Krankheit des Mieters kann Kündigung wegen Eigenbedarf verhindern
In einem aktuellen Gerichtsurteil wurde klargestellt, dass die Kündigung einer Wohnung wegen Eigenbedarf an dadurch hervorgerufenen existentiellen gesundheitlichen Gefahren des Mieters scheitern kann.
Schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen
Vor rund zwei Jahren hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein Urteil gefällt, in dem klargestellt wurde, dass Vermieter einen Mieter bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht einfach vor die Tür setzen können. Das Amtsgericht München hat nun ein ähnliches Urteil gefällt und vor kurzem veröffentlicht.
Klage des Vermieters abgewiesen
Laut einer aktuellen Mitteilung wies das Amtsgericht München am 28.09.2017 die Klage gegen eine 52-jährige Mieterin auf Räumung der von ihr gemieteten Ein-Zimmer-Wohnung in München-Langwied und Herausgabe an die auf Eigenbedarf klagenden Vermieter ab.
Den Angaben zufolge hatte das klagende Ehepaar aus dem Raum Dingolfing-Landau die seit 1998 an die Beklagte vermietete Wohnung im August 2016 erworben, um sie zum Wintersemester 2017 ihrer dann in München studierenden 21-jährigen Tochter mietweise zur Verfügung zu stellen.
Auf diesen Eigenbedarf gestützt kündigten sie der Mieterin im Oktober 2016 zum 31.07.2017.
Die Beklagte erhob jedoch Widerspruch gegen die Kündigung und begründete ihn damit, dass sie unter einer verfestigten depressiven Störung sowie einer Angststörung leide und dass der Verlust von Wohnung und gewohnter Umgebung zu einer akuten weiteren Verschlechterung ihrer Erkrankungen führen würden, wobei von akuter Suizidalität auszugehen sei.
Existentielle Bedrohung
Die Tochter der Kläger erklärte in ihrer Zeugenaussage, bereits vor dem Abitur ihr späteres Studium in München ernsthaft geplant zu haben.
Die Beklagte gab vor Gericht an, seit ihrer Jugend an psychischen Problemen zu leiden und sich schon vielfach erfolglos um eine Ersatzwohnung bemüht zu haben.
Der vor Gericht einvernommene und die Beklagte seit mehreren Jahren behandelnde Psychiater bezeugte, dass die Patientin die Aussicht, ihren Schutzraum, d.h. ihre Wohnung und die gewohnte Umgebung, verlassen zu müssen, als existentielle Bedrohung wahrnehme und sich durch einen Umzug ihr Zustand verschlechtern würde, sowohl im Hinblick auf ihre Depression, als auch im Hinblick auf ihre Angststörung.
Die Gefahr der Verwirklichung des Suizidgedankens für den Fall, dass sie die Wohnung verlassen müsste, schätze der Experte aufgrund der seit Jahren von ihm behandelten Vorerkrankungen nicht auf 100 Prozent, aber selbst bei stationärer Behandlung oder zumindest bei besonders engmaschiger ärztliche Begleitung während eines Umzugs als ernstzunehmend ein.
Unzumutbare Härte
Die zuständige Richterin am Amtsgericht München gab im Ergebnis der Beklagten Recht.
„Die Zeugin hat glaubhaft angegeben, dass ihre Eltern die Wohnung gekauft hatten, um ihr einen guten Start in das Studium zu ermöglichen. Die Tatsache, dass die Zeugin die streitgegenständliche Wohnung nicht selbst angesehen hat, erstaunt zwar, ist aber für das Gericht nach der Erklärung der Zeugin, dass sich keine Gelegenheit dazu ergab und dass ihr Vertrauen in ihre Eltern so hoch ist, dass sie auf jeden Fall in eine von ihnen für sie ausgewählte Wohnung ziehen würde, zumindest nachvollziehbar.“
Laut der Richterin ist das Mietverhältnis aber trotz der wirksamen Eigenbedarfskündigung aufgrund des Antrags der Beklagten gem. §§ 574 I, 574 a I, II BGB auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.
„Die Beendigung des Mietverhältnisses bedeutet nach Ansicht des Gerichts für die Beklagte eine unzumutbare Härte, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Kläger nicht zu rechtfertigen ist. Die Beklagte ist räumungsunfähig.“
Urteil ist nun rechtskräftig
Wie die Richterin erklärte, liegt eine Räumungsunfähigkeit vor, „wenn der Mieter auf Grund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu finden und dorthin umzuziehen oder wenn der Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtert würden, wobei bereits die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung die Annahme einer unzumutbaren Härte rechtfertigen kann.“
Die Richterin weiter: „Dass die seit Jahren bestehenden psychischen Krankheiten der Beklagten während der Zeit, in der sie zur Verhinderung eines Suizids in eine Klinik eingewiesen ist, geheilt werden könnten, hält das Gericht für ausgeschlossen, nachdem in den letzten neun Jahren trotz diverser Therapien stabile Phasen nur in äußerst überschaubaren Zeiträumen eingetreten sind, wie der Zeuge geschildert hat und nachdem der Zeuge die Erfolgsaussichten einer einjährigen verhaltenstherapeutischen Behandlung prognostisch eher zurückhaltend eingestuft hat. (…)
Der aus Sicht des Gerichts entscheidende Unterschied zwischen der Tochter der Kläger und der Beklagten ist, dass die 21-jährige Tochter der Kläger keine psychischen Krankheiten hat und sie gerade am Anfang ihres Studienlebens steht, das für gesunde Menschen aus Sicht des Gerichts vielfältige Möglichkeiten bietet. Das Interesse der Kläger an der Erlangung der Wohnung muss daher gegenüber dem Interesse der Beklagten am Erhalt der Wohnung, der maßgeblich dafür ist, dass sich ihre Gesundheit nicht wegen eines Umzuges weiter verschlechtert, zurücktreten.“
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 28.09.2017, Aktenzeichen 433 C 10588/17, ist nach Rücknahme der Berufung seit 18.12.2018 rechtskräftig.
Den Angaben zufolge hatte der vom Berufungsgericht beauftragte (weitere) psychiatrische Sachverständige die erstinstanzliche Einschätzung des behandelnden Kollegen bestätigt. (ad)
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