Eltern haben nur begrenzt Einfluss auf das Essverhalten ihrer Kinder
Viele Kinder und Jugendliche leiden an Übergewicht bzw. Fettleibigkeit – ein Problem, das in ganz Europa verbreitet ist. Ob Kinder ein erhöhtes Risiko fürs Dick werden haben, steht in engem Zusammenhang mit den sozialen Lebensumständen, in denen sie aufwachsen. Doch eine internationale Studie zeigt auf, dass es weitere Einflussfaktoren gibt, auf welche selbst gesundheitsbewusste Eltern kaum einwirken können. Hierzu zählen vor allem die Werbung und der Zugang zu Plätzen, auf denen sich die Heranwachsenden frei bewegen können. Um die Gesundheit der Kinder verbessern zu können, müssten die Familien daher aktiv durch die Regierungen Europas unterstützt werden, so die zentrale Botschaft der Partner der I.Family-Studie.
Kindliches Übergewicht ist ein europaweites Problem
Ob Nutella zum Frühstück, Pommes und Würstchen zum Mittag oder Schokoriegel für den kleinen Hunger zwischendurch: Europaweit nehmen viele Kinder Tag für Tag viel zu viel Zucker und Fett zu sich und leiden in der Folge unter Übergewicht und Adipositas. Doch wo liegen die Ursachen für diese „Übergewichtsepidemie“? Welche Faktoren bestimmen darüber, welche Nahrungsmittel die Jugendlichen wählen? Diese Fragen standen im Zentrum der großangelegten internationalen „I.Family-Studie“, welche am 9. Februar in Brüssel vorgestellt wurde.
Wissenschaftler begutachten den Gesundheitszustand tausender Kinder
Für das Projekt wurden über fünf Jahre hinweg mehr als 16.000 Kinder in acht europäischen Ländern (Belgien, Estland, Deutschland, Italien, Spanien, Schweden, Ungarn, Zypern) von einem Team internationaler Wissenschaftler begleitet. Koordiniert vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH und der Universität Bremen wurden dabei unter anderem der Gesundheitszustand, das Ernährungsverhalten und der Einfluss von Freundeskreises und Familie auf die Kinder untersucht.
Das zentrale Ergebnis: Die Familien alleine könnten es nicht schaffen, das Übergewichts-Problem zu lösen. Vielmehr müsse die Politik zur Verantwortung gezogen werden und den Familien dabei helfen, die Gesundheit ihrer Kinder zu verbessern und dem Übergewicht entgegenzuwirken, so die Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS GmbH.
Anteil in Süditalien besonders hoch
Der Studie zufolge haben die sozialen Lebensumstände (Beruf, Einkommen, formale Bildung, Wohnort etc.) großen Einfluss auf die Entstehung von Übergewicht. Demnach konnte über die Jahre festgestellt werden, dass etwa doppelt so viele Kinder mit niedrigem oder mittlerem sozio-ökonomischen Status im Laufe des Heranwachsens übergewichtig wurden als Gleichaltrige mit hohem sozio-ökonomischen Status.
Dies gilt für alle Länder, dennoch variieren die Anteile der Kinder mit Übergewicht bzw. Fettleibigkeit innerhalb von Europa deutlich: Während in Süditalien etwa 40 % der Kinder zwischen 2 und 10 Jahren betroffen sind, liegt der Anteil in Belgien bei weniger als 10 % in der gleichen Altersgruppe.
„Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass Kinder aus benachteiligten Familien häufiger übergewichtig sind als Kinder aus wohlhabenderen Familien“, erklärt Studienkoordinator Wolfgang Ahrens vom BIPS. „Hier muss die Politik aktiv werden und diese Familien unterstützen.“
Werbung hat immensen Einfluss auf das Essverhalten
Dass eine ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel schnell zu Übergewicht führen – das liegt auf der Hand. Doch die Experten erkannten, das selbst für Kinder, die gesund essen und Sport treiben Risikofaktoren für Übergewicht bestehen, auf welche die Eltern keinen bzw. nur kaum Einfluss haben.
„Ein weiteres Feld, auf dem die Politik handeln muss, ist die auf Kinder als Konsumenten abzielende Werbung für ungesundes ‚Junk-Food‘. Diese Werbung – etwa im Fernsehen – ist sehr verbreitet und hat großen Einfluss auf Kinder, so dass es sogar für sehr gesundheitsbewusste Eltern schwer ist, den Konsum dieser Nahrungsmittel einzuschränken“, so Wolfgang Ahrens.
Auch hier spiele die Bildung eine zentrale Rolle. Weniger gebildete Eltern hätten laut Ahrens eine weniger kritische Meinung gegenüber TV-Werbung. “Deren Kinder sind Einflüssen der Werbung schutzlos ausgeliefert”, so der Experte gegenüber der Nachrichtenagentur “dpa”. Die Studie konnte zeigen, dass das Essverhalten der Kinder stark durch die Produktpräsentationen beeinflusst wird. Sie konsumierten demnach nach dem Ansehen von TV-Werbung, häufiger gezuckerte Getränke – unabhängig von den Normen der Eltern.
Hersteller müssen stärker reglementiert werden
Dementsprechend sei es laut Ahlers notwendig, dass speziell an Kinder adressierte Werbung stärker reglementiert werde. Denn die derzeit bestehende freiwillige Selbstbeschränkung der Lebensmittelindustrie beim Kindermarketing erziele keine Wirkung – ein trauriger Umstand, auf den die Verbraucherschützer von foodwatch bereits im Jahr 2015 aufmerksam gemacht hatten. Damals hatte eine umfangreiche Untersuchung von Kinderlebensmitteln ergeben, dass die Hersteller trotzdem weiterhin fast ausschließlich ungesunde Produkte an Kinder vermarkten.
Schulverpflegung muss gesünder werden
Seitens der Politik müssen ebenfalls dafür gesorgt werden, dass die Heranwansenden in der Schule gesunde Nahrungsmittel erhalten. Statt auf Qualität werde hier zu viel Wert auf eine preiswerte Verpflegung gelegt, kritisiert Helmut Heseker, Ernährungswissenschaftler an der Universität Paderborn, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur. Die Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) würden oft nicht erfüllt. „Da ist noch viel Sensibilisierung nötig, bei der Politik, bei Eltern und Schulträgern“, so Heseker.
Immer noch zu viele übergewichtige Kinder
Die DGE hatte erst vor wenigen Tagen berichtet, dass der Anteil an übergewichtigen bzw. adipösen Kindern in der Einschulungsphase zwar gesunken sei – doch nach wie vor sind viele Heranwachsende hierzulande deutlich zu dick. Je nach Bundesland liegt der Anteil übergewichtiger Kinder demnach derzeit zwischen 8,2% und 12%, darunter waren zwischen 2,8% und 5,3% adipös. Im europäischen Vergleich belegt Deutschland damit einen Platz im Mittelfeld.
Zugang zu Freiflächen ermöglichen
Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft laut der Studie die Aktivität der Kinder. „Ein drittes wichtiges Ergebnis von I.Family ist die Erkenntnis, dass guter Zugang zu offenen Flächen, Parks, Spazier- und Radwegen dazu führt, dass Kinder körperlich aktiver sind“, so Wolfgang Ahrens laut der Mitteilung des BIPS. Stadtplaner und Politiker könnten dem Experten zufolge „[…] die Gesundheit von Kindern also direkt beeinflussen, wenn sie ihnen bessere Möglichkeiten bieten, sich in ihrer direkten Umgebung zu bewegen.“
Orientierung an Freunden nimmt an Bedeutung zu
Eltern können die Ernährungsgewohnheiten ihrer Kinder natürlich zu einem gewissen Grad prägen, indem Sie selbst als Vorbild fungieren und einen gesunden Lebensstil vorleben. Doch schon in der Schulzeit nimmt der Einfluss stark ab, da sich die Heranwachsenden immer mehr am Freundeskreis orientieren.
Der Studie zufolge greifen Teenager mit höherer Wahrscheinlichkeit zu ungesundem Essen, wenn es die Freunde ebenso tun. Gleiches gilt für körperliche Aktivität. Daher müssten die Regierungen Europas den Familien aktiv dabei helfen, die Gesundheit ihrer Kinder zu verbessern. „Allein können Familien diese schwierige Aufgabe nicht erfüllen“, so die Ansicht der Studien-Partner. (nr)
Autoren- und Quelleninformationen
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