Glutenunverträglichkeit: Wirkstoff gegen Zöliakie
Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) äußert sich in einer Überempfindlichkeit gegenüber Gluten, einem Protein, das in Getreidesorten wie Weizen, Gerste oder Roggen vorkommt. Die bisher einzige wirksame Therapieoption für Betroffene ist eine streng glutenfreie Diät. Doch Forschenden scheint nun der Durchbruch für die Behandlung der Erkrankung gelungen zu sein.
Bis vor einigen Jahren wurde davon ausgegangen, dass im Durchschnitt etwa einer von 1.000 Menschen in Deutschland von Zöliakie betroffen ist. Neuere Screening-Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Häufigkeit bei 1:200 bis 1:300 liegt, berichtet der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB). Betroffene müssen streng auf ihre Ernährung achten, weil sich beim Verzehr von glutenhaltigen Nahrungsmitteln zahlreiche Beschwerden einstellen können. Nun wurde jedoch ein Mittel für die Behandlung der Krankheit entwickelt.
Klinische Wirksamkeit belegt
Ein Forschungsteam hat unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz, einen neuartigen medikamentösen Wirkstoff zur Behandlung der Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) entwickelt: den Transglutaminase-Hemmer ZED1227.
Laut einer Mitteilung basiert das Medikament auf einem erkrankungsspezifischen Wirkmechanismus. Die bislang einzige wirksame Therapieoption für Betroffene ist eine streng glutenfreie Diät.
Im Rahmen einer klinischen Phase 2a-Studie haben die Mainzer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen gezeigt, dass ZED1227 eine starke schützende Wirkung auf die Dünndarmschleimhaut hat und die Entzündung, Erkrankungssymptome sowie die Lebensqualität der Betroffenen verbessert.
ZED1227 ist damit das erste Zöliakie-Medikament, für das eine klinische Wirksamkeit belegt werden konnte. Die Studienergebnisse wurden vor kurzem in der international renommierten Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.
Erheblicher Leidensdruck für Betroffene
„Zöliakie-Betroffene verspüren durch die dauerhaft notwendige Vorsicht bei der Ernährung einen erheblichen Leidensdruck“, sagt Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Leiter der Klinik-Ambulanz für Zöliakie und Dünndarmerkrankungen an der Universitätsmedizin Mainz, der zusammen mit Prof. Markku Mäki (Tampere, Finnland) Erstautor der Studie ist.
„Mit dem Transglutaminase-Hemmer ZED1227 wird ihnen zukünftig eine medikamentöse Behandlungsmöglichkeit unterstützend zur glutenfreien Diät zur Verfügung stehen, die ihnen zusätzlich einen erheblichen Zugewinn an Sicherheit und Lebensqualität ermöglicht“, so der Wissenschaftler.
Unterschiedliche Symptome möglich
Wie in der Mitteilung erklärt wird, ist die Zöliakie eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen des Dünndarms. Weltweit ist fast ein Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Die Autoimmunerkrankung wird durch den Verzehr des in verschiedenen Getreiden wie beispielsweise Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel enthaltenen Klebereiweißes Gluten verursacht.
Bei der Erkrankung können unterschiedliche Symptome, zum Beispiel Durchfall oder Bauchschmerzen, aber auch vielfältige Symptome außerhalb des Darms, inklusive verschiedener Autoimmunerkrankungen, auftreten.
Wenn die bereits durch kleinste Mengen glutenhaltiger Lebensmittel ausgelöste Entzündung der Dünndarmschleimhaut länger anhält, bilden sich die sogenannten Zotten, die Ausstülpungen der Dünndarmschleimhaut, zurück.
Dadurch verkleinert sich die Oberfläche der Darmschleimhaut und in der Folge können die Betroffenen weniger Nährstoffe aus der Nahrung aufnehmen. Unbehandelt kann die Erkrankung zu schwerwiegenden Komplikationen wie Blutarmut, Knochenschwund, Wachstumsverzögerungen, Unfruchtbarkeit bis hin zu Dünndarmtumoren führen.
Glutenbedingte Entzündung verhindert
Im Rahmen der aktuell publizierten Wirksamkeitsstudie haben sich die teilnehmenden Patientinnen und Patienten freiwillig einer täglichen Glutenbelastung und zwei Endoskopien unterzogen. Der neuartige Arzneimittelwirkstoff ZED1227 wurde als Tablette in drei unterschiedlichen Dosierungen verabreicht. Eine vierte Gruppe erhielt ein Placebo.
Den Angaben zufolge verhinderte das Medikament in jeder Dosierung die glutenbedingte Entzündung und den Zottenschwund. Die höchste Dosierung erwies sich dabei als am wirksamsten. Darüber hinaus verbesserten sich mit jeder Dosierung des Medikaments die Zöliakie-typischen Symptome und die empfundene Lebensqualität.
Beteiligt an der Rekrutierung der Patientinnen und Patienten für die Phase-2a-Studie waren 20 klinische Zentren in sieben europäischen Ländern. Neben Mainz haben Tampere (Finnland) sowie Oslo (Norwegen) die meisten der insgesamt 160 Erkrankten im Rahmen der Studie behandelt.
Größere Folgestudie geplant
Der neue therapeutische Ansatz mit dem Medikament ZED1227 basiert auf der Forschung von Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan zu den krankheitsspezifischen Mechanismen bei der Glutenunverträglichkeit.
Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Entdeckung des körpereigenen Enzyms Transglutaminase (TG2), welches im gesamten Darm vorkommt. Zöliakie-Betroffene entwickeln gegen die Transglutaminase sogenannte TG2-Antikörper. Im Blut von den Patientinnen und Patienten mit aktiver Erkrankung sind diese stark erhöht.
Gluten wird nicht komplett verdaut. Unverdaute Glutenbruchstücke werden von der Dünndarmschleimhaut aufgenommen und reagieren mit TG2. Laut den Fachleuten verändert („deamidiert“) diese Reaktion die Glutenbruchstücke, so dass ihre entzündungsfördernde Wirkung in der Darmschleimhaut stark erhöht wird.
Das betrifft aber nur Zöliakiepatientinnen und -patienten, die eine besondere genetische Veranlagung mitbringen müssen. Der neue medikamentöse Wirkstoff wurde entwickelt, um die überschießende Aktivität des Enzyms TG2 in der Dünndarmschleimhaut zu hemmen und so die durch Gluten herbeigeführte Entzündung zu unterbinden.
Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse der Phase-2a-Studie ist ab Herbst 2021 eine größere Phase-2b-Folgestudie mit der besonders belasteten Patientinnen- und Patientengruppe geplant, die nicht auf die glutenfreie Diät anspricht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universitätsmedizin Mainz: Durchbruch für die Behandlung der Zöliakie, (Abruf: 13.07.2021), Universitätsmedizin Mainz
- Detlef Schuppan, M.D., Ph.D., Markku Mäki, M.D., Ph.D., Knut E.A. Lundin, M.D., Ph.D., Jorma Isola, M.D., Ph.D., Tina Friesing-Sosnik, M.D., Juha Taavela, M.D., Ph.D., Alina Popp, M.D., Ph.D., Jari Koskenpato, M.D., Jost Langhorst, M.D., Øistein Hovde, M.D., Ph.D., Marja-Leena Lähdeaho, M.D., Ph.D., Stefano Fusco, M.D., et al., for the CEC-3 Trial Group: A Randomized Trial of a Transglutaminase 2 Inhibitor for Celiac Disease; in: New England Journal of Medicine, (veröffentlicht: 01.07.2021), New England Journal of Medicine
- Deutscher Allergie- und Asthmabund: Zöliakie, (Abruf: 13.07.2021), Deutscher Allergie- und Asthmabund
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.