Ursprung von Angststörungen und PTBS identifiziert
Angst ist ein natürliches Gefühl auf eine potenzielle Gefahr. Sie hilft dabei, uns vor Schaden zu schützen. In manchen Fällen haben wiederholte Erinnerungen an traumatische Erlebnisse jedoch einen gegenteiligen Effekt und belasten die Betroffenen im Alltag. Ein Forschungsteam konnte nun erstmals detailliert darlegen, wie das Gehirn lang vergangene Angsterfahrungen abruft.
Forschende der University of California – Riverside (USA) beschreiben in dem renommierten Fachjournal „Nature Neuroscience“, wie das Gehirn mit Angst verbundene Erinnerungen abruft, die bereits Monate oder Jahre zurückliegen. Die Erkenntnisse tragen beispielsweise zu dem grundlegenden Verständnis von posttraumatischen Belastungsstörungen und Angststörungen bei.
Angst schützt uns vor Gefahr
Angst ist für unser Überleben wichtig. Sie ist eine Reaktion auf Gefahr oder eine wahrgenommene Bedrohung. Eine Vielzahl von Reizen können Angst auslösen, darunter beispielsweise plötzliche Geräusche, Schmerzen oder der Anblick eines Raubtieres oder eines giftigen Insekts.
Bei Angst kommt es zu einer Ausschüttung von Stresshormonen, wie beispielsweise Adrenalin. Als Folge erhöht sich die Herzfrequenz und die Atmung. Darüber hinaus werden die Sinne geschärft und die Aufmerksamkeit wird erhöht. Diese Reaktionen sollen dabei helfen, in einer potenziell gefährlichen Situation wachsam und konzentriert zu bleiben.
Irrationale Angst kann zur Belastung werden
Übermäßige oder irrationale Angst kann jedoch ungesund sein und unser tägliches Leben beeinträchtigen. Gewöhnlich verblassen Angsterinnerungen mit der Zeit. Bei den sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) werden Betroffene jedoch von mit Angst verbundenen Erinnerungen regelrecht heimgesucht.
Warum Angst manchmal wiederkehrt
Die Arbeitsgruppe der University of California fand nun heraus, wie das Gehirn mit Angsterinnerungen umgeht und warum solche Erinnerungen bei manchen Leuten ständig wiederkehren und bei anderen verblassen.
Ablauf der Studie
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzten Mäuse in einer bestimmten Umgebung angsteinflößenden Reizen aus. Dabei wurde die Gehirnaktivität der Tiere aufgezeichnet. Wenn die Mäuse in diese Umgebung zurückkehrten, wurden die gleichen Angsterfahrungen ausgelöst, auch ohne die entsprechenden Reize. Nach einer gewissen Zeit ohne Reize verblasste die Angstreaktion.
Angst wird im präfrontalen Cortex gespeichert
Anhand der gesammelten Daten konnten die Forschenden zeigen, dass die Angsterfahrung aus der Vergangenheit dauerhaft im präfrontalen Cortex gespeichert wurde. Diese Hirnregion ist Teil des Frontallappens der Großhirnrinde.
Die Arbeitsgruppe dokumentierte, wie die Synapsen zwischen den Gedächtnisneuronen im präfrontalen Cortex durch die erlebte Angst gestärkt wurden, so dass die Angsterinnerung dauerhaft im Hirn gespeichert wurde.
„Es sind die präfrontalen Gedächtnisschaltkreise, die nach traumatischen Ereignissen allmählich gestärkt werden, und diese Stärkung spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie Furchterinnerungen zu stabilisierten Formen in der Großhirnrinde heranreifen, um dauerhaft gespeichert zu werden“, erklärt Studienleiter Professor Jun-Hyeong Cho.
Professor Cho hält es für wahrscheinlich, dass auch andere Langzeiterinnerungen, die nicht von Angst geprägt sind, auf diese Weise gespeichert werden. Dies wurde in der Studie jedoch nicht untersucht.
Spezielle Angst-Neuronen entdeckt
„Wir fanden heraus, dass eine kleine Gruppe von Nervenzellen oder Neuronen innerhalb des präfrontalen Cortex während des ursprünglichen traumatischen Ereignisses aktiv war und während des Abrufs der entfernten Furchterinnerung reaktiviert wurde“, erläutert Cho.
„Als wir diese Gedächtnisneuronen selektiv hemmten, verhinderten wir, dass die Mäuse sich an entfernte, aber nicht an kürzlich erlebte Ängste erinnerten, was auf die kritische Rolle dieser Gedächtnisneuronen hinweist“, so der Studienleiter.
Weniger Zugriff auf die Angsterfahrung
Als die Mäuse immer wieder der Umgebung ausgesetzt wurden, die die Tiere mit der Angst verknüpft hatten, verblasste die Angstreaktion allmählich. Die Forschenden konnten dabei mehrere Mechanismen feststellen, die dazu führten, dass die Tiere zunehmend weniger Zugriff auf die gespeicherte Angsterinnerung hatten.
Hier entspringen Angststörungen und PTBS
Eine Dysregulation bei diesem Prozess kann laut Professor Cho zu Angststörungen beziehungsweise posttraumatischen Belastungsstörungen führen, von denen etwa sechs Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal betroffen seien.
„In Anbetracht der Tatsache, dass PTBS-Patienten unter Furcht-Erinnerungen leiden, die in der fernen Vergangenheit gebildet wurden, bietet unsere Studie einen wichtigen Einblick in die Entwicklung therapeutischer Strategien zur Unterdrückung chronischer Angst“, resümiert der Studienleiter.
In einer Folgestudie will das Team um Cho nun gezielt versuchen, die präfrontalen Gedächtnisschaltkreise, die mit der Angst verbunden sind, selektiv zu schwächen. So soll der Abruf der erlernten Angsterfahrung unterdrückt werden. Die Forschenden sehen hier einen neuen Ansatz für die Behandlung von Angststörungen und PTBS. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Lee, JH., Kim, W.B., Park, E.H. et al. Neocortical synaptic engrams for remote contextual memories. Nat Neurosci (2022). https://doi.org/10.1038/s41593-022-01223-1, nature.com
- University of California – Riverside: How the brain stores remote fear memory (veröffentlicht: 23.12.2022), news.ucr.edu
Wichtiger Hinweis:
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