Langzeitfolgen: Grippeviren können das Gehirn beeinträchtigen
Die schwere Grippewelle in Deutschland ebbt nicht ab. Influenza-Erkrankungen fesseln manche Menschen bis zur endgültigen Genesung wochenlang ans Bett. Möglicherweise können die Infektionen aber auch Langzeitfolgen haben. Wie Forscher herausgefunden haben, können manche Grippeviren das Gehirn beeinträchtigen – zumindest bei Mäusen.
Schwere Grippewelle in Deutschland
Die Zahl der Influenza-Fälle in Deutschland ist seit Wochen stark steigend. Die Erkrankung fesselt manche Patienten tage- oder wochenlang mit heftigen Beschwerden ans Bett. Zudem wurden bereits weit über 100 Grippe-Todesfälle gemeldet. Doch auch wenn die Krankheit auskuriert ist, kann sie womöglich noch lange Folgen haben. Denn wie Forscher nun herausgefunden haben, können manche Grippeviren das Gehirn noch Monate nach der Infektion beeinträchtigen.
Auswirkungen einer Grippe-Infektion auf das Gehirn
Wer schon einmal eine Grippe hatte, weiß, wie sehr das Denkvermögen im akuten Stadium leidet. Doch das Gehirn könnte auch lange nach einer Infektion noch beeinträchtigt sein.
Darauf deutet eine Studie mit Mäusen der Technischen Universität (TU) Braunschweig hin, die im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht wurde. Beteiligt waren auch das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und die Tierärztliche Hochschule Hannover.
„Es ist bekannt, dass das Gehirn auf Infekte reagiert, aber bisher hat noch niemand untersucht, was danach passiert“, erklärte der TU-Braunschweig-Forscher Prof. Martin Korte in einer Mitteilung.
Dabei wisse man schon seit vielen Jahren, dass sich gerade ältere Menschen oft nur schwer von einer Grippe erholten und noch längere Zeit danach desorientiert sein können.
Virusinfektionen stehen zudem im Verdacht, verschiedene neurologische Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit und Depressionen auslösen oder fördern zu können.
Forscher des Universitätsklinikums Freiburg haben vor wenigen Jahren auch herausgefunden, warum Grippeviren depressiv machen können. Wie die Wissenschaftler damals berichteten, ist dafür unter anderem das Protein CXCL10 verantwortlich, das eigentlich die Virusabwehr steuert.
Einschränkungen bei Lern- und Gedächtnisaufgaben
Die Forscherinnen Dr. Kristin Michaelsen-Preusse und Dr. Shirin Hosseini von der TU Braunschweig haben nun das Lern- und Erinnerungsvermögen sowie die Gehirnstrukturen von Mäusen untersucht, die zuvor mit verschiedenen Influenza-A-Virentypen infiziert worden waren, um so mehr über mögliche Langzeitfolgen für das Gehirn herauszufinden.
Die Nager wurden mit dem H1N1-Erreger, ähnlich dem Verursacher der Spanischen Grippe vor 100 Jahren, dem H3N2-Virus, Auslöser der Hongkonggrippe 1968, und dem Subtyp H7N7, der zurzeit vor allem Vögel gefährdet aber als möglicher Ausgangserreger für eine Pandemie gilt, infiziert.
Die Testmäuse zeigten noch 30 Tage nach Infektionen mit H7N7- und H3N2-Viren Einschränkungen bei Lern- und Gedächtnisaufgaben sowie strukturelle Veränderungen an Nervenzellen Gehirn, beispielsweise eine kleinere Synapsenzahl.
Erst nach 120 Tagen waren keine Veränderungen mehr messbar. „Auf die Lebenserwartung eines Menschen hochgerechnet, würde der Erholungsprozess einige Jahre dauern“, sagte Michaelsen-Preusse.
Besonders erstaunt waren die Forscherinnen und Forscher darüber, dass auch der Stamm H3N2 Nachwirkungen hatte, obwohl er gar nicht im Gehirn aktiv ist. Der H1N1 Virus dagegen, ebenfalls nicht gehirngängig, hatte keine Langzeitfolgen.
Den Angaben zufolge wurde die Studie unter strengen Sicherheits- und Tierschutzauflagen durchgeführt.
Infektion macht „Hausmeister“ zu „Soldaten“
Für die Untersuchungen wurde mit 180 Mäusen gearbeitet. Die infizierten Nagetiere mussten zum Beispiel nach ein paar Trainingseinheiten eine mit Wasser bedeckte Plattform finden. Zudem untersuchten die Forscherinnen die Gehirne getöteter Tiere, 30, 60 und 120 Tage nach der Infektion.
Dabei hatten sie vor allem den Hippocampus im Visier, also die Hirnregion, die für Lernprozesse und Erinnerungen zuständig ist.
Sie stellten fest, wie und wo die Nervenzellen auf elektrische Impulse reagierten und ermittelten auf Mikroskopbildern die Zahl der Synapsen sowie die Dichte der Mikrogliazellen, die Immunzellen des Gehirns.
„Mikrogliazellen sind so etwas wie der Hausmeister im Gehirn. Sie scannen ständig ihre Umgebung und sorgen für Ordnung, entfernen zum Beispiel die Reste abgestorbener Zellen“, so Michaelsen-Preusse.
Im Fall von Infektionen können sie zu Soldaten werden, die den Feind bekämpfen, dabei aber in einer Art Überreaktion auch Nervenzellen schädigen.
Die Forscherinnen und Forscher vermuten deshalb, dass bestimmte Immunreaktionen, auch wenn sie gar nicht im Gehirn stattfinden, über Botenstoffe bis ins Gehirn schwappen und dort eine überschießende Aktivität der Mikrogliazellen auslösen können.
Weiteres Argument für Grippeimpfungen
Die Ergebnisse könnten laut Projektleiter Korte auch für die Medizin von Bedeutung sein, etwa als weiteres Argument für Grippeimpfungen.
„Außerdem zeigen sie, dass es sinnvoll sein könnte, die Aktivität der Mikrogliazellen pharmakologisch zu unterdrücken“, erläuterte der Experte. Das müssten allerdings weitere Experimente erst zeigen.
Auch ob eine Grippeimpfung die Folgen der Immunattacke im Gehirn tatsächlich verhindern kann, will das Team noch prüfen.
Außerdem sollen die Untersuchungen mit älteren Mäusen wiederholt werden. Die Tiere für die veröffentlichte Studie waren zu Beginn der Untersuchungen nur zwei Monate alt.
Zudem erforscht Kortes Team seit einiger Zeit, ob auch bakterielle Infektionen langfristig Spuren im Gehirn hinterlassen können. „Es deutet einiges daraufhin“, sagte der Wissenschaftler.
Die Ergebnisse einer umfangreichen Studie dazu sollen in den kommenden Monaten präsentiert werden. (ad)
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