Für neue Erinnerungen werden alte einfach vergessen
17.03.2015
Das menschliche Gedächtnis kann beim Sortieren von Vergangenem rigoros sein. Das Gehirn unterdrückt konkurrierende Erinnerungen: Für neue müssen alte weichen. Erinnern löst also auch gleichzeitig Vergessen aus.
Gehirn unterdrückt konkurrierende Erinnerungen
Auch wenn es zunächst absurd klingt, haben Wissenschaftler in einem Versuch gezeigt, dass Erinnern auch Vergessen lässt. Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, zeigte sich, dass wenn Menschen sich an etwas Konkretes erinnerten, sie ähnliche, in dem Zusammenhang störende Erinnerungen, vergaßen. Die britischen Forscher berichten im Fachmagazin „Nature Neuroscience“, dass das Gehirn die konkurrierenden Erinnerungen aktiv unterdrücke. So gestalte der Prozess des Erinnerns mit, welche Aspekte unserer Vergangenheit zugänglich bleiben – und welche nicht.
Auslöschung der Erinnerung
Wie die Wissenschaftler um Maria Wimber von der Universität Birmingham schreiben, scheine das Erinnern ein doppelschneidiges Schwert zu sein. So hätten ältere Studien zwar gezeigt, dass das wiederholte Erinnern die Gedächtnisinhalte stabilisiere, doch es habe ebenfalls Hinweise darauf gegeben, dass Erinnern auch Vergessen auslöse. Experten gehen davon aus, dass es vermutlich einen hemmenden Kontrollmechanismus gibt, welcher dafür verantwortlich ist: Dieser unterdrückt Erinnerungen, die „dazwischenfunken“, wenn man sich an etwas Bestimmtes erinnern möchte. Diese Unterdrückung führe dann nach und nach zur Auslöschung der Erinnerung. Allerdings habe bisher niemand im Gehirn zeigen können, wie dieser Hemmmechanismus arbeitet.
Schlüsselwörter mit Bildern verknüpfen
Um dies zu ändern, scannten die Forscher das Gehirn ihrer Probanden mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT). Damit können aktive Hirnareale bildlich dargestellt werden, so dass man dem Hirn quasi bei der Arbeit zuschauen kann. Zunächst lernten die Studienteilnehmer, bestimmte Schlüsselwörter mit zwei verschiedenen Bildern zu verknüpfen, beispielsweise das Wort „Sand“ mit einem Bild von Marylin Monroe sowie mit einem Bild von einem Hut. Dann sollten sich die Probanden auf das Schlüsselwort hin an das erste dazugehörige Bild erinnern, das sie gelernt hatten. Die Forscher nahmen an, dass das zweite Bild als Störfaktor dazwischenfunken würde. Die Teilnehmer gaben dann jeweils an, ob sie sich an ein Gesicht oder ein Objekt erinnerten. Weil die beiden Kategorien ein unterschiedliches Signal im Scanner lieferten, konnten die Wissenschaftler feststellen, ob die Probanden das richtige Bild aufgerufen hatten.
Rund Dreiviertel erinnern sich an richtiges Bild
In 74 Prozent der Versuche erinnerten sich die Probanden den Angaben zufolge an das richtige (das erste) Bild. Weiter wird berichtet, dass sie sich bei Fehlern öfter an das zweite Bild als an ein Kontrollbild erinnerten. Im Verlauf der Versuche geschah dies aber immer seltener. Wie die Wissenschaftler erläutern, deute das darauf hin, dass es einen hemmenden Mechanismus gibt, der nach und nach die störenden Erinnerungen unterdrückte. Die Forscher zeigten zudem in weiteren Versuchen, dass die zu dem zweiten Bild gehörende Hirnaktivität im Laufe der Wiederholungen abnahm. Demnach vergaßen die Studienteilnehmer das zweite Bild desto eher vollständig, je stärker die Abnahme war. Des weiteren gibt es einen Zusammenhang zwischen der Aktivität im präfrontalen Kortex des Gehirns und dem Auslöschen der Erinnerung, wie die Wissenschaftler zeigten. Je stärker die Aktivität, umso stärker die Abnahme des Störfeuers und desto stärker das Vergessen. Bereits in früheren Arbeiten war diese Region mit dem Auslöschen von Erinnerungen in Verbindung gebracht worden.
Vergessen kann hilfreich sein
„Die Menschen glauben meist, dass Vergessen etwas Passives ist. Unsere Forschung zeigt, dass sie stattdessen selber daran mitwirken, woran sie sich aus ihrem Leben erinnern“, erklärt Studienleiter Michael Anderson von der MRC Cognition and Brain Science Unit im britischen Cambridge. „Die Idee, dass gerade der Akt des Erinnerns Vergessen bewirkt, ist überraschend und kann uns mehr über selektives Gedächtnis und auch über Selbsttäuschung erzählen.“ Maria Wimber ergänzt: „Vergessen wird oft als etwas Negatives angesehen, aber es kann natürlich auch unglaublich hilfreich sein, wenn man versucht, eine negative Erinnerung zu vergessen.“ Hierbei sind unter anderem traumatische Erlebnisse, wie das Erleben von Gewalt oder sexueller Missbrauch zu nennen. „Es gibt also Gelegenheit, dieses Wissens anzuwenden, um Menschen zu helfen“, so Wimber. (ad)
>Bild: Rike / pixelio.de
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