr. Christoph Nissen von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie hält es für sehr wahrscheinlich, dass eine mangelnde synaptische Plastizität die Ursache für Depressionen sein könnte. In einer Studie, deren Ergebnisse im Fachmagazin „Neuropsychopharmacology“ veröffentlicht wurden, wiesen die Forscher nach, dass sich Nervenzellen im Gehirn während der depressiven Episoden langsamer neu vernetzen – und sich damit das Gehirn schlechter an neue Reize anpassen kann. Mit dieser verminderten Anpassungsfähigkeit lassen sich viele Symptome einer Depression erklären.
Studie mit wenigen Probanden
In der Studie untersuchten die Wissenschaftler die Verknüpfung von Nervenzellen von 27 gesunden und 27 depressiven Personen. Wie die Uni in einer Mitteilung erläuterte, reizten die Forscher mit Hilfe einer Magnetspule über dem Kopf der Probanden ein bestimmtes motorisches Areal im Gehirn, das für die Steuerung eines Daumenmuskels zuständig ist und maßen dann, wie stark der Daumenmuskel dadurch aktiviert wird. Im nächsten Schritt wurde der Reiz kombiniert mit einer wiederholten Stimulation eines Nervs am Arm, der Informationen ins Gehirn sendet. Hatte durch die Kopplung ein Lernvorgang in Form einer stärkeren Verknüpfung von Nervenzellen in der Gehirnrinde stattgefunden (synaptische Plastizität), war die Reaktion stärker als zu Beginn des Experiments.
Verbesserungen nach abgeklungener Depression
Es zeigte sich, dass die depressiven Probanden tatsächlich eine geminderte synaptische Plastizität aufwiesen als solche ohne eine depressive Episode. Mit Folgemessungen konnte zudem bewiesen werden, dass nach Abklingen der depressiven Episode die Hirnaktivität auch bei den zuvor depressiven Probanden wieder vollständig hergestellt war. „Damit haben wir eine messbare Veränderung im Gehirn gefunden, die zeitlich mit dem klinischen Zustand übereinstimmt“, so Nissen. Die Forscher nehmen an, dass es sich bei der verminderten synaptischen Plastizität um eine Ursache der Depression handelt und nicht nur um eine Folge. „Synaptische Plastizität ist ein grundlegender Prozess im Gehirn. Veränderungen könnten einen Großteil der Symptome einer Depression erklären“, sagte Nissen.
Mögliche Grundlage für neue Diagnoseverfahren
Vorangegangene Untersuchungen an Tiermodellen und andere Indizien beim Menschen sprechen für eine ursächliche Rolle. Neben Schlafentzug und einer etablierten Depressionstherapie haben auch alle gängigen antidepressiv wirksamen Verfahren, einschließlich Medikamente, Elektrokrampftherapie und auch sportliche Betätigung, eine positive Wirkung auf die synaptische Plastizität. Wenn sich die neuen Erkenntnisse in weiteren Untersuchungen bestätigen lassen, könnten sie Grundlage für die Entwicklung von neuen Diagnose- und Therapieverfahren bilden. Bislang geschieht das über ein persönliches Gespräch und durch den Ausschluss anderer Erkrankungen. „Die Patienten sind schwer betroffen und oft extrem verunsichert. Da wäre es eine große Hilfe, wenn wir objektive Messverfahren entwickeln, die zur Diagnosestellung und zur Behandlungsplanung beitragen könnten“, meinte Nissen.
Depression kann in jedem Alter auftreten
Grundsätzlich kann eine Depression in jedem Alter auftreten, erstmalig am häufigsten zwischen 20 und 30 Jahren. Auch Depressionen bei Kindern sind bekannt. Betroffene fühlen sich in der Regel niedergeschlagen, antriebs- und interesselos. Meist schlafen sie schlecht, ermüden schnell und sind oft unfähig, Gefühle zu empfinden. Die Behandlung erfolgt den Experten zufolge gemäß Leitlinien psychotherapeutisch, bei schwerer depressiver Episode zusätzlich medikamentös. Erst kürzlich wurde bekannt gegeben, dass die überarbeitete S3-Leitlinie helfen soll, die Therapie weiter zu verbessern. Vor allem aufgrund eines häufigen Auftretens von Todesgedanken ist rasche professionelle Hilfe notwendig. (ad)
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.