Neue Krankheit entdeckt: Gen-Defekt verursacht demenzartige Symptome
14.06.2012
Ein neu entdeckter Gen-Defekt verursacht typische Symptome der Demenz. Das Forscherteam um Professor Dr. Thomas Dierks von der Universität Bielefeld hat eine Enzym-Erbkrankheit entdeckt, die bei Mäusen einen fortschreitenden Verlust der geistigen Fähigkeiten auslöst. Die bei Mäusen nachgewiesene Unterform des sogenannten Mucopolysaccharidose-Syndroms verursache erhebliche Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten, wie zum Beispiel Vergesslichkeit, Lern- und Koordinationsschwierigkeiten, berichten die Forscher in der amerikanischen Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS). Nach ihrem Entdecker wurde die Erkrankung als „Dierks‘sche Krankheit“ benannt (auch MPS IIIE). Der Biochemiker Dierks und sein Team präsentierten nicht nur den entdeckten Gen-Defekt sondern gleichzeitig ein Therapiekonzept, bei dem das defekte Enzym durch ein künstlich hergestelltes ersetzt wird.
Gen-Defekt verursacht bislang unbekannte Krankheit
Das internationale Forscherteam um den Biochemiker Prof. Thomas Dierks konnte im Rahmen seiner Untersuchungen nachweisen, dass „eine Schädigung des Enzyms Arylsulfatase G (ARSG) in Mäusen die Krankheit MPS IIIE auslöst“, berichtet die Universität Bielefeld in einer aktuellen Pressemitteilung. Allgemein übernehmen Enzyme den Bau und die Aufspaltung von Nähr- und Botenstoffen im menschlichen Organismus. Werden aufgrund einer vererbten Störung fehlerhafte Enzyme produziert, können dieser ihre Steuerungsfunktion nicht mehr angemessen wahrnehmen. Betroffene Menschen werden „krank, zum Beispiel weil sich in ihrem Körper Stoffe anreichern, die nicht mehr gespalten werden können“, so die Mitteilung der Universität Bielefeld. Die entsprechenden genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen werden unter dem Begriff „Lysosomale Speicherkrankheiten“ zusammengefasst. Fast 50 dieser Erkrankungen sind derzeit bekannt. Eine davon ist die nun bei Mäusen nachgewiesene „Dierks’sche Krankheit“.
Enzym-Schädigung infolge des Gen-Defekts
Der von Prof. Dierks und Kollegen entdeckte Gen-Defekt verursacht eine Schädigung des Enzyms Arylsulfatase G, welches normalerweise einen wesentlichen Anteil an der Aufspaltung des Kohlenhydrats Heparansulfat hat. Bei gesunden Mäusen werden nicht mehr benötigte Heparansulfat-Moleküle innerhalb der Zellen „in ihre kleinsten Bausteine zerlegt, aus denen später wieder neue Moleküle zusammengesetzt werden“, berichtet die Universität Bielefeld. Durch den Ausfall des ARSG-Enzyms breche die ganze Recyclinganlage in den Zellen zusammen. Die Molekülketten bleiben liegen und reichern sich in den Zellen im Lysosom an. Dieses höre schließlich auf zu arbeiten und anschließend „werden auch andere Stoffe, wie zum Beispiel Proteine und Fette, nicht mehr abgebaut“, so die Mitteilung der Universität. Infolgedessen dehnt sich das Lysosom laut Aussage der Forscher „immer weiter aus, bis es die gesamte Zelle schädigt und schließlich untergehen lässt.“ Professor Dierks beschreibt den Prozess der Erkrankung wie folgt: „Wenn das Enzym nicht richtig funktioniert, bleibt der Abfall einfach liegen, und die Zelle wird schließlich so lange mit Müll voll gestopft, bis sie zerstört wird“.“
Verhaltenstests zeigen die kognitiven Beeinträchtigungen
Welche Auswirkungen der Gen-Defekt beziehungsweise die Schädigung des ARSG-Enzyms bei Mäusen hat, ermittelten die Forscher mit Hilfe verschiedener Tests. Da ARSG dazu dient, die Heparansulfat-Moleküle in den Nervenzellen des Kleinhirns abzubauen, lag der Verdacht nahe, dass eine Störung des Prozesses auch mit kognitiven Beeinträchtigungen einhergehen könnte. Dies überprüften Dierks und Kollegen anhand verschiedener Verhaltenstests, bei denen zum Beispiel die Reaktion der Mäuse, wenn sie auf ein freies Feld kommen, beobachtet wurde. Hier hielten sich die Tiere mit dem Gen-Defekt im Gegensatz zu ihren gesunden Artgenossen eher am sicheren Rand auf und trauten sich nicht auf Erkundung zu gehen, berichten die Wissenschaftler. Ein weiterer Test war das Wasserlabyrinth, bei dem die Mäuse darauf trainiert wurden, „in einem Pool, der mit milchiger Flüssigkeit gefüllt ist, schwimmend eine unter der Oberfläche versteckte Plattform zu finden“, berichtet die Universität Bielefeld. Ab einem Alter von zwölf Monaten konnten sich die Tiere mit dem Gen-Defekt nicht mehr an die zuvor erlernte Position der Plattform erinnern und brauchten deutlich länger diese zu entdecken. In jüngerem Alter hatten die Mäuse die Plattform noch genauso mühelos wiedergefunden, wie ihre gesunden Artgenossen.
Nervenzellen im Kleinhirn zerstört
Ab einem Alter von zwölf Monaten zeigen die Mäuse mit ARSG-Defekt deutliche kognitive Störungen, berichten die Wissenschaftler in ihrem Beitrag im Fachmagazin „PNAS“ Die Ursache hierfür liege in der Beeinträchtigung der Nervenzellen im Kleinhirn der Tiere. Gewebeproben aus dem Kleinhirn der Mäuse hätten gezeigt, „dass durch die Anhäufung des Heparansulfats die Purkinje-Zellen im Kleinhirn absterben und, begleitet von Entzündungen, durch neue Zellen ersetzt werden“, so die Mitteilung der Universität Bielefeld. Professor Dierks erläuterte weiter, dass diese zum Ersatz gebildeten Glia-Zellen jedoch nur noch eine Stützfunktion haben und keine neuen Nervenverbindungen entwickeln.
Ansätze zur Therapie der neu entdeckten Krankheit
Dierks und Kollegen sehen in ihren Forschungsergebnissen einen wesentlichen Erfolg, da sich auf Basis der entdeckten Enzym-Schäden eine Therapie für die Erbkrankheit entwickeln lasse. So stellten die Forscher voll funktionsfähige ARSG-Enzyme „in einem biotechnologischen Verfahren mit Hilfe gentechnisch veränderter Zellkulturen“ künstlich her, um diese anschließend zur Behandlung der Mäuse zu nutzen. Wird die Lösung mit dem Enzym regelmäßig den erkrankten Mäusen injiziert, „sollten die Schädigungen der Organe gestoppt werden“, so die Mitteilung der Universität Bielefeld. Die Erkenntnisse sind auch für Menschen von Bedeutung, da „die biochemischen Abläufe, die mit solchen lysosomalen Speicherkrankheiten zusammenhängen, bei allen Säugetieren prinzipiell gleich“ sind, berichtet Professor Dierks. „Wir sind so gut wie sicher, dass der Defekt auch bei Menschen vorkommt“, betonte der Bielefelder Biochemiker. Beim Menschen wirken sich die entsprechenden Erkrankungen aufgrund des höheren Lebensalters in der Regel jedoch noch schwerwiegender aus, so Dierks weiter. (fp)
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