Studie: Misshandlungen in der Kindheit können das Gehirn schädigen
14.02.2012
Misshandlungen in der Kindheit sind laut einer Studienarbeit auch im Erwachsenenalter deutlich sichtbar und damit nachweisbar. Studienteilnehmer, die in der Kindheit betroffen waren, zeigten im Vergleich zu anderen in der Größe im Gehirn einen weniger entwickelten Hippocampus-Bereich. Dieser Teilbereich ist unter anderem für Emotionen zuständig. Die Wissenschaftler vermuten, dass aus diesem Grund die Opfer anfälliger für psychische Erkrankungen sind.
Körperliche und seelische Misshandlungen in der Kindheit führen zu traumatischen Erlebnissen. Um das Trauma zu bewältigen, müssen die Betroffenen oft Jahrelang ambulante und stationäre Therapien durchlaufen. Viele können ihren Alltag nur mit Hilfe von starken Medikamenten bewältigen. Neben psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen können aufgrund der schlimmen Erlebnisse auch Entwicklungsstörungen im Gehirn des Patienten auftreten, wie Wissenschaftler um Martin Teicher aus Belmont der Harvard Medical School im US-Bundesstaat Massachusetts berichten.
Studie mit jungen Erwachsenen
In der Forschungsarbeit mit 193 erwachsenen Probanden konnten US-Forscher auch nach Jahrzehnten von Misshandlungen während der Kindheit signifikante Veränderungen im Gehirn nachweisen. An der Studie nahmen sowohl Erwachsene teil, die über fortwährende traumatische Erlebnisse in der Kindheit berichteten, als auch Teilnehmer, die nicht misshandelt wurden. Die Probanden waren Geschlechter gemischt, an der Untersuchung nahmen 73 Männer und 120 Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Lebensjahren teil. Vor der Studie wurden die Teilnehmer nach den unterschiedlichen traumatischen Erlebnissen befragt, um die erlebten Misshandlungen in sexuellen Missbrauch, emotionaler Verwahrlosung, verbaler und/oder körperlicher Gewalt oder Beschimpfungen einzukategorisieren. Wichtig bei der Erhebung waren auch familiäre Hintergründe wie Scheidungen und Trennungssituationen der Eltern, fortlaufende Probleme sowie weitere stressauslösende Faktoren.
46 Prozent gaben an, sie hätten keine negativen Erfahrungen in ihrer Kindheit durchlebt. 16 Prozent erklärten, mindestens eine oder mehrere Formen von traumatisierender Gewalt erlebt zu haben. 25 Prozent sagte, sie haben bereits depressive Episoden sowie andere psychische Erkrankungen durchlebt.
Kernspin-Untersuchung zeigte Größenunterschiede
Im zweiten Durchgang wurden die Teilnehmer zu einer Untersuchung geladen. Dabei haben die Forscher Aufnahmen des Gehirnes aller Teilnehmer mittels eines Magnetresonanztomographie-Gerätes (MRT) gemacht. Bei der anschließenden Auswertung wurde die Größe des Hippocampus ermittelt. Ein besonderes Augenmerk legten die Forscher auf die drei Schlüsselgebiete in dem Areal. Vorangegangene Studien hatten gezeigt, dass in den speziellen Schlüsselbereichen Zellen Hormone als Reaktion auf Stress bilden. Das passiert vor allem dann, wenn das Gehirn in seiner Entwickelung während der Kindheit noch nicht ausgewachsen ist. Die Vermutung liegt nahe, dass bei einer überschießenden Produktion der Stresshormone die Nervenzellen im Hippocampus im in der Entwicklung gestört werden. Sehr anfällig reagiere der Hippocampus in der Entwicklungsphase zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr.
Im Verlauf der Studie stellten die Wissenschaftler fest, dass die Gruppe der Traumatisierten über einen vergleichsweise verkleinerten Hippocampus verfügten. Die evolutionär gesehen in ihrer Entwicklung sehr alten Gehirnareale sind unter anderem für die Bildung von Gefühlen und das Gedächtnis zuständig. Bei Studienteilnehmern, die im Verlauf ihrer Kindheit schlimmes erleben mussten, zeigten sich verkleinerte Schlüsselbereiche im Hippocampus. Diese waren zwischen 5,8 bis 6,5 Prozent kleiner als bei der Kontrollgruppe. Messbare Veränderungen in der Hippocampus-Region würden nach Aussage der Wissenschaftler bei einer Vielzahl von psychischen Krankheiten beobachtet. So treten diese bei Schizophrenie, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen wie Borderline auf.
Neue Erklärung für verstärktes Auftreten von psychischen Krankheiten
Mit den Ergebnissen erhoffen sich die Forscher weitere Erklärungsansätze für die Erforschung von psychischen Erkrankungen. Nach Meinung der Forscher könne anhand der Ergebnisse analysiert werden, warum Menschen, die in ihrer Kindheit unter Misshandlungen litten, im Regelfall öfter an psychischen Leiden wie Depressionen, Sucht oder anderen Störungen erkranken. Durch die "Beeinträchtigungen im frühen Kindesalter sind die Betroffenen wahrscheinlich anfälliger für psychische Erkrankungen". Hierzu müssen weitere Studien folgen, sagte der Studienleiter. Die Ergebnisse zeigen jedoch in die zu forschende Richtung. Der Studienbericht ist in dem renommierten Wissenschaftsmagazin „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) erschienen. (sb)
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Bild: Martin Schemm / pixelio.de
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