Junge Menschen in Deutschland werden immer dicker
Zu den Krankheiten, die typischerweise im höheren Alter auftreten, gehören Bluthochdruck, Arterienverkalkung (Arteriosklerose), Gicht und Fettstoffwechselstörungen wie Typ-2-Diabetes. Laut einer Auswertung einer deutschen Krankenkasse treten solche Erkrankungen nun auch vermehrt bei Kindern und Jugendlichen auf. Der Grund dafür sei ein signifikanter Anstieg von starkem Übergewicht in dieser Altersgruppe. Innerhalb der letzten zehn Jahre sei die Adipositas-Rate unter Kindern und Jugendlichen rasant angestiegen.
Laut einer Analyse von Kundendaten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) erhielten allein im Jahr 2020 über 11.000 KKH-Versicherte bis 18 Jahre die Diagnose Adipositas. Die Rate sei seit dem Jahr 2010 um 27 Prozent gestiegen. Besonders gefährdet scheinen Jungen zu sein. Die Adipositas-Rate bei den männlichen Kindern und Jugendlichen stieg sogar um 35 Prozent an. Unter den Mädchen war ein Plus von 19 Prozent zu verzeichnen. Die KKH rechnet mit einem weiteren Anstieg im Jahr 2021.
Rund sechs Prozent aller Heranwachsenden sind adipös
Ein Bericht des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2017 zeigt, dass 15,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und 5,9 Prozent von Adipositas betroffen sind. Adipositas erhöht das Risiko für viele schwerwiegende Folgeerkrankungen, darunter Diabetes Typ 2, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs. Zudem werden adipöse Kinder und Jugendliche häufiger gehänselt, gemobbt und ausgegrenzt, was tiefe Spuren in der Psyche hinterlassen kann. „Das kann die seelische Gesundheit junger Menschen gefährden, in der Folge zu Angststörungen oder auch Depressionen und tückischerweise verstärkt zu Essattacken führen“, warnt die KKH.
Warum werden immer mehr Heranwachsende übergewichtig?
„Zu den Hauptgründen zählt eine falsche, zu fettreiche, kalorienreiche und zuckerhaltige Ernährung“, erläutert KKH-Ernährungsexpertin Dr. Anja Luci. Viele Familien nehmen sich ihr zufolge nicht die Zeit oder haben in der Alltagshektik schlichtweg nicht die Zeit, gesunde und ausgewogene Speisen zuzubereiten. „Gerade auch während der Corona-Pandemie mit Homeschooling und Homeoffice waren das schnelle Nudel-Ketchup-Gericht oder der Griff zur Tiefkühlpizza ein willkommener Notnagel in deutschen Küchen“, so Dr. Luci.
Bewegungsmangel in der Pandemie
Hinzu komme, dass viele Kinder in der Pandemie zu Stubenhockern wurden. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sollte ein Kind jeden Tag mindestens 60 Minuten körperlich aktiv sein. Nur einer von fünf Heranwachsenden erfüllt laut KKH diese Empfehlung. Die Corona-Pandemie habe diese Situation noch weiter verschärft, da Schulweg, Pausenspiele, Schulsport und Vereinsaktivitäten weggefallen sind.
Corona ist nicht an allem Schuld
Die KKH betont, dass die Corona-Pandemie nicht die alleinige Schuld an dieser Entwicklung trägt. Sie habe die ohnehin vorhandene Tendenz eher beschleunigt. Der Adipositas-Trend unter jungen Menschen war bereits vor Beginn der Pandemie deutlich. Die Daten der Krankenkasse zeigen, dass auch vor der Pandemie zunehmend mehr Kinder und Jugendliche wegen Rückenproblemen oder motorischen Entwicklungsstörungen in Behandlung waren. Dies seien typische Folgen von Bewegungsmangel.
PC, Fernseher und Smartphone ersetzen das aktive Spielen
„Ob chatten, posten, daddeln oder Videos ansehen: Digitale Medien sind Verführer, die körperliche Inaktivität forcieren“, unterstreicht Ernährungsexpertin Luci. Nicht zu unterschätzen sei auch der Einfluss von Werbung für meist kalorienreiche Lebensmittel auf die Nahrungsvorlieben von Kindern.
Kinder übergewichtiger Eltern haben erhöhtes Risiko
Laut KKH haben Kinder, deren Eltern übergewichtig sind, selbst ein erhöhtes Risiko für Adipositas. Das sei zu einem kleinen Teil genetische Veranlagung, aber vielmehr durch die familiäre Lebenssituation und der damit verbundenen Verhaltensprägung bedingt. Auch Kinder in sozial schwachen Familien seien häufiger adipös. Mögliche Ursachen hierfür seien Stress durch Zoff in der Familie oder mit Gleichaltrigen, Frust, Druck in der Schule sowie der unkontrollierte Griff zu Dickmachern wie Chips, Süßigkeiten, Softdrinks oder Fast Food.
Wie kann man Kinder beim Abnehmen unterstützen?
Die KKH rät Eltern übergewichtiger und vor allem adipöser Kinder dringlich dazu, einen Arzt, beziehungsweise eine Ärztin um Rat zu fragen. Aus Erfahrung wisse man, dass es Familien kaum ohne Hilfe schaffen, aus dem Teufelskreis Adipositas auszubrechen. Durch professionelle Hilfe können gleichzeitig mehrere „Stellschrauben“ justiert werden. „Neben gezielter Ernährungsumstellung sowie mehr Bewegung in Form von Kraft- und Ausdauersport wird der Fokus dabei auch auf eine stabile psychische Gesundheit gerichtet“, erklärt Dr. Luci.
„Nur wenn der Lebensstil umfassend und langfristig verändert wird, kann die Erkrankung dauerhaft überwunden und so die Lebensqualität und vor allem auch die Lebenserwartung junger Menschen deutlich erhöht werden“, resümiert die Ernährungsexpertin. (vb)
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